Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Berchtold als Vorsitzende sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Dr. Tangl und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Ortner als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* Holding GmbH , vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. B* , und 2. F*-AG , beide vertreten durch Tinzl Frank Rechtsanwältepartnerschaft in 6020 Innsbruck, wegen EUR 22.660,94 s.A., über die Berufungen der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 11.365,47 s.A.) und der beklagten Parteien (Berufungsinteresse EUR 11.295,47 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 3.7.2025, ** 41, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Beiden Berufungen wird k e i n e Folge gegeben.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Die Revision ist n i c h t zulässig.
Entscheidungsgründe:
Am 12.3.2024 ereignete sich im Gemeindegebiet von C* D* E* auf der B 171 bei Straßenkilometer 70,31 im Bereich der dortigen Bushaltestelle „D*-**“ ein Verkehrsunfall, an welchem der von der klagenden Partei gehaltene, 10,4 m lange Gelenksomnibus (idF auch „Klagsfahrzeug“ oder „Linienbus“ bzw „Bus“), mit einer Breite von 2,55 m, einem Radstand von 5,845 m sowie einer Gesamtmasse von 10.000 kg und der von der Erstbeklagten gehaltene und von dieser gelenkte sowie bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherte PKW der Marke VW Multivan (idF auch „Beklagtenfahrzeug“ oder „Pkw“) mit einer Länge von 4,9 m, einer Breite von 1,904 m und einer Gesamtmasse von 2.062 kg beteiligt waren. Zum Unfallzeitpunkt war der 7,5 m lange und 2,55 m breite Linienbus, der eine Gesamtmasse von 6.354 kg aufweist, mit einem Anhänger versehen. Die Gesamtmasse des Busses samt Anhänger betrug 16,354 t.
Durch den Unfall wurden beide beteiligten Fahrzeuge beschädigt und zwei Fahrgäste des Linienbusses verletzt. Der klagenden Partei entstanden unfallbedingte Reparaturkosten in Höhe von EUR 19.600,94, Vorhaltekosten für vier reparaturbedingte Stehtage in Höhe von je EUR 750,-- sowie unfallkausale Spesen in Höhe von EUR 60,--, insgesamt daher ein Schaden von EUR 22.660,94. Die Reparaturkosten zur Behebung der unfallkausalen Schäden am Beklagtenfahrzeug beliefen sich auf insgesamt EUR 20.057,51 brutto. Die Hälfte dieser Reparaturkosten von EUR 10.028,76 wurde vorprozessual von der Haftpflichtversicherung der klagenden Partei ersetzt. Die andere Hälfte wurde von der Erstbeklagten bezahlt. Der Wiederbeschaffungswert des Beklagtenfahrzeugs betrug am Unfalltag EUR 21.250,--. Der Erstbeklagten entstanden überdies unfallbedingte Spesen in Höhe von EUR 70,--.
In diesem Umfang ist der Sachverhalt nicht strittig.
Mit der am 24.9.2024 beim Landesgericht Innsbruck eingebrachten und der zweitbeklagten Partei am 26.9.2024 zugestellten Mahnklage begehrte die klagende Partei EUR 22.660,94 s.A. an Schadenersatz und brachte vor, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs vor dem Ausfahren aus der Bushaltestelle den Blinker gesetzt habe. Obwohl die Erstbeklagte den aktiven Blinker hätte erkennen und gemäß § 26a Abs 2 StVO das Ausfahren des Busses hätte abwarten müssen, habe sie noch versucht, am Linienbus vorbeizufahren. Deshalb sei es zur streifenden Kollision gekommen, welche für den Buslenker nicht vermeidbar gewesen sei. Dieser habe sich vor dem Ausfahren durch einen Blick in den Spiegel davon überzeugt, dass er die Haltestelle gefahrlos verlassen könne. Er habe nach dem Setzen des Blinkers zumindest 5 Blinksignale abgewartet, ehe er den Bus in Bewegung gesetzt habe. Er habe somit darauf vertrauen dürfen, dass die Erstbeklagte das Ausfahren des Linienbusses aus der Haltestelle vorschriftsgemäß abwarten würde, zumal sich das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt der Aktivierung des Blinkzeichens noch in einem ausreichenden Abstand zum Bus befunden habe.
Die beklagten Parteien bestritten und beantragten Klagsabweisung. Sie wendeten zusammengefasst ein, der Lenker des Omnibusses habe diesen ohne rechtzeitige Abgabe eines Blinkzeichens aus der Haltestelle gelenkt, als sich die Erstbeklagte mit ihrem PKW bereits nahezu auf Höhe des Lenkers befunden habe. Ihn treffe daher das Alleinverschulden an der streifenden Kollision. Anhand der Kontaktspuren der beteiligten Fahrzeuge lasse sich objektivieren, dass sich das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt des Beginns des Ausfahrens aus der Haltestelle auf in etwa gleicher Höhe mit dem Linienbus befunden habe. Dies ergebe sich daraus, dass das rechte vordere Fahrzeugeck des Beklagtenfahrzeugs unbeschädigt sei. Hätte sich der Unfall derart zugetragen, wie dies die klagende Partei behaupte, so wäre eine Beschädigung auf der rechten vorderen Fahrzeugseite des Beklagtenfahrzeugs eingetreten. Dass sich – wie dies die klagende Partei behaupte – der Busfahrer vor dem Anfahren durch einen Blick in den Spiegel davon überzeugt habe, dass das Ausfahren aus der Haltestelle gefahrlos möglich sei, sei denkunmöglich. Selbst wenn der Busfahrer früher geblinkt hätte – was bestritten werde –, so hätte die Erstbeklagte die Kollision nur durch eine starke Betriebsbremsung und bei einer unverzüglichen Reaktion verhindern können, sodass selbst dann die vom Gesetz verbotene Gefährdung verwirklicht worden sei. Der von der gegnerischen Haftpflichtversicherung noch nicht beglichene Betrag von EUR 10.028,76 (die Hälfte des Reparaturschadens) zuzüglich der unfallkausalen Spesen von EUR 70,-- werde einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung gegenüber aufrechnungsweise entgegengehalten.
