Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A* wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 26. Februar 2025, BE*-9, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben, als der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung verwiesen wird.
Begründung:
Der ** geborene A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. November 2011, Hv* – soweit im aktuellen Zusammenhang noch relevant – nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hatte in der Nacht zum 29. September 2010, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss seiner schweren Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, emotional instabilen, impulsiven und abhängigen Anteilen (F61.0), eines Abhängigkeitssyndroms von Alkohol (F10.25) und schädlichen Gebrauchs von illegalen Drogen, besonders Cannabinoiden und Benzodiazepinen (F19.1), einen Bekannten, den er für den Drogentod seines Freundes verantwortlich machte, zunächst damit bedroht, er werde ihn noch am selben Tag umbringen und ihm in der Folge mehrmals ins Gesicht geschlagen, wodurch das Opfer Frakturen des Nasenbeins, der Orbitawand und des Orbitadachs erlitt, sowie im Anschluss daran ein Wellenschliffmesser mit 20,5 cm langer Klinge in den rechten Brust- und Bauchraum gestoßen, wodurch das Opfer neben der Stichverletzung eine Lungenunterlappeneinblutung, Verletzungen am Zwerchfell, am Rippenfell und an der Leber sowie eine Blutung in die freie Bauchhöhle davontrug (§§ 107 Abs 1 und Abs 2; 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB).
Die Maßnahme wird seit 23. November 2011 vollzogen, seit 20. September 2022 befindet sich A* in der Justizanstalt B*. Sämtliche, auch vor dieser Anlasstat und seither noch über den Untergebrachten verhängten Freiheitsstrafen sind seit 28. Februar 2023 vollzogen (ON 3, 2).
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 9) stellte das Erstgericht nach Einholung einer forensischen Stellungnahme des Forensisch-therapeutischen Zentrums B* (ON 6) sowie Durchführung einer Anhörung (ON 8) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fest.
Dagegen richtet sich die sogleich angemeldete (ON 8, 2) und durch eine Verteidigerin ausgeführte (ON 12) Beschwerde des Eingewiesenen, die insoweit im Recht ist, als es vor neuerlicher Beschlussfassung zunächst noch der Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen durch das Erstgericht bedarf (§ 89 Abs 2a Z 3 StPO).
Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen. Sie sind so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 erster Satz StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB).
Dem Beschwerdevorbringen zuwider leitete das Erstgericht mit zutreffenden Argumenten und ausreichender Begründung aus der forensischen Stellungnahme des FTZ B* sowie dem zuletzt eingeholten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Mag. C* vom 11. Jänner 2024 (Ergänzungsgutachten zum Gutachten vom 4. August 2023, dem eine Befundaufnahme im Juli 2023 zugrunde lag) ab, dass beim Untergebrachten nach wie vor eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen Zügen und impulsiven sowie dissozialen und abhängigen Anteilen (F61.0), eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom, unter beschützenden Bedingungen abstinent (F10.2), sowie eine psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, schädlicher Gebrauch, unter beschützenden Bedingungen ebenfalls abstinent (F19.1), vorliegt, welche Störung auch ursächlich war für die der Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch vom 22. November 2011 zugrunde liegenden strafbaren Handlungen. Mit Rücksicht darauf, dass nach den unbedenklichen Beurteilungen des FTZ B* in ihrer forensischen Stellungnahme der Eingewiesene einer Gruppe von Gewaltstraftätern mit hohem Risiko für die Begehung zukünftiger allgemeiner Gewalttaten zuzuordnen und von einer hohen Ausprägung des Konstrukts „psychopathy“ nach Hare auszugehen ist, er schließlich auch einer Gruppe mit überdurchschnittlichem Rückfallrisiko zuzuordnen ist, gelangte das Erstgericht zu dem Schluss, dass die sehr hohe Wahrscheinlichkeit und Befürchtung besteht, dass der Eingewiesene unter dem maßgeblichen Einfluss seiner genannten Störungen in absehbarer Zeit, nämlich in einem Zeitraum von null bis fünf Jahren on risk unterbringungstaugliche Prognosetaten mit schweren Folgen, konkret schwere Körperverletzungen begehen wird, wie jene Taten, wegen denen er auch verurteilt und eingewiesen wurde. Dabei hat das Erstgericht auch berücksichtigt, dass sich A* derzeit zwischen Absichtslosigkeits- und Vorbereitungsphase befindet, also seine Problembereiche teilweise erkennt und teilweise bereits angemessene Verhaltensänderung zeigt, die jedoch noch nicht ausreichend stabil sind. Soweit die Beschwerde daher auf einzelne der in diesem Zusammenhang insgesamt 20 untersuchten dynamischen Risikovariablen verweist und daraus stabile angemessene Verhaltensänderungen ableitet, verbleiben zahlreiche Variablen, bei denen er sich erst in der Absichtsbildungsphase befindet, daher lediglich eine oberflächliche Einsicht zeigt und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit angemessenen Verhaltensänderungen noch offen ist (vgl ON 6, 12 ff). Mit dem Verweis auf die konkrete Befürchtung der neuerlichen Begehung schwerer Körperverletzungen, wie jener, die der Anlasstat zugrunde lag, hat das Erstgericht die Prognosetaten sachverhaltsmäßig so umschrieben, dass sie rechtlich die Annahme einer strafbedrohten Handlung mit schweren Folgen möglich macht, lagen doch der Anlasstat – wie beschrieben – neben massiven Schlägen ins Gesicht des Opfers insbesondere auch Stichverletzungen mit einem Messer mit 20,5 cm langer Klinge zugrunde (zum Ganzen 14 Os 37/24h = EvBl 2025/25).
