Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Senatspräsident Dr. Robert Singer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Patrick Eixelsberger sowie die fachkundigen Laienrichter Gerold Royda (Kreis der Arbeitgeber) und VPräs. Harald Dietinger (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, **, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 2025, Cgs* 15, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, sodass es insgesamt zu lauten hat:
„1. Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab 1.8.2024 die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass bei der klagenden Partei ab 1.8.2024 bis 22.4.2025 vorübergehende Invalidität vorlag.
Der Anspruch der klagenden Partei auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation besteht im Zeitraum vom 1.8.2024 bis 22.4.2025 zu Recht.
Der Anspruch der klagenden Partei auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung besteht im Zeitraum vom 1.8.2024 bis 30.4.2025 zu Recht.
3. Das Eventualmehrbegehren auf Feststellung des Anspruchs auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung über den 22.4.2025 bzw 30.4.2025 hinaus wird abgewiesen.
4. Das zweite Eventualbegehren auf Feststellung des Anspruchs auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wird abgewiesen.
5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 673,39 (darin enthalten EUR 112,23 an USt) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 731,90 (darin enthalten EUR 121,98 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Im Berufungsverfahren ist unstrittig, dass die am ** geborene Klägerin keinen Berufsschutz genießt und die Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu prüfen ist.
Mit Bescheid vom 28.8.2024 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 29.7.2024 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung, kein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation und auch kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Die Klägerin begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage, die Beklagte zur Gewährung einer Invaliditätspension ab 1.8.2024 zu verpflichten, in eventu den Anspruch der Klägerin auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation samt Rehabilitationsgeld (aus der Krankenversicherung) festzustellen sowie wiederum in eventu den Anspruch der Klägerin auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation festzustellen. Aufgrund ihrer im Detail dargestellten Leidenszustände bzw Beschwerden sei sie invalid.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Klägerin sei noch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG verweisbar.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Hauptbegehren (rechtskräftig) ab und gab es dem ersten Eventualbegehren ab 1.8.2024 statt. Es legte den auf der Seite 2 ersichtlichen Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Diese Feststellungen sind auszugsweise wie folgt wiederzugeben:
Die Klägerin konnte ab dem Stichtag 1.8.2024 und schon davor seit spätestens Dezember 2023 keinerlei Arbeitstätigkeit ausüben. Spätestens ab dem 23.4.2025 kann sie leichte Arbeiten mit Tragen bis 5 kg und Heben bis 10 kg viertelzeitig, die restliche Zeit ohne Gewichtsbelastung im Gehen, Stehen und Sitzen ausführen. Bei Beschwerden muss die Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltung für 5 bis 10 Minuten gegeben sein, wobei weitergearbeitet werden kann. Ausgeschlossen sind Arbeiten auf Leitern, Gerüsten, in schwindelexponierten Lagen, mit abruptem Ziehen, Drücken, Stoßen, vermehrtem Treppensteigen, knieend, hockend, gebückt bis zum Boden, konstant vorgebeugt, über dem Kopf, mit Armvorhalt, mit häufiger als bloß fallweise überdurchschnittlichem Zeitdruck, Nässe, Kälte, Zugluft, starken Temperaturschwankungen, Akkord-, Nacht-, Schichtdienst. Auch bei Einhaltung all dieser Einschränkungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit leidensbedingten Krankenständen im Ausmaß von 1 bis 2 Wochen pro Jahr zu rechnen.
Ohne Überschreitung der oben festgestellten Grenzen der Arbeitsfähigkeit kann die Klägerin als Parkgaragenkassierin oder Museumsaufseherin arbeiten. Arbeitsplätze dieser Art gibt es an mehr als 100 freien oder besetzten Stellen in Österreich.
1. Vorweg ist auf den Anfechtungsumfang einzugehen. Die Beklagte führt in ihrer Berufungserklärung an, das Urteil vollumfänglich anzufechten; der Berufungsantrag lautet auf Klagsabweisung, dies zumindest ab 23.4.2025, in eventu Aufhebung des Urteils. Wie sich aus den Berufungsausführungen ergibt, richtet sich die Rechtsrüge der Beklagten bloß gegen die Stattgabe des Anspruchs auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung. Gegen die Abweisung des Hauptbegehrens trägt die Beklagte keine Argumente vor. Es wird daher davon ausgegangen, dass sich die Berufung ausschließlich gegen die Stattgabe des ersten Eventualbegehrens richtet, nicht jedoch gegen die Abweisung des Hauptbegehrens. Hinsichtlich des abweisenden Teils wäre die Beklagte auch nicht beschwert.
2. Die Berufung moniert, dass bei der Klägerin noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine wesentliche Verbesserung ihres Gesundheitszustandes eingetreten sei mit der Folge, dass sie jedenfalls ab 23.4.2025 ihr zumutbare Berufstätigkeiten wieder ausüben könne. Die Klägerin habe daher nur für den Zeitraum 1.8.2024 bis 22.4.2025 bzw 30.4.2025 (Monatsletzter aufgrund des Wegfalls der anspruchsbegründenden Voraussetzung) Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation samt Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Dazu ist auszuführen:
2.1 Für diejenigen Versicherten, die wie die Klägerin am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) abgeschafft, aber ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/ Berufsunfähigkeit sowie die neuen Leistungen des Rehabilitations- und des Umschulungsgeldes eingeführt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 2, 24).
