Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende sowie Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. A* , geboren am **, Entwicklungsingenieur, ** **, **, vertreten durch die PRILLER Rechtsanwalts GmbH in Eggelsberg, gegen die beklagte Partei B* , geboren am **, Selbständiger, **, **straße **, vertreten durch die Raits Dalus Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 1. EUR 19.863,02 sA und 2. Feststellung (Streitwert: EUR 2.000,00) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil Landesgerichts Ried im Innkreis vom 29. Juli 2025, Cg*-32, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.482,62 (darin EUR 413,77 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 5.000,00, nicht aber EUR 30.000,00.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat am 20. Mai 2024 bei einer Trainingsfahrt mit seinem Rennrad einen Unfall erlitten und wurde dabei verletzt.
Mit der am 7. November 2024 eingebrachten Klage begehrte er die Zahlung des Klagsbetrags – bestehend aus EUR 15.000,00 Schmerzengeld, EUR 2.359,00 Sachschäden und EUR 2.504,02 unfallbedingten Kosten – sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus diesem Unfall. Dazu brachte er vor, den Beklagten treffe das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls, weil dieser ihn vorschriftswidrig überholt habe; Spät- und Dauerfolgen seien wahrscheinlich.
Der Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, er habe das Überholmanöver vorschriftsmäßig durchgeführt; den Kläger treffe das Alleinverschulden, jedenfalls aber das (weit) überwiegende Verschulden am Zustandekommen des Unfalls.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren abgewiesen. Der Entscheidung liegt – zusammengefasst – folgender weiterer Sachverhalt zugrunde:
Am Unfalltag befuhren die Streitteile mit ihren Rennrädern die ** Landesstraße ** von ** kommend Richtung **. Etwa im Bereich bzw kurz vor der Ortstafel „**“ überholte ein dritter Radfahrer, der mit dem Beklagten eine Trainingstour fuhr, den Kläger. Während dieser zu diesem Zeitpunkt etwa 50 km/h einhielt, fuhr der Beklagte etwa 20 bis 25 m hinter ihm mit 55 bis 60 km/h, sodass sich sein Abstand laufend verringerte.
Nach der Ortstafel fuhr der Kläger noch etwa 90 m – also bis zu jenem Bereich, in dem von der Landesstraße in einem Winkel von etwa 45° [richtiger wohl: 30°] eine Nebenstraße nach links abzweigt – mit unveränderter Fahrlinie etwa 0,5 bis 0,75 m links der rechten Randlinie weiter und bremste, weil er beabsichtigte, in diese Nebenstraße abzubiegen.
Nachdem der Beklagte den Abstand zum Kläger weiter reduziert hatte, begann auch er ab der Ortstafel, seine Fahrgeschwindigkeit bei unveränderter Fahrlinie etwas zu verringern, und fuhr dadurch nach der Ortstafel nur noch geringfügig schneller als der Kläger.
Nachdem dieser bei unveränderter Fahrlinie etwa 20 bis 30 m vor der Abzweigung durch die leichte Bremsung seine Geschwindigkeit auf etwa 40 bis 45 km/h reduziert hatte, wollte ihn der nur noch wenige Meter hinter ihm fahrende Beklagte nun überholen, trat deshalb kräftiger in die Pedale und lenkte sein Fahrrad in die Mitte der Fahrbahn in den Bereich der Leitlinie. Dabei beschleunigte er zum Überholen des mit unveränderter Fahrlinie fahrenden Klägers auf etwa 50 bis 55 km/h, sodass er zuletzt mit einem Seitenabstand von etwa 1,7 bis 2 m fast auf gleicher Höhe mit dem rechts neben ihm fahrenden Kläger war.
In diesem Moment lenkte der Kläger in der Absicht, in die Nebenstraße abzubiegen, augenblicklich nach links in den Bereich der Leitlinie, sodass sich die Streitteile bzw ihre Rennräder im Bereich der Leitlinie entweder (bis auf wenige Zentimeter) nahe kamen oder kurzzeitig berührten. Nicht festgestellt werden kann, ob das eine oder das andere der Fall war.
