Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A*wegen bedingter Entlassung aus der strafrechtlichen Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 22. März 2024, 24 BE 230/23h-23, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
BEGRÜNDUNG:
Der am ** geborene A* wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Linz vom 11. Juni 2021, 33 Hv 69/20y, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) und einem schädlichen Gebrauch von Cannabis (F12.1) beruht, den Betreuer B*
I. gefährlich mit dem Tod bedrohte, um diesen in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er sich Stirn an Stirn gegen diesen aufbaute, ihn schubste und sagte: „I gib da die Faust!“ und sich anschließend vor das Fenster des Büros stellte, lautstark schrie, B* soll rauskommen und das mit ihm klären und sodann mit einem Messer in der Hand Stichbewegungen in Richtung B* führte;
II. durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich ihm Einlass zu gewähren, zu nötigen versucht, indem er schrie, er (B*) solle aufmachen, er wolle in die Küche und sich etwas zu essen machen, nachdem B* den Einlass verweigerte, gegen die Tür trat und schrie: „Mach jetzt sofort auf oder ich stech dich ab!“, somit Taten begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I.) und als das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II.) zuzurechnen wären.
In den Entscheidungsgründen hielt das Urteilsgericht fest, dass beim Betroffenen nach seiner Person, seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten sei, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wobei konkret mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten sei, er werde weiterhin gefährliche Drohungen mit dem Tod, an sich schwere Körperverletzungen, schwere Nötigungen oder Verletzungen unter Einsatz eines Messers begehen (US 11 in 33 Hv 39/20y des Landesgerichts Linz).
In dem dieser Entscheidung zu Grunde gelegten Einweisungsgutachten Dris. C*, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, stellte die Sachverständige fest, dass der Betroffene aus psychiatrischer Sicht an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) und schädlichem Gebrauch von Cannabis (F12.1) leide. Durch die Grunderkrankung bzw Kombination von Substanzabusus und Neigung zu psychotischer Reaktionsbildung seien die Kriterien einer höhergradigen seelisch-geistigen Abnormität gegeben. Im Zuge der Grunderkrankung sei der Betroffene zwar formal noch in der Lage gewesen, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, aber nicht mehr in der Lage, sein Handeln in Erregungszuständen zu steuern. Eine Verbesserung in absehbarer Zeit wurde nicht für möglich gehalten. Das bisherige Verhalten ließe ein Muster teilweise reaktiver, teilweise überschießender Aggressionshandlung erkennen. Er handele teilweise auf paranoid gefärbte Denkinhalte, wobei sich durch die Affinität zu Waffen und dem Selbstbild, eine Unterweltfigur darzustellen, zusätzlich ein hohes Risiko für tätliche Gewalt ableiten ließe. Ohne entsprechende Behandlung sei mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Betroffene erneut Drohungen gegen Leib und Leben aussprechen und tätliche Angriffe setzen wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien Taten mit schweren Folgen im Sinne des Gesetzes (Drohungen mit dem Tod, Nötigungen, schwere Körperverletzungen) zu erwarten.
A* befand sich ab 19. Mai 2021 in der Forensischen Abteilung des D* E* 203. Seit 20. November 2023 wird er im F* (G* angehalten.
Nach Einholung einer psychiatrischen Stellungnahme durch das H* I* (ON 8), einer forensischen Stellungnahme des G* (ON 21) sowie eines forensisch-psychologischen Gutachtens des psychologischen Sachverständigen ua für Kinder- und Jugendpsychologie, Mag. J*, (ON 17) sowie Anhörung des Betroffenen (ON 22) stellte das Landesgericht Linz die Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung des Betroffenen A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB fest (ON 23). Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass ausgehend von einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung samt einem zurückliegenden schädlichen Gebrauch multipler psychotroper Substanzen die einweisungsrelevante Gefährlichkeit beim Betroffenen weiterhin vorliege. Aufgrund der fortbestehenden Gefahr neuerlichen Substanzkonsums, der sich im Rahmen einer Flucht des Betroffenen aus der Unterbrechung der Unterbringung verwirklicht habe, und in der Folge zeitnah zu befürchtenden Wiederauflebens der einweisungsbegründenden Gefährlichkeit bestehe beim Betroffenen zum aktuellen Zeitpunkt weder Anlass noch Handhabe, die Anhaltung im Maßnahmenvollzug durch alternative Maßnahmen zu substituieren. Aktuell sei er nicht in der Lage, unter belastenden Umständen außerhalb einer geschützten Umgebung abstinent zu bleiben.
Dagegen richtet sich die sogleich angemeldete (S 5 in ON 2) sowie schriftlich ausgeführte Beschwerde (ON 24) des Betroffenen, mit der dieser primär seine bedingte Entlassung, in eventu die Aufhebung des Beschlusses zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung (Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie) begehrt.