Mit dem angefochtenen Urteil stellte das Erstgericht die Klagsforderung als mit EUR 11.330,47 sowie die eingewendete Gegenforderung als mit EUR 35,-- zu Recht bestehend fest, verpflichtete die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 11.295,47 s.A. und wies das Zahlungsmehrbegehren von EUR 11.365,47 s.A. ab. Es legte dieser Entscheidung den in US 3 bis US 7 festgestellten Sachverhalt zugrunde, welcher nachstehend auszugsweise wiedergegeben wird (Anm.: die von den Berufungswerbern jeweils mit Beweisrüge bekämpften Feststellungen werden in Fettdruck gehalten):
„Im Unfallbereich verläuft die B 171 in annähernd gerader Linie in Richtung Westen. Unmittelbar nach einer lichtzeichengeregelten Kreuzung befindet sich nördlich der B 171 die ca 40 m lange, gegenständliche Haltestellenbucht. Ca 20 m vor Beginn der Haltestellenbucht befindet sich ein Schutzweg, welcher durch dieselbe Lichtzeichenanlage geregelt ist, wie die Kreuzung. Die ca 3,0 m breite Haltestellenbucht ist durch eine Ordnungslinie von den zwei in Fahrtrichtung Westen führenden Fahrstreifen getrennt. Der linke der beiden jeweils ca 3,2 m breiten und durch eine Leitlinie getrennten Fahrstreifen ist durch Richtungspfeile zum Einordnen für Linkseinbieger gekennzeichnet. Der rechte Fahrstreifen weist keine spezifischen Bodenmarkierungen auf. Der in die Gegenrichtung führende Fahrstreifen ist durch eine Sperrlinie abgetrennt.
Die B 171 ist als Vorrangstraße gekennzeichnet und mit 50 km/h Ortsgebiet geschwindigkeitsbeschränkt. Die Fahrbahn ist eben, weist kein relevantes Gefälle auf und ist mit einer abgenutzten Asphaltschicht gedeckt.
Der Lenker des Klagsfahrzeugs fuhr aus der Haltestellenbucht bei Straßenkilometer 70,31 auf der B 171 in Fahrtrichtung Westen aus. Zur selben Zeit näherte sich die Erstbeklagte ebenfalls in Richtung Westen fahrend auf dem rechten Fahrstreifen der B 171. Beim Ausfahrvorgang des Klagsfahrzeugs aus der Haltestellenbucht kam es zur streifenden Kollision zwischen der linken vorderen Fahrzeugseite des Linienbuses und der rechten Seite des am rechten Fahrstreifen am Bus vorbeifahrenden Beklagtenfahrzeugs.
Die Kollision zwischen dem Klags- und dem Beklagtenfahrzeug ereignete sich bildlich dargestellt wie folgt (wobei das Klagsfahrzeug rot und das Beklagtenfahrzeug blau dargestellt ist):

Die Kollisionsgeschwindigkeit des Klagsfahrzeugs betrug ca 13 km/h, jene des Beklagtenfahrzeugs zwischen 35 und 45 km/h, wobei die genaue Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs nicht festgestellt werden kann.
Der Lenker des Klagsfahrzeugs hat vor seinem Ausfahrvorgang in Richtung Westen den Blinker betätigt. (A) Nicht festgestellt werden kann allerdings, zu welchem konkreten Zeitpunkt der Lenker des Klagsfahrzeugs den Blinker betätigte. Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, ob er den Blinker mehrere Sekunden (allenfalls 2,2 Sekunden) vor seiner Losfahrt oder zeitgleich mit seiner Losfahrt oder unmittelbar nach seiner Losfahrt betätigt hat.
(B) Nicht festgestellt werden kann, ob der vom Lenker des Klagsfahrzeugs gesetzte Blinker für die Erstbeklagte noch so rechtzeitig wahrnehmbar war, dass ihr ein kollisionsvermeidendes Anhalten noch möglich gewesen wäre.
(C) An welcher Position sich das Beklagtenfahrzeug zum Blinkbeginn des Klagsfahrzeugs befand, kann ebenso nicht festgestellt werden. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, ob sich das Beklagtenfahrzeug beim Blinkbeginn des Fahrzeugs noch ca 27,5 Meter hinter dem Heck des Omnibusses oder bereits ca auf Höhe des Hecks des Omnibusses befand.
(D) Ob der Lenker des Klagsfahrzeugs oder die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs aus technischer Sicht die Kollision vermeiden hätte können, kann nicht festgestellt werden.
