Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Henhofer und Mag. Hemetsberger in der Strafsache gegen K***** M***** wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Wels vom 8. Mai 2013, 11 Hv 11/13a-17, über Antrag der Berichterstatterin in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1. Jänner 1985 geborene syrische Staatsangehörige K***** M***** von dem wider ihn erhobenen Strafantrag, er habe am 2. Jänner 2013 in Mannswörth
I. einen total gefälschten türkischen Reisepass, lautend auf M***** S*****, Serien Nr. TR-U702753, somit eine falsche ausländische öffentliche Urkunde, welche gemäß § 2 Abs 4 Z 4 inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, nämlich seine Berechtigung zur Einreise in das Bundesgebiet, sowie einer Tatsache, nämlich seiner Identität gebraucht, indem er ihn gegenüber Exekutivbediensteten des SPK Schwechat im Zuge einer Kontrolle vorwies;
II. einen verfälschten deutschen Aufenthaltstitel, lautend auf M***** S*****, geb. 16. Juni 1992, Serien Nr. D59073145, somit eine verfälschte Urkunde, im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, nämlich seiner Berechtigung zur Einreise in das Bundesgebiet, sowie einer Tatsache, nämlich seiner Identität gebraucht, indem er ihn gegenüber Exekutivbediensteten des SPK Schwechat im Zuge einer Kontrolle vorwies,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Nach den wesentlichen Entscheidungsgründen war der Angeklagte in Syrien auf Grund der dortigen bürgerkriegsähnlichen Zustände sowie der Verfolgung seiner Person im Zusammenhang mit dem Drucken und Verteilen von Flugblättern in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht. Er fasste daher Anfang 2012 den Entschluss, seine Heimatstadt Mabadi in Syrien zu verlassen. Im Mai 2012 reiste er zunächst nach Istanbul und versuchte in der Folge - zumal er als ethnischer Kurde und syrischer Flüchtling berechtigter Weise in der Türkei eine nachteilige Behandlung befürchtete - zweimal erfolglos, nach Deutschland zu gelangen. Er ging davon aus, dass ein Leben in Frieden für ihn und seine Familie in der Türkei nicht möglich sei und wollte daher in Deutschland Asyl beantragen. Während des mehrmonatigen Aufenthaltes in der Türkei besorgte er sich von einem Schlepper einen türkischen Reisepass sowie einen deutschen Aufenthaltstitel, lautend auf M***** S*****, geb. 16. Juni 1992, Serien Nr. D59073145. Er wusste zu diesem Zeitpunkt, dass der türkische Reisepass gefälscht war, ging aber davon aus, dass der deutsche Aufenthaltstitel echt war. Mit dem türkischen Reisepass flog er später von Istanbul nach Tripolis (Lybien) und versuchte nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Tripolis über Malta nach Deutschland zu reisen, was jedoch ebenfalls misslang. Am 2. Jänner 2013 kam er schließlich mit den falschen Papieren per Flugzeug nach Wien, wo er sich bei der ersten Kontrolle mit dem gefälschten türkischen Reisepass und dem verfälschten deutschen Aufenthaltstitel legitimierte. Der Angeklagte wusste dabei, dass der türkische Reisepass und der deutsche Aufenthaltstitel Fälschungen waren und handelte trotzdem, um derart die Behörden über seine Identität sowie seine Berechtigung zur Einreise in das Bundesgebiet zu täuschen.
In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht das Verhalten des Angeklagten als entschuldigt iSd § 10 StGB, weil durch die Flucht in die Türkei die in Syrien gegebene unmittelbare Bedrohung seines Lebens zwar verringert wurde, er aber auch in der Türkei durch ein längeres Verweilen seine körperliche Integrität bzw Freiheit bedroht sah und es für ihn schwer möglich bzw gar nicht möglich gewesen wäre, ohne gefälschte Papiere in den EU-Raum (damit in ein Land, in dem er sicher und ohne Furcht leben kann) einzureisen. Insofern hätte sich in seiner Situation auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch möglicherweise einen gefälschten Pass samt Sichtvermerk besorgt.
Gegen diesen Freispruch richtet sich die Berufung der Staatsanwaltschaft Wels wegen Nichtigkeit (gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit b StPO), mit der sie eine Verurteilung im Sinne des Strafantrages sowie die Verhängung einer schuld- und tatangemessenen Strafe, in eventu die Zurückverweisung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht anstrebt.
Die Berufung ist berechtigt.
Der im Rahmen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) behauptete Widerspruch zwischen den Feststellungen, der Angeklagte sei einerseits bei Erhalt der falschen Papiere davon ausgegangen, dass der Aufenthaltstitel echt sei (US 2), habe andererseits aber bei der Einreise nach Österreich gewusst, dass sowohl der türkische Reisepass als auch der deutsche Aufenthaltstitel Fälschungen waren (US 3), liegt nicht vor. Da sich diese Urteilskonstatierungen erkennbar auf unterschiedliche Zeitpunkte beziehen, schließen sie sich gegenseitig weder aus noch sind sie aus den Grundsätzen der Logik miteinander unvereinbar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 438f; Fabrizy StPO11 § 281 Rz 45).
