Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter DI. Josef Steinbichl (Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Judith Rameseder (Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Konstrukteur, **, **, vertreten durch die Korp Rechtsanwalts GmbH in Andorf, gegen die beklagte Partei B* , geboren am **, Studentin, **, **, vertreten durch die Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, wegen (ausgedehnt) EUR 8.844,44 sA , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Oktober 2024, Cga*-22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.458,67 (darin EUR 243,11 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die Beklagte waren Arbeitskollegen; die Beklagte war Lehrling und der Kläger sollte sie in bestimmten Bereichen anlernen. Ab März 2021 lagen ihre Arbeitsplätze daher nebeneinander. Das Dienstverhältnis des Klägers endete am 31. Dezember 2022 aufgrund einer Arbeitnehmerkündigung.
Mit der in der Tagsatzung am 18. Juli 2024 (ON 17.3) ausgedehnten Klage begehrte der Kläger EUR 8.844,44 sA an Verdienstentgang und brachte dazu vor, die Beklagte habe ihn durch ihre Bekleidung und ihr Verhalten sexuell provoziert. Ihr Verhalten sei für den Kläger anstößig und nicht tolerierbar gewesen. Es sei zu wechselseitigen Anzeigen gekommen, was dazu geführt habe, dass die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers die Zurücknahme der vom Kläger ausgesprochenen Kündigung nicht angenommen habe. Das Verhalten der Beklagten sei ursächlich für die Beendigung des Dienstverhältnisses gewesen und daher sei sie für die erlittenen Gehaltseinbußen ersatzpflichtig.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, keinerlei Handlungen gesetzt zu haben, die dazu geführt hätten, dass der Kläger das Unternehmen verlassen habe müssen. Die Beklagte habe kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten gesetzt, welches den behaupteten Verdienstentgang verursacht habe. Es sei lediglich die Eigenkündigung des Klägers für die Beendigung des Dienstverhältnisses ausschlaggebend gewesen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es folgenden Sachverhalt zugrunde:
Am 22. Juni 2021 trug die Beklagte bei der Arbeit einen Jumpsuit mit Spaghettiträgern. Im Zuge eines Gesprächs mit dem Kläger stützte sich die Beklagte mit dem Armen auf dem Schreibtisch ab. Durch die Bewegung ihres Oberkörpers verrutschte versehentlich das Oberteil und der Kläger konnte für einen kurzen Moment die nackte Brust der Beklagten erblicken. Der Kläger hat diesbezüglich nichts zur Beklagten gesagt.
Am 23. Juni 2021 hatte die Beklagte ein bauchfreies Shirt an. Während eines Gesprächs zwischen den Parteien zog die Beklagte ihren BH und ihr Shirt zurecht, wobei weder die Brust noch die Unterwäsche zu sehen waren. Später an diesem Tag setzte sich die Beklagte vor dem Kläger so hin, dass sie den Unterschenkel des einen auf den Oberschenkel des anderen Beins legte. Der Kläger sah dadurch den Bauch sowie den Schambereich der Beklagten, letzteres jedoch bedeckt durch die Hose. In weiterer Folge spielte die Beklagte an ihren Socken, wodurch der Kläger wieder zum Schambereich schaute. Ebenfalls an diesem Tag stellte sich die Beklagte neben den Kläger, als dieser gerade ein E-Mail an einen Lieferanten verfasste, um hier mitlesen zu können, weshalb der Oberkörperbereich der Beklagten auf seiner Augenhöhe war.
Am 24. Juni 2021 gingen die Beklagte und der Kläger nach der Arbeit gemeinsam zum Parkplatz. An einer Gabelung blieben sie stehen und unterhielten sich weiter. Die Beklagte stand dabei auf dem Gehsteig und der Kläger auf der Straße, sodass der Kläger auf Augenhöhe zum Brust- bzw Bauchbereich der Beklagten sehen konnte.