(E) Ob der Lenker des Klagsfahrzeugs vor dem Ausfahren einen Blick in den linken Außenspiegel warf, kann nicht festgestellt werden .“
Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass es den Streitteilen nicht gelungen sei, die wechselseitig erhobenen Schuldvorwürfe jeweils unter Beweis zu stellen. Damit sei der klagenden Partei der Beweis eines Verstoßes der Erstbeklagten gegen § 26a Abs 2 StVO, bei welcher Bestimmung es sich nicht um eine Vorrangregelung handle, nicht gelungen. Eine Geschwindigkeitsübertretung sei der Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs, welche sich der Unfallstelle jedenfalls unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, nämlich mit zwischen 35 und 45 km/h genähert habe, jedenfalls nicht vorzuwerfen. Umgekehrt sei aber auch den beklagten Parteien der Nachweis eines Fehlverhaltens des Buslenkers nicht gelungen, zumal zum Blinkverhalten sowie zur Frage, ob er vor dem Ausfahren aus der Haltestelle einen Blick in den linken Außenspiegel geworfen habe, Negativfeststellungen getroffen worden seien. Insgesamt ließe sich daher nicht feststellen, ob einer der unfallbeteiligten Lenker den Unfall aus technischer Sicht hätte vermeiden können. Da keiner Seite ein Verschulden zur Last gelegt werden könne, sei der Sachverhalt nach dem EKHG zu beurteilen. Die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten hänge also davon ab, ob der Schaden durch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr oder durch eine überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr verursacht worden sei. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr habe das Verfahren nicht ergeben; beim Zusammentreffen der auf beiden Seiten vorherrschenden gewöhnlichen Betriebsgefahr sei als Faustregel eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 vorzunehmen. Wenngleich das Klagsfahrzeug als Omnibus mit Anhänger in seiner Größe dem Beklagtenfahrzeug deutlich überlegen sei, so stehe der vom Bus ausgehenden gewöhnlichen Betriebsgefahr die durch die deutlich höhere Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs ausgehende Betriebsgefahr gegenüber. Der Bus habe sich nämlich im Unfallzeitpunkt mit niedriger Geschwindigkeit im Ausfahrvorgang aus der Haltestellenbuch befunden, während das Beklagtenfahrzeug, bei dem es sich im Übrigen nicht um einen klassischen PKW, sondern um einen VW-Bus handle, mit in etwa dreifacher Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei. Angesichts dieser Konstellation sei in der konkreten Verkehrssituation von einer in etwa gleich hohen Betriebsgefahr beider Fahrzeuge auszugehen, weshalb eine Haftungsteilung im Verhältnis 1 : 1 angemessen sei.
Auf dieser Grundlage stehe jeder Seite die Hälfte des geltend gemachten Schadens zu. Da der klagenden Partei die Hälfte der für die Reparatur des Beklagtenfahrzeugs aufgewendeten Kosten in Höhe von EUR 10.028,76 bereits ersetzt worden sei, bestehe die Gegenforderung nur mehr mit 50 % der geltend gemachten Spesen – sohin mit EUR 35,-- – zu Recht.
Beide Streitteile bekämpfen diese Entscheidung mit einer jeweils fristgerechten Berufung. Die klagende Partei bekämpft den klagsabweisenden Teil ihres Begehrens von EUR 11.365,47 s.A. und beantragt die Abänderung der Entscheidung dahin, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde. Die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil wiederum in seinem gesamten klagsstattgebenden Umfang von EUR 11.295,47 s.A. und streben dessen Abänderung dahin an, dass das gesamte Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen werde. Hilfsweise wird von beiden Seiten jeweils ein Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag im jeweils angefochtenen Umfang gestellt.
Beide Berufungen sind nicht berechtigt:
1. Zur Beweisrüge der Klägerin
1.1. Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung bekämpft die Klägerin die bei der Wiedergabe des Sachverhalts als (A) hervorgehobene Feststellung und begehrt stattdessen folgende Alternativfeststellung:
„Der Lenker des Klagsfahrzeugs betätigte den Blinker ca 2,2 Sekunden vor seiner Losfahrt.“
Bei richtiger Beweiswürdigung hätte das Erstgericht den Angaben des Busfahrers Glauben schenken müssen. Dieser habe sowohl gegenüber der Polizei als auch vor Gericht überzeugend ausgesagt, dass der Blinker vor der Kollision ca 4 bis 5 Mal geblinkt habe. Da es sich bei ihm um einen erfahrenen Busfahrer handle, der bis zu diesem Tag mehr als 9 Jahre in Österreich unfallfrei unterwegs gewesen sei, sei davon auszugehen, dass er mit den Abläufen des Abfahrens von Haltestellen bestens vertraut sei und im Straßenverkehr gewissenhaft agiert habe. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Blinker rund zweimal pro Sekunde blinke. Ausgehend von den Angaben des Busfahrers hätte das Erstgericht somit die Feststellung treffen müssen, dass der Blinker zumindest 2,2 Sekunden vor der Losfahrt aktiviert gewesen sei. Das einzige gegenteilige Beweisergebnis zur nachvollziehbaren Unfallschilderung des Lenkers des Klagsfahrzeugs sei die Aussage der Erstbeklagten. Diese habe bei ihrer Befragung vor Gericht eingeräumt, den Blinker erst wahrgenommen zu haben, als sie bereits auf Höhe der Hinterseite des Klagsfahrzeugs gewesen sei. Dies bedeute aber nicht, dass der Blinker nicht bereits früher aktiviert gewesen sei. Es sei daher jedenfalls denkbar, dass sie den gesetzten Blinker schlichtweg übersehen habe. Zu den im Rahmen des Lokalaugenscheins vorgenommenen Versuchen einer Unfallrekonstruktion sei anzumerken, dass zu diesem Termin vor Ort kein Dolmetscher beigezogen worden sei.
Die begehrte Wunschfeststellung sei rechtserheblich, weil bei deren Zugrundelegung von einem Alleinverschulden der Erstbeklagten am Unfall auszugehen sei.
1.1.1. Das Gericht ist bei seiner freien Beweiswürdigung gemäß § 272 ZPO an keine gesetzlichen Beweisregeln gebunden. Es hat nach seiner persönlichen Überzeugung zu beurteilen, ob es einen Beweis als gelungen ansieht oder nicht, wobei insbesondere dem anlässlich der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Überzeugt das Beweisverfahren das Gericht hinsichtlich bestimmter Sachverhaltsaspekte nicht mit dem erforderlichen Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit (RS0110701), muss dazu eine Negativfeststellung getroffen werden, um in einer solchen Situation der Beweislosigkeit dennoch eine Entscheidung zu ermöglichen.