Der Beklagte konnte das augenblickliche Verlenken des Klägers nur innerhalb seiner Reaktionszeit von deutlich weniger als einer Sekunde wahrnehmen, reagierte jedoch noch darauf, indem er „Spinnst Du“ (oder Ähnliches) schrie und gleichzeitig sein Fahrrad weiter nach links lenkte und dadurch letztlich in die Nebenstraße fuhr.
Durch den (Beinahe-)Kontakt zwischen den Streitteilen bzw ihren Rennrädern wurde jenes des Klägers instabil; er konnte dieses nicht mehr beherrschen, fuhr direkt auf die etwa 1,2 m hohe Gartenmauer an der Abzweigung der Nebenstraße zu, kollidierte mit dem Vorderrad seines Rennrads frontal mit dieser und wurde erheblich verletzt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt vor Beginn seines Linksabbiegemanövers ein Handzeichen mit seinem linken Arm gab, um das beabsichtigte Manöver anzuzeigen. Es kann auch nicht festgestellt werden, ob er zu irgendeinem Zeitpunkt vor Beginn des Abbiegemanövers über seine Schulter blickte, um sich betreffend eines annähernden Verkehrsteilnehmers zu vergewissern. Hätte er dies unmittelbar vor Einleitung seines Manövers getan, hätte er den Beklagten wahrnehmen und den Unfall durch Abstandnahme vom Abbiegemanöver vermeiden können.
Der Beklagte konnte den Unfall ab der erstmaligen Wahrnehmbarkeit der Einleitung des Abbiegemanövers bzw des Verlenkens nicht mehr vermeiden. Er hätte den Unfall nur dadurch vermeiden können, dass er nicht beschleunigt hätte, um den Kläger zu überholen.
In der rechtlichen Beurteilung ist das Erstgericht zum Ergebnis gekommen, den Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall und den dadurch erlittenen Verletzungen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in seiner Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
1 In der Tatsachenrüge bekämpft der Kläger die kursiv dargestellten Feststellungen.
Das Erstgericht, das sich aufgrund der Einvernahme der Parteien und Zeugen einen persönlichen Eindruck von diesen verschaffen konnte, hat die den Feststellungen zugrundeliegenden Beweismittel gründlich und umfangreich gewürdigt; darauf kann verwiesen werden (§ 500a ZPO). Den Argumenten des Berufungswerbers ist lediglich ergänzend entgegenzuhalten:
1.1 Die Ersatzfeststellungen betreffen zum Teil nicht in den jeweils bekämpften Feststellungen enthaltene, sondern andere Umstände. Die drei begehrten Feststellungen zur Fahrlinie des Klägers sind überdies widersprüchlich: Während dieser sich nach der dritten ab der Ortstafel „Richtung Fahrbahnmitte“ eingeordnet hätte, wäre dies nach der ersten etwa 10 m und nach der zweiten etwa 50 m danach der Fall gewesen. Im unüberbrückbaren Widerspruch zur zweiten steht wiederum die Aussage des Klägers, er habe an dieser Stelle „in etwa den Bereich der Leitlinie in der Mitte der Fahrbahn erreicht“ (PV ON 17.1 S 6).
Ähnliches gilt für die Lokalisierung, ab wo der Kläger das Handzeichen gesetzt habe (erste Ersatzfeststellung: „ab der Ortstafel“, dritte: „kurz nach der Ortstafel“).
1.2.1 Zur Begründung der ersten Ersatzfeststellung, die auch die Feststellung eines „deutlich erkennbaren Handzeichens“ beinhaltet, verweist der Kläger insbesondere auf die Angaben des Zeugen C*, ohne auf die detaillierten Ausführungen des Erstgerichts zu deren (mangelnder) Zuverlässigkeit (Urteil S 10-12) einzugehen.
Davon abgesehen hat dieser Zeuge gerade nicht beobachtet, dass der Kläger ein Handzeichen mit der linken Hand gegeben hätte (ON 26.1 S 7; bekräftigend nach Vorhalt der Angaben des Klägers ON 26.1 S 9).
