Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Walterskirchen als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Zemanek und Dr. Riedl in der Rechtssache der klagenden Partei Alam M*****, Kaufmann, Bürger von Bangladesh, per Adresse ***** Wien, vertreten durch Dr. ***** P*****, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Inneres), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen S 30.000,--, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 5.5.1995, 33 Cg 38/94-9, nach mündlicher Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.802,20 (darin S 1.127,-- USt und S 40,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht dem Klagebegehren von S 30.000,-- (Entschädigungsbetrag für zu Unrecht erlittene Schubhaft gemäß Art 5 Abs 5 MRK) stattgegeben. Dabei ging es von dem in der Urteilsausfertigung auf Seite 4 bis 5 (AS 65 bis 67) festgestellten Sachverhalt aus. Soweit für die Beurteilung der im Berufungsverfahren allein noch umstrittenen Verjährung des Anspruches von Bedeutung hat danach der UVS Wien mit Bescheid vom 14.11.1991 die über den Kläger verhängte Schubhaft ab dem 30.9.1991 für rechtswidrig erklärt. Der Kläger wurde am 14.11.1991 aus der Schubhaft entlassen. Mit Schreiben vom 10.12.1991 machte der Kläger den hier eingeklagten Anspruch gegenüber der Finanzprokuratur geltend. Mit Schreiben vom 5.5.1992 (beim Klagevertreter am 7.5.1992 eingelangt) lehnte die Finanzprokuratur die Forderung ab. Rechtlich bejahte das Erstgericht den geltend gemachten Anspruch und verneinte die einwendete Verjährung. Die am 27.12.1994 eingebrachte Amtshaftungsklage sei innerhalb der Frist des § 6 Abs 1 AHG eingebracht worden. Der dreijährigen Verjährungsfrist sei noch die dreimonatige Hemmungsfrist für das Aufforderungsverfahren hinzuzurechnen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem alleinigen Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Im Berufungsverfahren ist weder der Entschädigungsbetrag noch der Umstand umstritten, daß die Klage innerhalb der um drei Monate verlängerten dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG eingebracht wurde. Die Berufungswerberin bekämpft ausschließlich die Anwendung der Verjährungsvorschrift des § 6 Abs 1 AHG und der in ihr enthaltenen Hemmung für drei Monate auf den vorliegenden Anspruch mit der Begründung, Ansprüche nach Art 5 Abs 5 MRK seien außerhalb des AHG geregelt. Für die Verjährung seien daher die Vorschriften des ABGB ausschließlich anzuwenden. Auch das OrgHG kenne ein Aufforderungsverfahren, ohne aber eine dem § 6 AHG ähnliche Hemmung der Verjährung vorzusehen.
Zutreffend hat das Erstgericht ausgeführt, daß Art 5 Abs 5 MRK einen selbständigen, verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch (auch für immaterielle Schäden) gewährt, der im Amtshaftungsverfahren durchzusetzen ist (vgl SZ 48/69, SZ 52/153, SZ 55/18 ua). Der OGH hat in seiner Entscheidung SZ 48/69 für die Beantwortung der in Art 5 Abs 5 MRK nicht geregelten Frage, welchen Rechtsträger die Haftung trifft, die Regelung des § 1 Abs 1 AHG herangezogen. Die Haftungsfrage ist aber sicher keine verfahrensrechtliche, sondern eine materiellrechtliche Frage. In SZ 52/153 führt der OGH aus, daß über ausschließlich aus Art 5 Abs 5 MRK abgeleitete Ersatzansprüche nur unter Anwendung der Bestimmungen des AHG, also auch unter Beachtung der dort normierten Verfahrensvorschriften, erkannt werden kann. Mit seiner Entscheidung SZ 60/1 schränkt der OGH die Anwendung des AHG nur insoweit ein, als die verfassungsrechtlichen Vorschriften den Schadenersatzanspruch anders regeln. Er lehnt die Ansicht Schantls, daß die materiellrechtlichen Vorschriften des AHG ganz allgemein überhaupt nicht sinngemäß heranzuziehen wären, ausdrücklich ab. Nur die Anwendung des § 7 AHG aF verweigert er als mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften in Widerspruch stehende Einschränkung des Ersatzanspruches. Auch die Anwendung der Verjährungsvorschrift des § 6 Abs 1 AHG bejaht er, ohne sich aber mit der (in jenem Verfahren nicht entscheidenden) Frage der Verlängerung (Hemmung) der dreijährigen Verjährungsfrist auseinanderzusetzen.
Entgegen der Auffassung der Berufungswerberin hat daher der OGH in seinen bisherigen Entscheidungen die Anwendung des AHG nicht auf Verfahrensvorschriften beschränkt. Vielmehr hat er anspruchshindernde oder anspruchshemmende Vorschriften des AHG dort ihre Geltung versagt, wo sie mit der Besonderheit des Entschädigungsanspruches in Widerspruch stehen. Die Hemmung der Verjährung nach § 6 Abs 1 letzter Satz AHG steht aber nicht im Widerspruch zu den Besonderheiten dieses Entschädigungsanspruches.
Aus der Entscheidung des OGH SZ 64/40 läßt sich für den Standpunkt der Berufungswerberin deswegen nichts gewinnen, weil das OrgHG den Rückgriff des Rechtsträgers auf sein Organ regelt und die in § 5 OrgHG nicht vorgesehene Hemmung der Verjährung gegenüber der Bestimmung des § 6 AHG eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung gegenüber dem Ersatzanspruch Außenstehender gegen den Rechtsträger darstellt. Der Entschädigungsanspruch nach Art 5 Abs 5 MRK steht aber den im AHG geregelten Schadenersatzansprüchen nicht aber den im OrgHG geregelten Rückgriffsansprüchen nahe. Zutreffend gelangte daher das Erstgericht zu dem Ergebnis, auch auf die Verjährung von Ersatzansprüchen nach Art 5 Abs 5 MRK sind die Verjährungsvorschriften des § 6 Abs 1 AHG einschließlich dessen letzter Satz anzuwenden.
Wenn auch das am 1.1.1991 in Kraft getretene PersFrG in seinem Art 7 das dementsprechende Recht auf volle Genugtuung einschließlich immaterieller Schäden regelt (vgl EB zur RV, 134 BlgNr. 17.GP, Lebitsch in JBl 1992, 430 insbesondere 439), ändert sich an diesen Überlegungen nichts. Denn weitere haftungsbegründende, die Verjährung oder das Verfahren regelnde Vorschriften enthält dieses Gesetz nicht und läßt die Vorschriften der MRK ausdrücklich unberührt.
§ 6 Abs 1 letzter Satz AHG stellt eine Hemmung der Verjährung dar (vgl Schragel AGH2 Rz 231). Wird aber die Verjährung für drei Monate gehemmt, so verlängert sich dadurch die dreijährige Verjährungsfrist insgesamt um diesen Zeitraum.
Der Berufung war demnach ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
Der Ausspruch über die generelle Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 500 Abs 2 Z 2 ZPO iVm § 502 Abs 2 ZPO.
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