Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Senatspräsident Dr. Ludwig Rathmayr als Vorsitzenden, Dr. Wolfgang Krichbaumer (Berichterstatter) und Dr. Erich Feigl über die auf § 15 StPO gestützte Beschwerde des Beschuldigten A***** P***** vom 21. Oktober 1996 betreffend Anfragen an den Sozialversicherungsträger und den/die Dienstgeber wegen der Bezüge des/der Beschuldigten im Verfahren 4 U 76/96 des Bezirksgerichtes *****, nach Anhörung der Oberstaatsanwaltschaft in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Das Bezirksgericht ***** wird angewiesen, in Hinkunft bei Einholung von Lohn- oder Gehaltsauskünften von Dienstgebern Beschuldigter § 1 Abs 2 letzter Satz Datenschutzgesetz zu beachten.
Im übrigen besteht für eine aufsichtsbehördliche Maßnahme nach dem § 15 StPO kein Anlaß.
Begründung:
Beim Bezirksgericht ***** behängt gegen M***** D***** und A***** P***** ein Strafverfahren wegen des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB. Anläßlich der Anberaumung der Hauptverhandlung richtete das Bezirksgericht eine Anfrage an den Hauptverband der Sozialversicherungsträger betreffend Beschäftigungsverhältnisse der Beschuldigten. Anschließend holte es von dem bekanntgegebenen Dienstgeber des Beschuldigten A***** P***** mit Formblatt (AußStrForm 69c) eine Auskunft über dessen Bezüge ein (S. 1a, ON 12 bis ON 14).
In der auf § 15 StPO gestützten Beschwerde vertritt der Beschuldigte P***** die Auffassung, daß die vom Gericht veranlaßten Anfragen beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger und den Dienstgeber (letztere Anfrage überdies mit einem nicht zutreffenden Formular) den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes widersprechen, weil "gemäß § 1 Abs 2 DSG eine Beschränkung (des Geheimhaltungsanspruches) nur zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen aufgrund von Gesetzen zulässig sei, etwa nach der Exekutionsordnung, die StPO jedoch keine derartige Einschränkung des Grundrechtes auf Datenschutz vorsehe". Was die Anfrage an den Dienstgeber anlangt, so sei das hiebei verwendete Außerstreitformular 69c in hohem Maß geeignet, bei der angefragten Stelle einen Irrtum über den Zweck der Anfrage ("unterhaltspflichtig") herbeizuführen, andererseits sei auch hier ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz zu erblicken, da aller Wahrscheinlichkeit nach beim Dienstgeber des Beschuldigten (Wiener Städtische Allgemeine Versicherungs AG) auch die Personendaten, insbesondere die Lohnkonten automationsunterstützt verarbeitet werden.
Der Gerichtshof II. Instanz hat hiezu erwogen:
Gemäß der Verfassungsbestimmung des Art 1 § 1 Abs 1 DSG hat jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat. Gemäß Abs 2 leg cit sind "Beschränkungen des Rechtes nach Abs 1 nur zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen oder (dieses Bindewort wurde vom Beschwerdeführer bei der Zitierung des ersten Satzes des Abs 2 ausgelassen) aufgrund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art.8 Abs 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 210/1958) genannten Gründen notwendig sind. Auch im Falle solcher Beschränkungen muß der vertraulichen Behandlung personenbezogener Daten Vorrang gegeben werden".
Nach Art.8 MRK hat jedermann Anspruch auf Achtung u.a. seines Privat- und Familienlebens. Demnach ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
"Notwendig" (Abs 2) ist ein Eingriff, wenn er einem zwingenden gesellschaftlichen Bedürfnis entspricht und zu dem angestrebten Ziel verhältnismäßig ist. Abs 2 verweist somit nicht bloß auf das innerstaatliche Recht, sondern verlangt dessen Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Das Gesetz muß einen gewissen Schutz gegen willkürliche behördliche Eingriffe gewähren und ausreichend klar sein, um die Bürger darauf hinzuweisen, wann die Behörden in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreifen dürfen (ÖJZ-MRK 1990/14; Foregger-Kodek, StPO, 6. Auflage, 772, Art 8 MRK, Anm. I und III).
Einer dem Art.8 Abs 2 MRK unterfallenden Gründe ist die Verhinderung strafbarer Handlungen. Die Verurteilung und Bestrafung eines Täters durch das Strafgericht ist als solche Maßnahme zur Verhinderung von strafbaren Handlungen anzusehen. Zur Prüfung der Frage der Strafart und -höhe, eventuell einer bedingten Nachsicht, kann es für das Strafgericht von Bedeutung sein, ob der Täter einer Beschäftigung nachgeht oder nicht. Für die Bemessung des Tagessatzes (einer in Tagessätzen ausgemessenen Geldstrafe) oder der Höhe einer (nicht in Tagessätzen ausgemessenen) Geldstrafe ist aber unter anderem die Höhe des Einkommens maßgeblich.