Die Beschwerde, zu der die Oberstaatsanwaltschaft Linz keine Stellungnahme abgegeben hat, ist nicht berechtigt.
A* war zum Vorfallszeitpunkt 14 Jahre alt, sodass für ihn die mit dem MVAG 2022 eingeführte, am 1. September 2023 in Kraft getretene Bestimmung § 5 Abs 6b JGG als lex specialis gegenüber § 21 Abs 3 StGB zur Anwendung kommt. Danach kann Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung Jugendlicher und junger Erwachsener nach § 21 StGB nur eine Tat sein, für die nach den allgemeinen Strafgesetzen eine lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe im Höchstausmaß von mindestens zehn Jahren angedroht ist. Sind Jugendliche und junge Erwachsene strafrechtlich untergebracht, bei denen nach § 5 Z 6b JGG keine Anlasstat (mehr) vorliegen würde, sieht § 63 Abs 16 JGG idF BGBl I Nr 98/2023 vor, dass der Anstaltsleiter, im Falle der Unterbringung in einer öffentlichen Krankenanstalt deren Leiter, sofern die bedingte Entlassung nicht ohnehin schon zuvor erfolgte, bis zum 31. Dezember 2023 eine Fallkonferenz einzuberufen hat, für die § 17c JGG sinngemäß gilt. Sofern in der Folge die Voraussetzungen hiefür vorliegen, sind die betroffenen Untergebrachten bedingt zu entlassen. Eine unbedingte Entlassung ist auch für den Fall des „Wegfalls“ einer Anlasstat aufgrund des MVAG 2022, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 98/2023, nicht vorgesehen.
Eine solche Fallkonferenz, die entsprechend der Bestimmung des § 63 Abs 16 JGG den Zweck hat, unmittelbar nach Einführung dieser Bestimmung, jedenfalls aber bis zum 31. Dezember 2023 die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung des betroffenen Untergebrachten zu prüfen, hat nach dem Bericht des H* K* am 13. November 2023 stattgefunden und ergeben, dass eine bedingte Entlassung des Untergebrachten bei aktueller Absonderung wegen Fremdgefährdung sowie nach zuletzt erfolgtem Abbruch einer Unterbrechung der Unterbringung wegen Flucht nach bereits drei Tagen nicht möglich und eine Betreuung durch L* nicht notwendig sei (ON 7). Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat daher die gesetzlich vorgesehene Fallkonferenz in sinngemäßer Anwendung des § 17c JGG stattgefunden, die allerdings nicht Grundlage für die angefochtene Entscheidung der jährlichen Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einem forensich-therapeutischen Zentrum gemäß § 25 Abs 3 StGB war, vielmehr der Überprüfung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung des strafrechtlich Untergebrachten aufgrund der Neueinführung der Bestimmung des § 5 Abs 6b JGG mit dem MVAG 2022 diente.
Soweit die Beschwerde releviert, dass schon im Einweisungsverfahren kein Sachverständiger aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie beigezogen worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Betroffene als auch seine gesetzliche Vertreterin im Hauptverfahren der Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Jugendpsychiatrie entgegentraten und der Verteidiger einen entsprechend gestellten Beweisantrag nach Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. C*, demnach sie seit zwei Jahren Hauptverantwortliche in der Forensischen Abteilung für Jugendpsychiatrie des M* H* D* sei, zurückgezogen hat (S 22 im HV-Protokoll zu 33 Hv 69/20y des Landesgerichts Linz).
Die Beschwerde, die auch im gegenständlichen Verfahren releviert, dass entgegen der Bestimmung des § 17b JGG ein Gutachten eines kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigen nicht eingeholt wurde, vielmehr ein Sachverständiger der klinischen Psychologie des Kindes- und Jugendalters bestellt wurde, macht nicht geltend, inwiefern das psychologische Gutachten mangelhaft sei und deshalb ein weiteres Gutachten durch einen Psychiater einzuholen sei. Tatsächlich releviert die Beschwerde lediglich, dass die beim Betroffenen in der Vergangenheit gestellten Diagnosen geändert wurden, welcher Einwand allerdings das psychologische Gutachten, das ausgehend von der zuletzt erstellten Diagnose beim Betroffenen, dessen Gefährlichkeit zu überprüfen hatte, nicht mangelhaft macht. Richtig ist, dass das Einweisungsgutachten noch eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis beim Betroffenen diagnostiziert hatte. Aus der psychiatrischen Stellungnahme des H* D* vom 25. April 2022 ergibt sich allerdings, dass – nach mehrmonatiger Beobachtung des Betroffenen durch psychiatrische Fachärzte – die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie verworfen und die Diagnose der emotional instabil, impulsiven und histrionischen Persönlichkeitsentwicklungsstörung gestellt wurde, wobei an dieser Diagnose einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung bis zuletzt festgehalten wurde.