Am 13. August 2021 trug die Beklagte eine enge Jeanshose und ein Shirt mit tieferem Ausschnitt. Sie saß breitbeinig da, spielte mit ihrem BH-Träger und fuhr mit ihrer Hand ihren Ausschnitt am Shirt nach. Als der Kläger sich umdrehte, um weiterzuarbeiten, hatte er das Gefühl, dass die Beklagte ihre Beine weiter auseinander riss, sodass er aus Reflex erneut hinschaute. Die Beklagte hatte auch öfters Fragen bezüglich der Arbeit, wobei der Kläger Sicht auf die mit Kleidung bedeckte Brust der Beklagten hatte. Beim Schuhbandbinden bückte sich die Beklagte nach vorne, wobei der Kläger dabei auf ihren Ausschnitt schauen konnte.
Am 14. August 2021 zeigte der Kläger der Beklagten eine auf seinem Handy von ihm verfasste Nachricht mit dem Inhalt „Wer oder was steckt hinter dem allen“. Die Beklagte erklärte, dass sie nichts getan habe. Der Kläger teilte ihr mit, dass er das nicht möge, und fragte, ob sie wer auf ihn angesetzt habe. Aufgrund dessen gab es Gespräche mit einem Vorgesetzten. Dem Kläger und der Beklagten wurden neue Arbeitsplätze zugewiesen und die jeweiligen Arbeitsbereiche geändert, sodass es in weiterer Folge keine Berührungspunkte zwischen den Streitteilen mehr gab.
Eines Tages ging die Beklagte zu einer Arbeitskollegin, welche hinter dem Kläger saß. Die Beklagte bückte sich daraufhin, um ihre Schuhbänder zu binden. Der Kläger empfand dies so, dass die Beklagte quasi ihr Gesäß in sein Gesicht drückte.
Der Kläger fühlte sich durch das oben geschilderte Verhalten der Beklagten in sexueller Hinsicht provoziert bzw belästigt. Er äußerte sich gegenüber der Beklagten jedoch zu keiner Zeit, dass ihr Verhalten für ihn sexuell aufreizend sei und er ihre Kleiderwahl als nicht angemessen empfinde. Die Beklagte hatte nie die Intention, den Kläger durch die oben angeführten Handlungen sexuell zu belästigen.
Im Jahr 2022 wechselten sowohl der Kläger als auch die Beklagte die Abteilung. Etwa Mitte Juni 2022 wartete der Kläger auf die Beklagte am Parkplatz und fragte sie, ob sie auf ein Eis gehen könnten, um etwas zu besprechen. Die Klägerin wollte jedoch einen Termin im Besprechungsraum. Am 28. Juni 2022 fragte der Kläger bei der Beklagten via WhatsApp nach, wann sie sich denn nun treffen würden. Die Beklagte stimmte einem Treffen schließlich nicht zu. Am 19. September 2022 trafen sich beide zufällig am Parkplatz. Der Kläger wartete bis die Beklagte auf ihn aufschloss und wollte in weiterer Folge von ihr unter anderem wissen, ob sie gegenüber der Personalvertreterin angegeben habe, dass er über ihren Kleidungsstil gelästert habe. Am 22. September 2022 wartete der Kläger erneut auf dem Parkplatz auf die Beklagte und stellte sie hinsichtlich des Geschehens während ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit zur Rede. Als die Beklagte die Autotür öffnete, stellte sich der Kläger in die Tür, sodass der Beklagten das Einsteigen nicht möglich war, und verlangte weiterhin Auskunft. Erst nachdem die Beklagte den Kläger mit lauterer Stimme aufgefordert hatte, sie in das Auto zu lassen, wich er ein Stück zurück; die Beklagte konnte einsteigen und wegfahren. Die Beklagte erstattete noch am selben Tag Anzeige gegen den Kläger.
Die Beklagte hat den Kläger nicht zu Unrecht bezichtigt. Das gegen ihn wegen beharrlicher Verfolgung geführte Ermittlungsverfahren wurde am 3. Oktober 2022 eingestellt.
Da der Kläger dachte, seine Arbeitgeberin werde ihn kündigen, er dies aber nicht wollte, kündigte er am 6. Oktober 2022 sein Dienstverhältnis selbst auf. Dass eine Arbeitgeberkündigung im Raum stand, war nie Thema und wurde darüber auch nicht gesprochen. In weiterer Folge zog der Kläger seine Kündigung zurück. Dieses Angebot der Kündigungszurückziehung wurde von der Arbeitgeberin nicht angenommen. Grund dafür war nicht das Verhalten der Beklagten bzw ihre Anzeige gegen den Kläger.