Hingegen ist den Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Rechtsrüge (Z 9 lit b – der Sache nach jedoch Z 9 lit a, mit der die Bekämpfung eines Freispruchs stets erfolgt [Ratz WK-StPO § 281 Rz 634; RIS-Justiz RS0118286]) darin beizupflichten, dass die getroffenen Feststellungen die Annahme des Entschuldigungsgrundes des § 10 StGB nicht rechtfertigen.
Gemäß § 10 StGB ist entschuldigt, wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um einen unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als der Nachteil, den sie abwenden soll, und in der Lage des Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten war.
Der entschuldigende Notstand kommt dem Täter nur zustatten, wenn dieser handelt, um einen bedeutenden Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden. Ein entsprechend schwerer psychischer Druck kann strafrechtsrelevante Schuld ausschließen. Aber das Eingreifen in ein fremdes Rechtsgut wird erst toleriert, wenn die Gefahr unmittelbar bevorsteht (Höpfel in WK2 § 10 Rz 6 und 7). Die Unmittelbarkeit der Gefahr zählt zu den Wesenselementen einer Notstandssituation iS § 10 StGB, weil bei einem anderen Motivationsdruck vom Betroffenen zu verlangen ist, dass er sich der Bedrohung nicht auf Kosten fremder Rechtsgüter entzieht (Leukauf-Steininger Komm3 § 10 RN 13). Im Übrigen setzt entschuldigender Notstand (des weiteren) voraus, dass in der Lage des Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten war (vgl 14 Os 31/90).
Auch wenn der Angeklagte in Syrien – auf Grund der bürgerkriegsähnlichen Zustände und befürchteter Repressalien – in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht war bzw um sein Leben fürchten musste, ist eine derartige konkrete Gefahr in der Türkei (wo er sich monatelang aufhielt) und noch weniger in Lybien (wo er mehrere Tage verbrachte) dargetan. Aus der - nicht näher beschriebenen – befürchteten nachteiligen Behandlung in der Türkei als syrischer Flüchtling kann ein für § 10 StGB erforderlicher unmittelbar drohender, bedeutender Nachteil nicht erschlossen werden. Gleiches gilt für den Umstand der Inhaftierung – dass es sich um eine rechtswidrige Haft gehandelt hätte oder der Angeklagte menschenrechtswidrig behandelt worden wäre, wurde nicht festgestellt – oder die Verbringung in ein (Flüchtlings-) Lager in der Türkei. Feststellungen zur Situation in Lybien fehlen zur Gänze. Auch die Schlussfolgerung, dass es für den Angeklagten schwer bzw überhaupt nicht möglich gewesen wäre, ohne gefälschte Papiere in den EU-Raum einzureisen, ist auf Basis der getroffenen Feststellungen nicht wirklich nachvollziehbar. Damit kann aber auch nicht abschließend beurteilt werden, ob von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen in der Lage des Täters kein anderes Verhalten zu erwarten gewesen wäre.
Zur vom Erstgericht zur Auslegung des § 10 StGB herangezogenen Art 31 der Genfer-Flüchtlingskonvention ist festzuhalten: Art 31 Abs 1 GFK garantiert Flüchtlingen unter bestimmten Voraussetzungen Straffreiheit bei illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt. Abgesehen von verwaltungsrechtlichen Normen sind auch nach § 114 Abs 5 FPG Fremde, deren rechtswidrige Einreise oder Durchreise durch die Schlepperei gefördert wird, nicht als Beteiligte zu bestrafen. Eine vergleichbare Bestimmung für im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Einreise oder Durchreise begangene Urkundendelikte fehlt im StGB; ein Analogieschluss ist insoweit nicht am Platze. Vielmehr ist – in Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft - davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Verwendung gefälschter bzw falscher Papiere auch bei Flüchtlingen unter Strafe stellen will, zumal unter anderem die Durchführung von Asyl- und sonstigen Verwaltungsverfahren durch die Verwendung falscher Papiere erheblich erschwert wird. Darüber hinaus befindet sich ein Flüchtling, sobald er in Österreich angekommen ist, nicht mehr in der die Flucht verursachenden Gefahrensituation, und kann auch ohne Verwendung falscher Papiere - selbst wenn eine Ausreise ohne falsche Papiere nicht möglich gewesen wäre – ein Asylantrag gestellt werden.
Wenngleich der UNHCR in seiner überarbeiteten Stellungnahme zur Auslegung und Reichweite des Art 31 Abs 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom Mai 2004 zum Ergebnis kommt, dass Art 31 Abs 1 GFK in der Regel eine Bestrafung des Flüchtlings sowohl wegen illegaler Einreise oder illegalen Aufenthalts als auch in diesem Zusammenhang begangener Urkundendelikte ausschließt, hält er zugleich fest, dass in Österreich Flüchtlinge auch für solche Delikte nach §§ 223 ff StGB bestraft werden können.
Im Ergebnis erweist sich das angefochtene Urteil als nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO nichtig. Der Berufung der Staatsanwaltschaft war daher gemäß §§ 489 Abs 1, 469 StPO über Antrag der Berichterstatterin bereits in nicht öffentlicher Sitzung stattzugeben, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Im erneuten Rechtsgang wird – wie von der Oberstaatsanwaltschaft zutreffend angemerkt wurde – auch das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO zu prüfen sein. Ein Vorgehen nach § 191 StPO verbietet sich indes aus generalpräventiven Überlegungen.
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