1.2.2 In Anbetracht der allgemein bekannten latenten Instabilität von Rennrädern, die letztlich unmittelbar zum Unfall geführt hat, würden die begehrten Ersatzfeststellungen dem Beklagten eine bewusste hochgradige Selbstgefährdung unterstellen. Diese Instabilität lässt es auch äußerst unwahrscheinlich erscheinen, dass ein Rennradfahrer bei einer Geschwindigkeit von 50 bis 40 km/h bzw von 58 bis 56 km/h (vgl die GPS-Daten Blg ./N ab Index 239, also der Ortstafel; vgl Gutachten ON 17.1 S 21) über eine Fahrtstrecke von 50 m mit durchgestrecktem und in einem Winkel von 45° abgespreiztem Arm einen (erst weitere 50 m später durchzuführenden) Abbiegevorgang ankündigt, wie vom Kläger angegeben (PV ON 17.1 S 6).
1.3 Die in der Berufung zitierten Ausführungen des Sachverständigen zur Fahrlinie des Klägers (ON 17.1 S 16) betreffen keine von diesem ermittelte Fahrlinie, sondern legen vielmehr dar, dass der Beklagte bei Zutreffen der Angaben des Klägers nicht mehr reagieren hätte können, mehr oder weniger geradeaus weitergefahren wäre und „jedenfalls nicht eine reflexartige Reaktion nach links setzen und in die dortige Seitenstraße abbiegen hätte können“.
Der Sachverständige hat überdies hervorgehoben, dass die Angaben des Klägers, wo er den Beklagten bei seinen drei Blicken über die Schulter wahrgenommen haben will, (im Ergebnis) nicht plausibel sind, weil dem Beklagten dann ein Spurwechsel mit einem Seitenversatz von 2,5 m innerhalb von 2 Sekunden „nur mehr bedingt möglich“ gewesen wäre, zumal dafür selbst bei einem zügigen Fahrmanöver zumindest 2,2 bis 2,3 Sekunden benötigt werden (ON 17.1 S 17). Im Gegensatz dazu hat er es für „durchaus denkbar“ erachtet, dass sich die Situation dargestellt hat, wie vom Beklagten geschildert (ON 17.1 S 18).
Nach den Angaben des Zeugen C*, auf die der Kläger ebenfalls verweist, sind die Streitteile zunächst gleichermaßen (konstant) etwa in der Mitte des rechten Fahrstreifens gefahren (ON 26.1 S 4; bekräftigend nach Vorhalt der Angaben des Klägers ON 26.1 S 9). Dieser Zeuge hat im Übrigen auch nicht beobachtet, dass der Kläger über die Schulter geblickt hätte (ON 26.1 S 7).
1.4 Der Kläger zitiert zwar die – auf GPS-Daten aus seinem Fahrradcomputer basierenden – Ausführungen des Sachverständigen zu den Fahrgeschwindigkeiten richtig. Er übergeht dabei jedoch letztlich die ausdrücklichen Hinweise des Sachverständigen, dass „GPS-Koordinaten und GPS-Positionen als auch die hier befindlichen und aufscheinenden Geschwindigkeiten immer sehr mit Vorsicht zu betrachten sind“, weil Positionstoleranzen von 1,5 bis 3 m auftreten (ON 17.1 S 20-22). Eine – noch gravierendere – Abweichung ergibt sich im Übrigen aus den Angaben des Klägers: Während er angegeben hat, er habe sein Fahrrad kurz vor der Ortstafel auf etwa 50 km/h abgebremst (ON 17.1 S 5, 6), hat sein Fahrradcomputer in diesem Bereich eine Geschwindigkeit von 58 km/h aufgezeichnet (Blg ./N zu Index 239; vgl dazu die Ausführungen des Sachverständigen ON 17.1 S 21).
1.5 Es gelingt dem Kläger damit insgesamt nicht, eine vom Berufungsgericht aufzugreifende fehlerhafte Beweiswürdigung darzulegen.
2 In der Rechtsrüge moniert der Kläger, der Beklagte sei an „einer derartigen Abzweigung“ zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Dabei übersieht er jedoch, dass dieser darauf vertrauen durfte, dass der Kläger die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen und nicht sein Rad „augenblicklich“ nach links verlenken würde, während er überholt wurde, was der Kläger bereits geraume Zeit wahrnehmen hätte können, wenn er vor dem Abbiegevorgang den nachfolgenden Verkehr beachtet hätte (§ 3 Abs 1 StVO).
3 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
4 Der Bewertungsausspruch resultiert aus der Summe des Leistungsbegehrens und des in der Klage unbedenklich bezifferten Feststellungsbegehrens.
5 Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu klären war.
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