Der Vollzug einer Maßnahme dient dazu, dass sich die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegende Gefährlichkeit nicht realisiert, die Prognose sich demnach nicht erfüllt. Zeigt sich im Vollzug einer Maßnahme, dass der, der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Gefährlichkeit auch ohne Fortsetzung der Anhaltung wirksam begegnet, die Gefährlichkeit also „hintangehalten“ werden kann, erfordert der Zweck der Maßnahme ihren weiteren Vollzug nicht mehr, die Unterbringung ist nicht mehr „notwendig“ und daher nicht „aufrecht zu erhalten“. Richtet sich der Vollzug einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme dagegen, dass sich die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegende Gefährlichkeit realisiert, besteht angesichts der Annahme, die Gefährlichkeit werde auch durch Maßnahmen außerhalb der Anstalt hintangehalten werden können, die als Vollzugszweck anzusehende „Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richtet“, ebenso wenig weiter (§ 47 Abs 2 StGB), wie wenn die Befürchtung unter die Grenze hoher Wahrscheinlichkeit zu liegen gekommen wäre. Indem das Gesetz Notwendigkeit des Maßnahmenvollzugs und Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richtet, gleichsetzt, ist damit angesichts der durch das StRÄG 2001 veränderten Normsituation aus systematischen und historisch-teleologischen Gründen ein – innerhalb der Wortlautgrenze liegendes – Verständnis dieser Bestimmung dahingehend angezeigt, dass der Fortbestand der Gefährlichkeit, welche zur Anordnung der Maßnahme führte, weder einer bedingten Entlassung (§ 47 Abs 2) noch dem Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung (§ 54 Abs 2) entgegensteht, vielmehr neben der Gefährlichkeit im Sinne der jeweiligen Unterbringungsvoraussetzung die Substituierbarkeit der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit ihres Vollzugs in Rechnung zu stellen ist ( Haslwanter in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 47 Rz 6 ff).
Eine Entscheidung nach § 25 Abs 3 StGB erfordert daher neben der Prüfung, ob die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr oder weiterhin besteht, bei Bejahung der Gefährlichkeit auch die Prüfung der Frage, ob die weiterhin bestehende Gefährlichkeit auch durch Maßnahmen außerhalb der Anstalt hintangehalten werden kann.
Zutreffend kritisiert die Beschwerde, dass das Erstgericht dazu keine ausreichende Begründung vorgenommen hat. Vielmehr wurde ausgehend von der weiterhin bestehenden hohen Gefahr, dass der Untergebrachte unter dem maßgeblichen Einfluss seiner Störung unterbringungstaugliche Prognosetaten mit schweren Folgen begehen werde, gleichzeitig als unmöglich angesehen, die Gefährlichkeit außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums hintanzuhalten (ON 9, 4), woraus abgeleitet werden könnte, dass die Gefährlichkeit selbst als Hinderungsgrund für eine Maßnahme extra muros erachtet wird. Auch das FTZ B* nahm zur Frage der Substituierbarkeit der Unterbringung nicht Stellung, sondern verwies lediglich darauf, dass nach Mai 2019 keine Vollzugslockerungen bei A* mehr vorgenommen wurden (davor gewährte Unterbrechungen der Unterbringung scheiterten daran, dass der Eingewiesene sich nicht der Hausordnung entsprechend verhielt und Drogen konsumierte [vgl ON 6, 8]). In seinem Gutachten vom 11. Jänner 2024 hielt der Sachverständige Mag. C* bereits fest, dass aktuelle Beobachtungen und Berichte über extramurale Erprobungen im Rahmen eines Risiko-Management-Settings (forensische Nachbetreuungseinrichtung mit Auflagen und Kontrollen) derzeit nicht vorliegen würden, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass die Gefährlichkeit noch nicht ausreichend abgebaut ist.
Das Erstgericht wird daher, allenfalls nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des FTZ B* zu prüfen haben, ob es zur Erreichung des Zwecks des Maßnahmenvollzugs genügt, dass der Untergebrachte – ungeachtet des Fortbestands der die Anordnung der Maßnahme rechtfertigenden Gefährlichkeit – auch extra muros hintangehalten werden kann (vgl Haslwanter in Höpfel/Ratz , WK² StGB § 47 Rz 10).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
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