Wird eine beantragte Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit abgelehnt, weil dauernde Invalidität aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustandes nicht anzunehmen ist, so hat der Versicherungsträger gemäß § 367 Abs 4 ASVG von Amts wegen festzustellen, ob und seit wann Invalidität im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG vorliegt, ob ein Rechtsanspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nach § 253e ASVG besteht, sowie ob die vorübergehende Invalidität voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird und ob ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 255b ASVG) besteht.
Diese Bestimmung gilt auch für das Arbeits- und Sozialgericht, weshalb diese Feststellungen gegebenenfalls auch amtswegig im sozialgerichtlichen Verfahren zu treffen sind (10 ObS 31/18h, 10 ObS 160/16a).
2.2 Ein eigenständiger Antrag auf Zuerkennung von Rehabilitationsgeld ist nicht vorgesehen. Gemäß § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG gilt vielmehr ein Antrag auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit vorrangig als Antrag auf Leistung der medizinischen Rehabilitation und Rehabilitationsgeld.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass ab dem Stichtag 1.8.2024 von einer absoluten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auszugehen sei, während der weitere Verlauf bis zum Untersuchungstermin 23.4.2025 nicht feststellbar sei. Die Voraussetzung einer Invalidität im Ausmaß von 6 Monaten für einen Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gemäß § 253f ASVG liege vor, weil die Arbeitsunfähigkeit spätestens mit 1.12.2023 eingetreten sei. Da medizinische Maßnahmen der Rehabilitation unbefristet zuzuerkennen seien, sei der konkrete Zeitpunkt der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit irrelevant.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Klagsabweisung, dies zumindest ab 23.4.2025; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
2.3 Rehabilitationsgeld gebührt ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität bzw Berufsunfähigkeit (§ 143a Abs 1 ASVG; RS0130706) und wird vom Krankenversicherungsträger unbefristet für die Dauer der vorübergehenden geminderten Arbeitsfähigkeit gewährt (10 ObS 31/18h). Der Krankenversicherungsträger hat das weitere Vorliegen der geminderten Arbeitsfähigkeit im Rahmen des Case Managements zu überprüfen (§ 143a Abs 1 ASVG).
2.4 Wenn wie im vorliegenden Fall vor dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine vorübergehende geminderte Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt ist, steht das Ende der Dauer der vorübergehenden geminderten Arbeitsfähigkeit fest. Dies hindert jedoch einen Zuspruch von Rehabilitationsgeld nicht. Eine gesetzliche Regelung, nach der das Rehabilitationsgeld in jedem Fall unbefristet zuzuerkennen ist, findet sich nicht. Eine Verpflichtung zur Zuerkennung von Rehabilitationsgeld über die Dauer der geminderten Arbeitsfähigkeit hinaus, also für einen Zeitraum, an dem die geminderte Arbeitsfähigkeit nicht mehr vorliegt, wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt. Das Rehabilitationsgeld ist dann vielmehr befristet bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit zuzusprechen (vgl 10 ObS 31/18h).
2.5 In Hinblick auf die angestellten Überlegungen zeigt sich, dass Rehabilitationsgeld für die Dauer der vorübergehenden Invalidität zu gewähren ist, sofern eine solche im Ausmaß von zumindest sechs Monate vorliegt. Nach den getroffenen Feststellungen bestand bei der Klägerin spätestens ab 1.12.2023 bis über den Stichtag 1.8.2024 hinaus Arbeitsunfähigkeit, weshalb insgesamt eine mehr als sechsmonatige Invalidität vorlag, wovon auch die Berufung ausgeht. Der Klägerin steht daher Rehabilitationsgeld ab 1.8.2024 nur befristet zu, und zwar aufgrund der von der Berufung eingeräumten Arbeitsunfähigkeit bis 22.4.2025 in sinngemäßer Anwendung des § 99 Abs 3 Z 2 ASVG bis Ende April 2025 (vgl 10 ObS 31/18h).
3. Nach § 253f Abs 1 ASVG haben Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 oder 3 im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation, wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig ist. Damit knüpft auch diese Regelung an eine gewisse Mindestdauer des Bedarfs an, ohne dass es auf die zeitliche Lagerung vor oder nach Antragstellung ankommt, weshalb die vorangeführten Ausführungen sinngemäß gelten. Im Übrigen fehlt es hier an einer Stichtagsregelung. Nur die Anspruchsdauer war mit 22.4.2025 zu befristen, weil die Klägerin ab 23.4.2025 jedenfalls wieder arbeitsfähig war und § 99 ASVG nur für laufende Leistungen, das sind Leistungen, die auf bestimmte oder unbestimmte Dauer gewährt und in regelmäßig wiederkehrenden Zeiträumen erbracht werden, gilt (vgl Schramm in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV-Komm § 99 ASVG Rz 2 [Stand 1.10.2021, rdb.at]; siehe auch 10 ObS 48/20m = RS0133205).
4. Der Berufung kommt daher in diesem Umfang Berechtigung zu und war das erstgerichtliche Urteil dahingehend teilweise abzuändern.
5. Die Kostenentscheidung im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
6. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil das Berufungsgericht die höchstgerichtliche Rechtsprechung auf den Einzelfall angewendet hat.
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