Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Kraschowetz-Kandolf (Vorsitz), die Richter Mag. Russegger und Mag. Reautschnig sowie die fachkundigen Laienrichter:innen Färber (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Zimmermann (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, im Berufungsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, vertreten durch die Referatsleiterin, Mag a . B*, ebendort, wegen Pflegegeld, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. April 2025, GZ **-10, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird abgeändert ; es lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei über den 30. November 2024 hinaus ein Pflegegeld der Stufe 2 jeweils in der gesetzlichen Höhe, das sind ab 1. Dezember 2024 EUR 354,00 und ab 1. Jänner 2025 EUR 370,30, zu bezahlen und zwar die bis zur Rechtskraft des Urteils fälligen Beträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fälligen Beträge jeweils am Monatsersten im Nachhinein.
Das Mehrbegehren auf Zahlung eines höheren Pflegegeldes wird abgewiesen .“
Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .
Entscheidungsgründe:
Der am ** geborene Kläger bewohnt in einem Mehrparteienhaus eine kleine, einfache Wohneinheit mit Küche und Zimmer und ebenerdigem Eingang im städtischen Gebiet. Das Badezimmer mit Dusche ist nicht barrierefrei, ebenso wenig das WC. Haltegriffe sind im Sanitärbereich nicht vorhanden. Die Wohnung ist mit einer Waschmaschine, jedoch nicht mit einem Geschirrspüler ausgestattet. Eine Gasheizung besteht seit mehr als zwei Jahren.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2024 setzte die Beklagte das dem Kläger in Höhe der Stufe 3 gewährte Pflegegeld (Gewährungsbescheid vom 5. Februar 2024) mit Ablauf des 30. November 2024 auf die Stufe 1 herab und lehnte gleichzeitig den Antrag des Klägers vom 12. Juli 2024 auf Erhöhung des Pflegegeldes ab 1. August 2024 ab. Zur Begründung stützte sie sich darauf, dass beim Kläger ein Pflegebedarf von insgesamt 90 Stunden im Monat habe festgestellt werden können, nämlich für die Zubereitung von Mahlzeiten, das An- und Auskleiden, die sonstige Körperpflege, die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie die Pflege der Leib- und Bettwäsche.
Zum Zeitpunkt der Gewährung (Gewährungsgutachten vom 29. Jänner 2024) bestand beim Kläger eine seitengleich verminderte grobe Kraft der Arme bei massiver Schwellung des linken Unterarms sowie erschwertem Nackengriff bei einem Zustand nach Humerusfraktur rechts. Weiters zeigten sich massive Lymphödeme beider Unterschenkel sowie eine Beugeunmöglichkeit der linken Hüfte und eine schmerzbedingte Einschränkung rechts, aber auch eine eingeschränkte Streckung im linken Knie. Der Kläger war überwiegend bettlägerig mit kurzfristiger Mobilisation in den Rollstuhl. Die Transfers erfolgten meist selbstständig, in Abhängigkeit von den Schmerzen im rechten Arm und der Schwellung im linken Unterarm. Schon zum Zeitpunkt der Gewährung benutzte der Kläger einen Leibstuhl als Toilette, da es ihm nicht möglich war, mit dem Rollstuhl in die enge Toilette hineinzufahren und sich dort selbst auf die Klobrille zu setzen. Zudem führte das Setzen auf die Klobrille zu einer Schmerzverstärkung. Zum Urinieren verwendete der Kläger Glasflaschen, die er nur zeitweise selbst ausleeren und vor allem nicht hygienisch reinigen konnte. Er war nicht in der Lage, sich selbstständig an- und auszukleiden. Der Kläger war und ist stabil im Substitutionsprogramm; psychotische Schübe sind seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Es bestand bzw. besteht ein verordneter Beikonsum mit Beruhigungsmitteln und ein nicht verordneter Cannabiskonsum als Einschlafhilfe. Infolge des ADHS bestanden und bestehen Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Zur Sicherheit war – gemeint – die Hilfestellung bei der Einnahme der Medikamente wegen der Grunderkrankungen zu berücksichtigen. Demgemäß bestand ein Pflegebedarf zum Gewährungszeitpunkt für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung von Mahlzeiten, für das An- und Auskleiden, für die Entleerung und Reinigung der Harnflasche und des Leibstuhls, für die Einnahme der Medikamente, teilweise für die Mobilitätshilfe im engeren Sinn, für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn.