1.1.2. Die Aufgabe des Rechtsmittelgerichts liegt im Rahmen seiner Überprüfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung lediglich darin, zu prüfen, ob die Beweise nach der Aktenlage schlüssig gewürdigt wurden (
1.1.3. Das Erstgericht setzte sich in seiner Beweiswürdigung eingehend mit dem Zeitpunkt des Inbetriebsetzens des linken Blinkers auseinander. Es nahm sowohl auf die drei Unfallrekonstruktionsversuche im Rahmen des Lokalaugenscheins als auch auf die widersprüchlichen Aussagen der Unfallbeteiligten Bezug und erläuterte nachvollziehbar, warum der für eine positive Feststellung geforderte Überzeugungsgrad zur Frage, wann konkret der linke Blinker am Bus in Betrieb genommen wurde, nicht erreicht wurde. Diesen schlüssigen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen (§ 500a ZPO).
1.1.4. Soweit in der Beweisrüge betont wird, die PKW-Lenkerin habe im Zuge ihrer gerichtlichen Einvernahme am 20.11.2024 angegeben, den Blinker erstmals „wahrgenommen“ zu haben, als sie bereits auf Höhe der Hinterseite des Klagsfahrzeugs gewesen sei, ist der Berufungswerberin zu entgegnen, dass das Wort „wahrgenommen“ ausschließlich in der an die Erstbeklagte gerichteten Fragestellung („ Über Frage, wann die Erstbeklagte erstmals den Blinker des Klagsfahrzeuges wahrgenommen hat :“ … [ON 12 S 5]) – nicht aber in der anschließend protokollierten Antwort vorkommt. Demgegenüber gab die Pkw-Lenkerin bereits eingangs ihrer Befragung an, dass sie „direkt“ hinter dem Bus gewesen sei, als er den Blinker eingeschalten habe und deshalb nicht mehr habe anhalten können. Sie betonte weiters, dass das Ausscheren aus der Haltestelle sehr überraschend und sehr plötzlich erfolgt sei; die vorerwähnte Frage nach der erstmaligen Wahrnehmung des Blinkers beantwortete sie damit, dass sie die Hinterseite des Klagsfahrzeugs mit der Vorderseite ihres Fahrzeugs „schon leicht passiert“ gehabt habe. Auch im Rahmen ihrer erstmaligen Befragung vor der Polizei am Tag nach dem Unfall sagte sie mit Bestimmtheit aus, dass sie wisse , dass bei der Aktivierung des Blinkers am Bus der PKW bereits zur Hälfte am hinteren Ende des Busses gewesen sei. Übereinstimmend mit ihren späteren Angaben vor Gericht gab sie ferner an, der Busfahrer habe plötzlich geblinkt und das Ausfahrmanöver vollzogen, obwohl sie an ihm vorbeigefahren sei (Ermittlungsakt ON 2.4 S 4).
Vor diesem Hintergrund kann dem Argument der Berufungswerberin, das Erstgericht hätte ausgehend von der nachvollziehbaren Unfallschilderung des Busfahrers die oben angeführte Wunschfeststellung treffen müssen, nicht gefolgt werden. Die zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Blinkers getroffene Negativfeststellung (A) ist nicht zu beanstanden.
1.2. Die bei der Wiedergabe des Sachverhalts als (B) bekämpfte Negativfeststellung (zur Wahrnehmbarkeit des Blinkers durch die Erstbeklagte) will die Berufungswerberin durch folgende Ersatzfeststellung ersetzt wissen:
„Die Erstbeklagte hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit den vom Lenker des Klagsfahrzeugs gesetzten Blinker noch so rechtzeitig wahrnehmen können, dass ein kollisionsvermeidendes Anhalten durch Vornahme einer starken Betriebsbremsung mit einer Verzögerung von ca 4,3 m/sec² möglich gewesen wäre.“
Zur Begründung dieser Wunschfeststellung verweist die Berufungswerberin auf ihre Ausführungen zur bekämpften Feststellung (A) und führt weiters aus, das Erstgericht hätte bei Zugrundelegung der Angaben des Buslenkers, wonach er den Blinker zumindest 2,2 Sekunden vor der Losfahrt betätigt habe, und der darauf basierenden Berechnungen des Sachverständigen davon ausgehen müssen, dass sich das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt noch ca 27,5 m hinter dem Heck des Omnibusses befunden habe, weshalb die Erstbeklagte den Unfall durch eine starke Betriebsbremsung hätte vermeiden können. In rechtlicher Hinsicht wäre auf dieser Grundlage von einem Verstoß der Erstbeklagten gegen § 26a StVO auszugehen gewesen.
Da im Zusammenhang mit diesem Beweisrügepunkt keine über die bereits behandelten Überlegungen zur Feststellung (A) hinausgehende Argumente ins Treffen geführt werden, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
1.3. Anstelle der bei der Wiedergabe des Sachverhalts als (C) hervorgehobenen Feststellung zur Position des Beklagtenfahrzeugs zum Blinkbeginn begehrt die Berufungswerberin nachstehende Ersatzfeststellung:
„Zum Zeitpunkt des Blinkbeginns des Klagsfahrzeugs befand sich das Beklagtenfahrzeug noch ca 27,5 m hinter dem Heck des Omnibusses.“
Auch hier hätte sich das Erstgericht – so die Berufungswerberin – auf die glaubwürdigen Angaben des Busfahrers im Rahmen seiner gerichtlichen Einvernahme sowie beim Lokalaugenschein und gegenüber der Polizei stützen müssen. Dieser habe stets betont, vor Betätigung des linken Blinkers in den Spiegel geschaut zu haben und dass die Erstbeklagte zu diesem Zeitpunkt weit hinter dem Bus gewesen sei. Aufgrund der bereits zur bekämpften Feststellung (A) hervorgehobenen Glaubwürdigkeit der Angaben des Linienbusfahrers ergebe sich bei Zugrundelegung der Berechnungen des Sachverständigen zweifelsfrei, dass sich das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt des Blinkbeginns noch ca 27,5 m hinter dem Heck des Omnibusses befunden habe. Die Erstbeklagte wäre daher gemäß § 26a StVO verpflichtet gewesen, dem Omnibus das Ausfahren aus der Haltestelle zu ermöglichen.