Der Kläger erstattete am 29. Mai 2023 Anzeige gegen die Beklagte. Das gegen die Beklagte wegen sexueller Belästigung und Verleumdung geführte Ermittlungsverfahren wurde am 25. Juli 2023 eingestellt.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass eine sexuelle Belästigung nicht vorliege; auf das subjektive Empfinden des Klägers komme es nicht an. Zudem mangle es an der Kausalität; der Kläger habe das Dienstverhältnis selbst aufgelöst.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Klagsstattgabe.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
1 Eine sexuelle Belästigung iSd § 6 Abs 2 Z 1 GlBG liegt vor, wenn ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft oder dies bezweckt.
1.1 Zutreffend kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass die festgestellten Verhaltensweisen der Beklagten diese Tatbestandsvoraussetzungen für eine sexuelle Belästigung nicht erfüllen. Dem hat die Berufung nichts entgegen zu setzen. Insbesondere vermögen die Berufungsausführungen nicht darzulegen, worin in der Bewegung des Oberkörpers, die zu einem versehentlichen Verrutschen der Kleidung führte und dem Kläger für einen kurzen Moment einen Blick auf die nackte Brust der Beklagten ermöglichte, eine sexuelle Belästigung liegen soll. Bei objektiver Betrachtung ist dies jedenfalls ungeeignet, eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt zu schaffen. Die Rechtsrüge geht auch nicht darauf ein, inwieweit das festgestellte Verhalten der Beklagten ein der sexuellen Sphäre zugehöriges sein soll. Wenn sich der Kläger etwa durch die Einnahme gängiger Sitzpositionen, das Spielen an Socken oder das Schuhbandbinden gezwungen fühlt, in Richtung (bedecktem) Brust- bzw Schambereich oder den Ausschnitt der Beklagten zu blicken, so kann ihr dies nicht angelastet werden.
1.2 Der Berufung ist darin zuzustimmen, dass sexuelles Verhalten weit auszulegen ist (vgl Windisch-Graetz in ZellKomm³ § 6 GlBG Rz 2) und es sich in vielen Fällen um doppelsinnige Verhaltensweisen handelt. Grundsätzlich kommt es zwar bei einer sexuellen Belästigung nicht auf die Absicht des Belästigers an, aber gerade bei zweideutig gemeinten Bemerkungen ergibt sich die sexuelle Konnotation oft nicht aus dem Wortlaut, sondern aus dem Tonfall oder der Betonung. Insoweit kann es sehr wohl von Bedeutung sein, ob eine sexuelle Anspielung beabsichtigt war oder nicht (OGH 8 ObA 6/21x [Rz 50]). Nichts anderes kann gelten, wenn die Berufung davon ausgeht, dass die festgestellten Verhaltensweisen der Beklagten als „visuelle Übergriffe gedeutet werden können“.
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hatte die Beklagte jedoch nie die Intention, den Kläger sexuell zu belästigen. Indem die Berufung der Beklagten unterstellt, ihre sexuellen Belästigungen ganz gezielt und bewusst gesetzt zu haben, entfernt sich die Rechtsrüge vom festgestellten Sachverhalt.
2.1 Ob nun das Verhalten der Beklagten kausal dafür war, dass der Kläger kündigte, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger macht nämlich der Beklagten konkret zum Vorwurf (vgl Prot ON 17.3 S 2 und ON 19.5 S 15), dass ihr Verhalten dazu geführt habe, dass die ehemalige Arbeitgeberin die Zurückziehung der Kündigung durch den Kläger nicht angenommen habe. Dazu traf das Erstgericht aber eine unbekämpft gebliebene negative Feststellung.
2.2 Zudem kündigte der Kläger nicht etwa aufgrund eines unzumutbaren Arbeitsklimas, sondern, um einer (überhaupt nicht im Raum stehenden) Arbeitgeberkündigung zuvorzukommen.
3 Aus den genannten Gründen musste der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.
4 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO, wobei ein Rundungsfehler von EUR 0,01 zu korrigieren war.
5 Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist nicht zulässig, da keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zur Lösung anstanden.
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