Gemäß § 47 Abs 2 StGB ist eine bedingte Entlassung aus einem forensisch-therapeutischen Zentrum zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung eines Betroffenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die Unterbringung richtet, nicht mehr besteht.
Sowohl der Sachverständige in seinem forensisch-psychologischen Gutachten als auch die psychiatrische Stellungnahme des H* D* und damit in Übereinstimmung die forensische Stellungnahme des G* kamen zu dem Ergebnis, dass bei A* derzeit die bedingte Entlassung nicht möglich sei, weil die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch nicht abgebaut ist, mithin außerhalb der schützenden Strukturen des forensisch-therapeutischen Zentrums nicht hintangehalten werden kann und unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen zu erwarten sind. Hervorzuheben sind die Ausführungen in der psychiatrischen Stellungnahme des H* K*, das über einen Beobachtungszeitraum des Betroffenen von mehr als zwei Jahren verfügt, demnach es bislang im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklungsstörung noch zu keiner Verbesserung und Stabilisierung des Betroffenen gekommen sei. A* benötige ein hoch strukturiertes Setting mit multiprofessioneller Betreuung. Zwei begonnene Unterbrechungen in der Unterbringung mussten wegen Regelverstößen abgebrochen werden. Aus der zuletzt am 5. September 2023 begonnenen N* sei der Betroffene am 9. September 2023 geflüchtet, habe Drogen konsumiert und sei in einen Raufhandel verwickelt worden. Nach dem Abbruch der N* sei der Betroffene ständig in Konflikte mit Mitpatienten geraten. Eine Verhaltensänderung sei völlig ausgeblieben, eine verantwortungslose Haltung überdauernd. Auch sei er nicht mehr zur regelmäßigen Visite erschienen. Im Stationsleben habe er seinen überhöhten Selbstwert demonstriert und unrealistische Pläne und Beziehungen geschildert. Er sei nicht davor zurückgeschreckt, negativ auf Mitpatienten einzuwirken und habe jegliche Therapie ohne eine Begründung abgelehnt. Mehrmals habe er den Wunsch geäußert, ins G* verlegt zu werden. Ein therapeutischer Zugang habe aufgrund der vorherrschenden Oppositionshaltung des Betroffenen nicht mehr stattfinden können. Nach der Zusage einer Klassifizierung ins G* sei der Betroffene nicht mehr bemüht gewesen, an sozialen Beziehungen oder sozial verträglichen Verhaltensweisen zu arbeiten. Zunehmend seien aggressive Tendenzen beobachtbar, eine Bedarfsmedikation zur emotionalen Distanzierung habe er abgelehnt. Am 2. November 2023 sei es zu einem Übergriff gegenüber einem Mitpatienten gekommen, sodass eine Absonderung zur Deeskalation und Verlegung auf dieser Station in ein Isolierzimmer unumgänglich war. Insgesamt sei im Beobachtungs- und Behandlungszeitraum aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht festzustellen, dass sämtliche Bemühungen, den Betroffenen in eine positive Richtung zu entwickeln, aufgrund der tiefgreifenden Non-Compliance und damit verbundener überwiegender Delinquenzverherrlichung und Drogenaffinität vom Betroffenen gescheitert seien. Ein erneuter Versuch, dem Betroffenen einen sozialen Empfangsraum zur Verfügung zu stellen, sei frustrant verlaufen. Alles in allem sei die Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richtet, nicht ausreichend abgebaut, weshalb eine bedingte Entlassung nicht befürwortet werden könne (ON 8).
Soweit die Beschwerde daher releviert, dass es im gesamten Verlauf der Anhaltung keine konkreten Hinweise auf Gewalttätigkeit des Betroffenen gäbe und es sich bei dem im Bericht des H* D* geschilderten verbal aggressiven Verhalten um für Jugendliche, wie den Betroffenen, typische Verhaltensmuster handeln würde, ist entgegenzuhalten, dass auch fremdaggressives Verhalten des Betroffenen seine Isolierung notwendig gemacht hat und er keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigte, die eine Anhaltung außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums ermöglichen würde. Auch nach der Stellungnahme des psychologischen Dienstes des G* reagiere der Betroffene gegenüber sämtlichen Interventionen ablehnend und zeige eine oberflächliche Einsicht in seine Risikofaktoren mit unkonkreten Strategien. Im Alltag würden sich vereinzelt dissoziale Verhaltensweisen und Denkinhalte zeigen, wenngleich der Betroffene um Anpassung bemüht sei. Das Therapieziel liege daher derzeit im Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung (S 4,5 in ON 21).
Um eine bedingte Entlassung in absehbarer Zeit befürworten zu können, bedarf es daher primär der Mitarbeit und Paktfähigkeit des Betroffenen, um in einer neuerlichen Unterbrechung der Unterbringung überprüfen zu können, ob die Unterbringung durch Maßnahmen außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums substituiert werden kann.
Rechtsmittelbelehrung:
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