Richtig ist, dass der verkehrstechnische Sachverständige im schriftlichen Gutachten ON 27 einen Abstand von 27,5 m zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen bei einer rechnerischen Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 43,3 km/h errechnete (S 15). Diese Weg-Zeit-Analyse wurde aber vom Sachverständigen auf der fiktiven Grundlage errechnet, dass die Beweiswürdigung ergeben sollte, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs den linken Blinker 2,2 Sekunden vor der Losfahrt eingeschalten habe, wovon eben – wie unter Punkt 1.1 dargelegt wurde – gerade nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann Damit sind aber die bekämpften Feststellungen (C) und (D) [letzterer wird die Alternativfeststellung „dass die Erstbeklagte die Kollision durch unverzügliche Reaktion mit einer starken Betriebsbremsung von ca 4,3 m/sec hätte vermeiden können“ gegenüber gestellt], inhaltlich nicht zu beanstanden. Im Rahmen der Ausführungen zur Festellung (A) wurde bereits aufgezeigt, dass die Frage der Glaubwürdigkeit von unfallbeteiligten Zeugen und Parteien sowie der Beweiskraft ihrer Aussagen grundsätzlich der freien erstrichterlichen – und hier auch in keinster Weise zu beanstandenden – Beweiswürdigung obliegt.
1.4. Soweit die Berufungswerberin im Zusammenhang mit ihrer Kritik an der Feststellung (D) erneut auf vermeintliche Angaben der Klägerin (gemeint Erstbeklagten), wonach sie vor Gericht von einer erstmaligen „Wahrnehmung“ des Blinkers gesprochen habe, Bezug nimmt, ist ihr erneut zu erwidern, dass das Partizip „wahrgenommen“ nur in der an sie gerichteten Fragestellung – also nicht von ihr – verwendet wurde. Das Wort „wahrnehmen“ kommt darüber hinaus in diesem Protokoll (überhaupt) nicht vor.
1.5. Die bei der Wiedergabe des Sachverhalts als (E) gekennzeichnete Negativfeststellung (zum Blick des Buslenkers in den linken Außenspiegel) will die Berufungswerberin durch folgende Ersatzfeststellung ersetzt wissen:
„Der Lenker des Klagsfahrzeugs warf vor dem Ausfahren einen Blick in den linken Außenspiegel, konnte dabei das Beklagtenfahrzeug wahrnehmen und befand sich dieses auf Höhe der auf Lichtbild 7 des [Ermittlungsakts] der StA Innsbruck, ON 2.6, 7 mittig ersichtlichen Ampelanlage.“
Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang angenommenen Widersprüche in der Aussage des Lenkers des Klagsfahrzeugs lägen nicht vor. Er habe bereits bei seiner Befragung vor der Polizei angegeben, dass er die Erstbeklagte, als er in den Spiegel geblickt habe, deutlich hinter dem Bus wahrgenommen habe.
Zur Frage, ob der Busfahrer vor dem Ausfahren aus der Haltestelle einen Blick in den linken Außenspiegel warf, liegen keine objektiven Beweisergebnisse vor. Das Erstgericht begründete nachvollziehbar, warum es den diesbezüglichen Schilderungen des Unfalllenkers nicht folgte. Stichhaltige Bedenken gegen diese Überlegungen werden in der Beweisrüge nicht aufgezeigt (vgl Klauser/Kodek , JN ZPO 18 , § 272 ZPO, E 23, 24, 24/3 und 35).
Angesichts des Inhalts der protokollierten Zeugenaussage des Busfahrers im Rahmen seiner Befragung vor Gericht („ Die Fahrgäste sind eingestiegen. Ich habe danach die Türen verschlossen. Danach habe ich in den linken Außenspiegel geschaut und dann habe ich den Blinker gesetzt. Ich habe dann auch noch gewartet und bin nicht sofort aus der Bushaltestelle ausgefahren. Als das Klagsfahrzeug dann nach links die Bushaltestelle verlassen wollte habe ich schon das Kollisionsgeräusch gehört. … Es ist alles ganz schnell passiert. Beim Ausfahren aus der Haltestelle schaue ich aber automatisch in den linken Außenspiegel. Ich habe das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt aber nicht gesehen. ... “) ist auch das Berufungsgericht nicht mit dem geforderten hohen Wahrscheinlichkeitsgrad davon überzeugt, dass er bereits zu einem Zeitpunkt, als sich der PKW noch auf Höhe der auf dem Lichtbild Nr 7 in ON 2.6, 7 des Polizeiakts mittig ersichtlichen Ampelanlage befand, in den linken Außenspiegel blickte. Ein Korrekturbedarf der bekämpften Feststellung (E) liegt daher nicht vor.
Insgesamt bleibt daher die Beweisrüge der klagenden Partei erfolglos.
2. Aus Zweckmäßigkeitserwägungen werden die Rechtsrügen beider Streitteile gemeinsam behandelt und wird daher zunächst auf die Beweisrüge der Beklagten eingegangen.
Diese bekämpfen (ebenfalls) die bei der Wiedergabe des Sachverhalts als (B) hervorgehobene Feststellung und stellen ihr ihrerseits folgende Ersatzfeststellung gegenüber:
„Der Lenker des Klagsfahrzeugs hätte die Kollision dann vermeiden können, wenn er das Passieren des Beklagtenfahrzeugs abgewartet hätte, wohingegen nicht festgestellt werden kann, ob die Lenkerin des Beklagtenfahrzeugs die Kollision aus technischer Sicht hätte vermeiden können.“
Diese Wunschfeststellung ergebe sich aus dem Gutachten, weil der Sachverständige ausgeführt habe, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs die Kollision dann vermeiden hätte können, wenn er das Passieren des Beklagtenfahrzeugs abgewartet hätte.