Für Auskunftserteilungen an Strafgerichte hat das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 (BGBl. 605) durch die Neufassung des § 26 StPO folgende Änderung gebracht:
Abs 2: Ersuchen gemäß Abs 1, die sich auf Straftaten einer bestimmten Person beziehen, dürfen mit dem Hinweis auf bestehende gesetzliche Verpflichtungen zur Verschwiegenheit oder darauf, daß es sich um automationsunterstützt verarbeitete personenbezogene Daten handelt, nur dann abgelehnt werden, wenn entweder diese Verpflichtungen ausdrücklich auch gegenüber Strafgerichten auferlegt sind oder wenn der Beantwortung überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, die im einzelnen anzuführen und zu begründen sind.
Abs 3: ....".
Zu den im neuen Gesetzestext angeführten Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind insbesondere die Träger der Sozialversicherung zu zählen (vgl. Bericht des Justizausschusses, 359 BlgNr 17.GP: Zu Art. II Z 6 zu § 26 StPO). Im Hinblick auf die gesetzliche Bestimmung des § 26 StPO und den Umstand, daß die Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger an die amtliche Verschwiegenheitspflicht gebunden sind, kann in der vom Bezirksgericht vorgenommenen Anfrage an den Sozialversicherungsträger keine Verletzung oder Einschränkung des Grundrechtes auf Datenschutz erblickt werden, wie dies der Beschwerdeführer behauptet. Demgemäß ist eine Übermittlung von Daten an das Strafgericht als Organ des Bundes zulässig, insoweit die Daten für den Empfänger zur Wahrnehmung der ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben eine wesentliche Voraussetzung bildet (§ 7 Abs 2 DSG).
Allerdings muß in der vom Bezirksgericht - wie sich aus dessen Stellungnahme vom 8.11.1996 ergibt - regelmäßig gewählten Vorgangsweise, wonach jeweils bei Ausschreibung der Hauptverhandlung solche Anfragen an den Dienstgeber gerichtet werden, "um eine richtige Entscheidungsgrundlage zur Festsetzung der Höhe des Tagessatzes zu bekommen", ohne vorher auf andere geeignete Weise (etwa durch Befragen des Beschuldigten, Ersuchen an ihn um Vorlage des Lohn- oder Gehaltszettels oder im Schätzungswege) zu versuchen, die Höhe des Einkommens des Beschuldigten zu erheben, ein Verstoß gegen die Bestimmung des letzten Satzes des § 1 Abs 2 DSG erblickt werden. Wie die Oberstaatsanwaltschaft Linz in ihrer Äußerung vom 15.11.1996 zutreffend hervorkehrt, "soll zur Ermittlung der persönlichen Verhältnisse oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Sinne des § 19 Abs 2 StGB grundsätzlich von der Aktenlage ausgegangen werden, wobei im Fall der Verweigerung zweckdienlicher Angaben der Schätzungsweg offensteht. Die Bemessungsgrundlage soll aus der Gesamtheit der eruierbaren Kriterien ohne aufwendiges Verfahren festgestellt werden (Wiener Kommentar RZ 22, Mayerhofer-Rieder, 4. Auflage, Anm. 4 und 5 und Entscheidung 5 bis 7; Leukauf-Steininger, 3. Auflage RN 25 und 26 jeweils zu § 19 StGB; OGH vom 28.2.1995, 11 Os 174/94). Demnach ist die Einholung einer Lohnauskunft vom Dienstgeber für Zwecke der Strafbemessung - anders allenfalls für Zwecke der Erhebung der Tatbestandsvoraussetzungen - im allgemeinen nicht geboten; im übrigen: Der vom Bezirksgericht zur Rechtfertigung angeführte § 38 Abs 2 Z 2 BWG ist deshalb verfehlt, weil diese Bestimmung der Aufklärung der Straftat dient" (vgl. hiezu die Anmerkung zur Vorgängerbestimmung des § 23 KWG, Foregger-Serini, 5. Auflage, S. 780).
Es ist sohin in der vom Bezirksgericht zugestandenen generellen Vorgangsweise, ohne vorher zu versuchen, auf andere Weise die begehrten Lohnermittlungsergebnisse zu erlangen und ohne eine Interessensabwägung bzw. Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, wobei auch im Falle einer Beschränkung der vertraulichen Behandlung personenbezogener Daten Vorrang gegeben werden muß, also im Zweifelsfall der Geheimhaltung der Vorzug zu geben ist und das private Interesse gegenüber dem Öffentlichen überwiegen soll, ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 1 Abs 2 letzter Satz sowie § 18 Abs 1 Z 3 DSG und damit ein Mißstand der Strafrechtspflege zum Nachteil eines Beschuldigten - zu Recht verweist die Oberstaatsanwaltschaft darauf, daß solche Anfragen notorisch gewisse Imponderabilien für den Dienstnehmer nicht ausschließen - zu erblicken. Hervorzuheben ist noch, daß das Bezirksgericht bei der Erlassung der Strafverfügung vom 10.7.1996 (ON 8 und 9) das Einkommen der beiden Beschuldigten schätzte, weil bei beiden Beschuldigten im Personalblatt die Rubrik "Nettoeinkommen" mit "unbekannt" ausgefüllt war.
In teilweiser Stattgebung der Beschwerde war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Oberlandesgericht Linz, Abt.7,
Rückverweise
Keine Verweise gefunden