Bereits zum Zeitpunkt der Gewährung war eine Hilfestellung für die Beheizung des Wohnraumes nicht mehr notwendig, da zu diesem Zeitpunkt schon länger als ein Jahr eine Gasheizung installiert war. Der Kläger war schon an der Adresse ** in ** wohnhaft.
Im Gewährungsgutachten ging die Beklagte von einem Pflegebedarf von insgesamt 143 Stunden aus. Das Erstgericht errechnete einen – notwendigen – Pflegebedarf von insgesamt 135,5 Stunden zum Zeitpunkt der Gewährung (tägliche Körperpflege 25 Stunden, Zubereitung der Mahlzeiten 30 Stunden, Verrichtung der Notdurft mittels Harnflasche und Leibstuhl 10 Stunden, An- und Auskleiden 20 Stunden, Einnahme der Medikamente 3 Stunden, Mobilitätshilfe im engeren Sinn als Teilhilfe für die Bewältigung der Treppen und Transfers 7,5 Stunden, Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten 10 Stunden, Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände 10 Stunden, Pflege der Leib- und Bettwäsche 10 Stunden, Mobilitätshilfe im weiteren Sinn 10 Stunden).
Nunmehr kam es im Vergleich zur Gewährung zu einer teilweisen Verbesserung des Gesundheitszustandes. Im Hinblick auf die auf Urteil Seite 11 und 12 festgestellten Leidenszustände (Diagnosen) besteht beim Kläger eine eingeschränkte Mobilität bei der Steh- und Gehfähigkeit. Seit langem ist eine beidseitige Hüftkopfnekrose bekannt. Im Februar 2025 erhielt der Kläger rechts ein neues Hüftgelenk, welches er theoretisch voll belasten dürfte. Da er aber zwei Jahre lang praktisch nur im Bett gelegen ist, hat sich die Muskulatur so stark zurückgebildet, dass erst ein langwieriger Muskelaufbau erfolgen muss. Ein stationäres Heilverfahren sollte ab 16. April 2025 angetreten worden sein. Der Kläger benutzt daher in seinem Wohnumfeld einen Rollstuhl. Er kann die Transfers selbst durchführen und mit dem Rollstuhl selbstständig hantieren. Er ist auch in der Lage, sich auf den Leibstuhl zu setzen. Zum Urinieren verwendet er eine Glasflasche. Aufgrund eines mittlerweile chronischen, sekundären Beinlymphödems beidseits mit Stauungsdermatose wurde im Februar 2025 mit einer Stützstrumpfversorgung auf der linken Seite begonnen. Notwendig wäre eine solche auch rechts. Seit langem ist der Kläger zudem im Substitutionsprogramm. Es besteht eine langjährige Abhängigkeit von vielen Substanzen. Ein ADHS im Erwachsenenalter wurde 2016 diagnostiziert, welches sich vor allem in Konzentrationsstörungen und verminderter Aufmerksamkeit äußert. Mehrmals war der Kläger stationär im Zentrum für Suchtmedizin wegen akuter psychotischer Zustandsbilder, zuletzt 2018. Der Pflegebedarf ergibt sich durch die eingeschränkte Mobilität einerseits und die psychiatrischen Erkrankungen. Der Kläger ist nicht in der Lage, einen Haushalt zu führen und sich eine warme Mahlzeit zuzubereiten, sowie die „Harnflasche“ und die Schüssel des Leibstuhls hygienischen Standards entsprechend zu reinigen. Teilweise benötigt er Hilfe beim Ankleiden der unteren Körperhälfte und beim Vorrichten der Kleidung sowie beim An- und Ausziehen des Oberschenkelstützstrumpfes links seit Februar 2025. Die Medikamente müssen zur Sicherheit vorgerichtet und die Einnahme kontrolliert werden. Motivationsgespräche werden für die tägliche Körperpflege benötigt. Hingegen ist die Mobilität im engeren Sinn mit einem Hilfsmittel ausreichend sicher selbstständig gegeben. Pflegeerschwerende Faktoren, die in Summe zu einer schweren Verhaltensstörung führen, liegen nicht vor.