Die kritisierte Feststellung (B) bezieht sich auf den zuvor festgestellten Unfallhergang. Da zu den für eine objektive Kollisionsanalyse notwendigen Fragen jedoch ausschließlich Negativfeststellungen getroffen wurden, ist die daran anknüpfende, von beiden Seiten kritisierte Negativfeststellung (B) zur Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls für die Erstbeklagte die einzig logische Konsequenz. Im Übrigen kann auf die Ausführungen zu Punkt 1.1. verwiesen werden.
Ergänzend ist zur von den Beklagten begehrten Wunschfeststellung noch rechtlich anzumerken, dass der Busfahrer das Vorbeifahren des Beklagtenfahrzeugs nur dann hätte abwarten müssen, wenn sein Ausfahrmanöver nicht ohne Gefahr für den Fließverkehr möglich gewesen wäre, was aber nicht (positiv) feststeht.
Insgesamt ist der festgestellte Sachverhalt daher der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.
3. Zu den Rechtsrügen beider Streitteile:
3.1. Die klagende Partei argumentiert in rechtlicher Hinsicht, dass die Erstbeklagte ausgehend vom festgestellten Sachverhalt nach § 26a StVO verpflichtet gewesen wäre, dem Bus das ungehinderte Abfahren von der Haltestelle zu ermöglichen. Die Beklagten hätten unter Beweis stellen müssen, dass der Buslenker den Blinker nicht rechtzeitig gesetzt habe, es der Erstbeklagten nicht möglich gewesen wäre, dem Bus das ungehinderte Ausfahren zu ermöglichen oder dass die Erstbeklagte durch das Verhalten des Buslenkers gefährdet worden sei. Mangels Feststellungen (sic!) hierzu sei jedoch vom Alleinverschulden der Erstbeklagten und somit im Ergebnis von der alleinigen Haftung der beklagten Parteien auszugehen. Selbst wenn man den Rechtsausführungen des Erstgerichts folgen würde, so sei jedenfalls die im Ersturteil vorgenommene Schadensteilung nach dem EKHG unzutreffend. Richtig sei zwar, dass im gegenständlichen Fall keine außergewöhnliche Betriebsgefahr vorliege und somit von der gewöhnlichen Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge auszugehen sei. Da das Beklagtenfahrzeug nach den Feststellungen mit einer Geschwindigkeit von 35 bis 45 km/h gefahren sei, wogegen die Geschwindigkeit des Omnibusses lediglich 13 km/h betragen habe, sei vom PKW eine deutlich höhere Betriebsgefahr ausgegangen als vom Linienbus. Die erhöhte Masse bzw Länge des Klagsfahrzeugs sei nicht ursächlich für den Zusammenstoß gewesen. Im Übrigen handle es sich beim Beklagtenfahrzeug auch nicht um einen klassischen PKW, sondern um einen VW-Multivan. Insgesamt hätte das Erstgericht daher aufgrund der dreifachen Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs und der damit einhergehenden erhöhten gewöhnlichen Betriebsgefahr im Vergleich zum Klagsfahrzeug von einer Verschuldensteilung im Ausmaß von zumindest 2 : 1 zu Lasten der Beklagten ausgehen müssen.
Dem Ersturteil hafte schließlich auch ein sekundärer Feststellungsmangel an, weil die Feststellung, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs vor seinem Ausfahrvorgang den Blinker betätigt habe, mit der Negativfeststellung zur Frage, ob er den Blinker mehrere Sekunden vor seiner Losfahrt oder (erst) zeitgleich mit seiner Losfahrt oder unmittelbar nach seiner Losfahrt betätigt habe, in Widerspruch stehe.
3.2. Auch die beklagten Parteien bemängeln die vom Erstgericht vorgenommene Beweislastverteilung. Sie führen ihrerseits ins Treffen, dass die lex specialis des § 26a StVO erst dann greife, wenn ein Bus sein beabsichtigtes Ausfahren durch rechtzeitiges Setzen des Blinkers anzeige. Bis zu diesem Zeitpunkt sei der Bus gegenüber einem Fahrzeug im Fließverkehr benachrangt. Das Erstgericht habe festgestellt, dass der Bus zu einem Zeitpunkt in die Straße eingefahren sei, als sich das Beklagtenfahrzeug maximal 27,5 m hinter dem Klagsfahrzeug befunden habe; ob der Lenker des Busses vor dem Ausfahren einen Blick in den linken Außenspiegel geworfen habe, sei hingegen nicht feststellbar gewesen. In diesem Zusammenhang hätte das Erstgericht die weitere Feststellung treffen müssen, dass das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt des Ausfahrens des Busses im linken Außenspiegel auf der rechten Fahrspur fahrend und damit auf direktem Kollisionskurs für den Buslenker erkennbar gewesen sei. Den Lenker des Klagsfahrzeugs treffe daher jedenfalls ein Verschulden am Unfall, weil die Beweispflicht für das rechtzeitige Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers die beklagte Partei treffe; bis zu diesem Zeitpunkt (der Aktivierung des Blinkers) sei prima facie von einer Vorrangverletzung durch das Klagsfahrzeug auszugehen. Dass ein Fahrstreifenwechsel grundsätzlich zu unterbleiben habe, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gegeben sei, ergebe sich auch aus § 11 Abs 1 StVO. Diese Bestimmung sei ein Schutzgesetz zu Gunsten des Nachfolgeverkehrs. Ihr Schutzzweck liege darin, andere Straßenbenützer über ein bevorstehendes Fahrmanöver zu informieren und diese in die Lage zu versetzen, durch das Ergreifen entsprechender Maßnahmen dazu beizutragen, eine Behinderung, Gefährdung oder gar einen Verkehrsunfall zu vermeiden. Da der Lenker des Klagsfahrzeugs jedenfalls gegen dieses Schutzgesetz verstoßen habe, sei eine Verschuldensteilung nach § 11 EKHG unzulässig und hafte die klagende Partei für den gesamten den Beklagten durch die Kollision entstandenen Schaden.
Selbst wenn man von einem nicht erwiesenen Verschulden des Busfahrers ausgehen wolle, so sei die Betriebsgefahr des Omnibusses jedenfalls deutlich höher als jene des Beklagtenfahrzeugs, weshalb eine Haftungsteilung von 2 : 1 zu Lasten der klagenden Partei vorzunehmen gewesen wäre. Dabei sei insbesondere maßgeblich, dass sich beim Einfahren eines Linienbusses in den Fließverkehr aus einer Haltestelle dessen außergewöhnliche Betriebsgefahr verwirkliche.
3.3. Dazu ist insgesamt auszuführen:
3.3.1. Einen bei einem Verkehrsunfall geschädigten Anspruchssteller trifft – wie stets im deliktischen Bereich – die Beweislast für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen bezogen auf das Unfallgeschehen. Beide Streitteile trifft hier somit die grundsätzlich die Behauptungs- und Beweislast für ein die Haftung des Unfallgegners begründendes, ursächliches, adäquates, rechtswidriges und insbesondere schuldhaftes (§ 1296 ABGB) Verhalten (RS0022560 [T20]). Nach der ständigen Rechtsprechung hat sich die Verschuldensprüfung auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken, die im jeweiligen Einzelfall konkret vorgebracht wurden (vgl RS0022560 [T20]) und gehen verbleibende Unklarheiten zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet (T8).
3.3.2. Die klagende Partei wirft der Erstbeklagten einen Verstoß gegen § 26a Abs 2 StVO sowie eine Geschwindigkeitsüberschreitung vor. Der Beweis eines dahingehenden Fehlverhaltens ist ihr – wie dies vom Erstgericht zutreffend beurteilt wurde – nicht gelungen. Nach den hier maßgeblichen Feststellungen hielt die PKW-Lenkerin in Annäherung an die Haltestelle eine Geschwindigkeit von zwischen 35 und 45 km/h ein; dies bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Vorwurf der überhöhten Geschwindigkeit geht daher ins Leere.
Die Verpflichtung des § 26a Abs 2 StVO, dem Omnibus das ungehinderte Abfahren von der Haltestelle zu ermöglichen, greift erst, sobald am Bus mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht angezeigt wird, dass von der Haltestelle abgefahren wird. Aufgrund der zur Frage des Zeitpunkts der Inbetriebnahme des Blinkers getroffenen Negativfeststellung ist zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der Blinker am Bus erst zeitgleich mit der Losfahrt gesetzt wurde, weshalb kein Verstoß der Erstbeklagten gegen § 26a StVO vorliegt.
3.3.3. Aber auch der von den Beklagten gegen den Buslenker erhobene Verschuldensvorwurf führt hier nicht zum Erfolg:
Beim Abfahren eines Omnibusses aus einer Haltestelle iSd § 26a StVO liegt ein Fahrstreifenwechsel iSd § 11 Abs 1 StVO vor. § 11 StVO ist ein Schutzgesetz iSd § 1311 AGBG, das insbesondere den nachkommenden Fahrzeuglenkern zugute kommt (RS0112234 [T4]; vgl auch RS0027710 [T15]). Der Schutzzweck dieser Bestimmung liegt in der rechtzeitigen Information anderer Straßenbenützer über das bevorstehende Fahrmanöver, um diese in die Lage zu versetzen, durch das Ergreifen entsprechender Maßnahmen dazu beizutragen, eine Behinderung, Gefährdung oder gar einen Verkehrsunfall zu vermeiden (2 Ob 54/98z mit Verweis auf Dittrich-Stolzlechner StVO 3 Rz 65 zu § 11).
Zwar haben sich die Beklagten in erster Instanz nicht explizit auf eine Verstoß gegen diese Schutznorm berufen. Sie brachten aber vor, der Buslenker hätte erst dann von der Haltestelle ausfahren dürfen, wenn dies für ihn ohne Gefährdung oder Behinderung des Fließverkehrs möglich gewesen wäre, woraus sich eine entsprechende Behauptung hinreichend klar entnehmen lässt.
Ganz grundsätzlich beinhalten Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sog abstrakte Gefährdungsverbote, die die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern schützen sollen (RS0027710). Bei Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Geschädigten die volle Beweislast für dessen Verletzung und den Schadenseintritt (RS0112234). Für ersteres reicht der Nachweis der Tatsache, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Schädiger muss hingegen beweisen, dass ihn an der Übertretung des Schutzgesetzes keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit, also kein Verschulden trifft (vgl dazu 2 Ob 76/97h [Vorrangunfall]; 2 Ob 218/98t, 2 Ob 48/99v [Überschreiten der Fahrbahnmitte]; 2 Ob 304/99s [Überfahren einer roten Ampel]; siehe auch 7 Ob 82/00d).
Im Zusammenhang mit § 11 StVO bedeutet dies, dass der sich auf einen Verstoß des Unfallgegners berufenden Partei (hier: die Beklagten) der Beweis obliegt, dass die Schutznorm vom Unfallgegner objektiv übertreten wurde. Dazu gehört auch der Nachweis, dass der Busfahrer ohne den linken Blinker gesetzt zu haben , in den von der Erstbeklagten benutzten Fahrstreifen einfuhr (vgl 2 Ob 36/00h). Dieser Nachweis ist den Beklagten aber nicht gelungen, weil nicht festgestellt werden konnte, ob der Lenker des Klagsfahrzeugs die Änderung seiner Fahrtrichtung rechtzeitig (im Sinn des § 11 Abs 2 StVO) anzeigte.
Mangels Nachweises der objektiven Verletzung der Schutznormen des § 11 StVO hat daher das Erstgericht zutreffend auch ein Verschulden des Busfahrers am Zustandekommen des Unfalles verneint.
3.3.4. Damit ist den Streitteilen der ihnen jeweils obliegende Beweis eines verkehrswidrigen Verhaltens des Unfallgegners nicht gelungen, weshalb das Erstgericht mit Recht auf § 11 EKHG zurückgegriffen hat. Wie schon hervorgehoben wurde, geht bei der Beurteilung der wechselseitigen Schadenersatzansprüche resultierend aus einem Verkehrsunfall jede nicht aufklärbare Ungewissheit über die wesentlichen Einzelheiten des Unfallgeschehens zu Lasten des jeweiligen Fahrzeughalters (siehe auch Danzl , EKHG 11 § 1 E 18 mwN). Auf den Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG hat sich keine Seite berufen. Vom Erstgericht wurde auch zutreffend hervorgehoben, dass beklagtenseits keine Umstände, aus denen sich ableiten ließe, dass hier zur gewöhnlichen, von einem Gelenksomnibus ausgehenden, Betriebsgefahr noch besondere „außergewöhnliche“ Gefahrenmomente hinzugetreten wären (vgl RS0058467, RS0058586), ins Treffen geführt wurden.
Der Grundsatz, dass unaufgeklärte Umstände zu Lasten des Halters gehen, gilt im Zusammenhang mit der Verschuldenshaftung und für die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 EKHG, nicht aber für die Beurteilung der gegenseitigen Ersatzpflicht der Unfallbeteiligten nach § 11 EKHG (RS0058304; RS0058901; Koziol/Apathy/ Koch , Haftpflichtrecht III³ Rz A/2/96; siehe auch Danzl , EKHG 11 § 11 Anm 8).
Haben zwei Haftpflichtige jeweils nur eine Gefährdungshaftung zu vertreten, dann ist der Schaden bei in etwa gleich großer Betriebsgefahr im Verhältnis 1 : 1 zu teilen ( Danzl aaO E 296 ff). Dazu sind die Summe der Gefahren der am Unfall beteiligten Fahrzeuge infolge ihrer Eigenheiten (Gewicht, Länge, Breite, Raumbedarf, Möglichkeit der Lenkerbeobachtung etc) in der konkreten jeweiligen Situation , also auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Geschwindigkeiten, miteinander zu vergleichen. Wenn das Erstgericht vor diesem Hintergrund in der hier zu beurteilenden Konstellation, also in Anbetracht dessen, dass sich der von der Erstbeklagten gelenkte VW-Bus der Kollisionsstelle mit einer in etwa dreimal so hohen Fahrgeschwindigkeit näherte als der um ein vielfaches schwerere und größere Linienbus und dass dem Busfahrer die Beobachtung des Nachfolgeverkehrs durch den linken Seitenspiegel leicht möglich war, nicht korrekturbedürftig. Damit kommt den Rechtsrügen der Parteien auch in diesem Punkt keine Berechtigung zu.
3.3.5. Letztlich liegt auch keine sekundäre Mangelhaftigkeit des Ersturteils vor:
Ein sekundärer Feststellungsmangel wäre nur zu bejahen, wenn das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht traf und notwendige Beweise nicht aufnahm und daher entscheidungswesentliche Feststellungen fehlen ( Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 486 ZPO Rz 10). Die vom Erstgericht geschaffene Sachverhaltsgrundlage reicht aber – wie die vorigen Ausführungen zeigen – für eine rechtliche Beurteilung aus.
Die von der Klägerin geltend gemachte Widersprüchlichkeit des Sachverhalts in US 7 liegt nicht vor, weil in Zusammenschau der beiden in ihrer Berufung zitierten Feststellungen mit der rechtlichen Beurteilung klar ist, dass das Erstgericht die getroffene Negativfeststellung auf den Zeitraum zwischen 2,2 Sekunden vor der Losfahrt bis zum Zeitpunkt der Losfahrt bezog. Damit stellt die Feststellung, dass der Buslenker den Blinker vor dem Ausfahren betätigte, die präzisere der beiden Feststellungen dar. Die mit der Positivfeststellung vermeintlich in Widerspruch stehende Negativfeststellung wurde im Übrigen ohnedies (auch) zu Gunsten der klagenden Partei (nämlich als Nichtnachweis einer objektiven Verkehrsübertretung des Busfahrers) ausgelegt.
Auch der von den beklagten Parteien aufgegriffene sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor. Die von ihnen ergänzend begehrte Feststellung, dass das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt des Ausfahrens des Busses im linken Außenspiegel auf der rechten Fahrspur fahrend und damit „auf direktem Kollisionskurs“ erkennbar war, ist mit der Negativfeststellung zur Position des Beklagtenfahrzeugs zum Blinkbeginn des Klagsfahrzeugs nicht vereinbar. Hielt sich nämlich das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt – wie dies klägerseits behauptet wurde – noch 27,5 m hinter dem Heck des Omnibusses auf, so wäre das Ausfahren des Busses gemäß § 26a StVO rechtmäßig gewesen und hätte der Buslenker darauf vertrauen dürfen, dass ihm das ungehinderte Abfahren von der Haltestelle ermöglicht werde. Allein die Erkennbarkeit im linken Außenspiegel führt somit zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung zu ihren Gunsten.
4. Insgesamt gelingt es daher den Streitteilen nicht, eine Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen, weshalb beiden Rechtsmitteln ein Erfolg zu versagen war.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 40 und 41 Abs 1 ZPO. Beide Streitteile haben jeweils Anspruch auf Ersatz der tarifgemäß verzeichneten Kosten ihrer jeweiligen Rechtsmittelgegenschriften, was aufgrund des beinahe identen Berufungsinteresses zur Kostenaufhebung im Berufungsverfahren führt.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Schadensteilung nach § 11 EKHG – wie auch hier – nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmen ist (vgl RS0102198; RS0058551 [T7, T10] uvm). Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO waren nicht zu klären.
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