Demgemäß ergibt sich ein Pflegebedarf für die Ganzkörperpflege (Duschen, Haare waschen, Nagelpflege; 10 Stunden), die Zubereitung von Mahlzeiten (30 Stunden), teilweise für das An- und Auskleiden (10 Stunden), für die Handhabung des Stützstrumpfes (ab Februar 2025 5 Stunden), für die Reinigung der Harnflasche und des Leibstuhls (10 Stunden), für die Einnahme der Medikamente (3 Stunden), für Motivationsgespräche (10 Stunden), für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten (10 Stunden), für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände (10 Stunden) für die Pflege der Leib- und Bettwäsche (10 Stunden) und für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (10 Stunden). Daraus errechnet das Erstgericht einen Pflegebedarf von 113 Stunden bzw. von 118 Stunden ab Februar 2025.
Der Kläger begehrt sinngemäß die Weiterzahlung des Pflegegeldes bzw die Zahlung eines höheren Pflegegeldes.
Die Beklagte bestreitet unter Aufrechterhaltung ihres im Bescheid eingenommenen Standpunktes.
Mit dem angefochtenen Urteil spricht das Erstgericht dem Kläger – ausgehend vom eingangs dargestellten Sachverhalt – ein Pflegegeld der Stufe 3 auch über den 30. November 2024 hinaus zu und weist das Mehrbegehren auf Zahlung eines höheren Pflegegeldes ab. Es folgert rechtlich, die Neubemessung eines Pflegegeldes erfordere eine wesentliche Änderung der objektiven Grundlagen für die seinerzeitige Leistungszuerkennung. Dabei seien auch die Änderungen im Pflegebedarf zueinander in Beziehung zu setzen. Hätte eine Leistungsvoraussetzung von vorneherein gefehlt, seien ein Entzug oder eine Herabsetzung nicht gerechtfertigt. Nur eine nach dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt eingetretene wesentliche Änderung im Tatsächlichen führe zu einer Durchbrechung der Rechtskraft. Hätten die objektiven Grundlagen für die Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so stehe die Rechtskraft der zuerkennenden Entscheidung dem Entzug entgegen. Im vorliegenden Fall habe sich im Vergleich zum Gewährungszeitpunkt der Gesundheitszustand des Klägers teilweise verbessert. Diese Verbesserungen fänden in Reduktionen des Pflegebedarfs auf Hilfestellungen für das Duschen und der Teilhilfe beim An- und Auskleiden ihren Niederschlag. Auch für die Mobilitätshilfe im engeren Sinn bestehe kein Hilfsbedarf mehr. Demgegenüber sei der Pflegebedarf für eine Stützstrumpfversorgung neu. Auch rechts wäre sie notwendig, aber es sei bisher kein zweiter Stützstrumpf in der passenden Größe bewilligt worden. Weiters seien nunmehr Motivationsgespräche für die tägliche Körperpflege und den Kleiderwechsel erforderlich. Nach dem medizinischen Leistungskalkül liege beim Kläger nunmehr ein Pflegebedarf von durchschnittlich 113 Stunden monatlich ab Antragstellung bzw. 118 Stunden monatlich ab Februar 2025 vor. Hinsichtlich des zum Gewährungszeitpunkt irrtümlich zuerkannten Pflegebedarfs für das Beheizen des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial sei nach dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt keine Veränderung im Tatsächlichen eingetreten, sodass insoweit die Rechtskraft der zuerkennenden Entscheidung dem Entzug entgegenstehe und der dafür gewährte Pflegebedarf von 10 Stunden erhalten bleibe. Damit läge ein Pflegebedarf von durchschnittlich 123 Stunden monatlich ab Antragstellung bzw. 128 Stunden monatlich ab Februar 2025 vor, weshalb das Pflegegeld der Stufe 3 zuzuerkennen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten , soweit dem Kläger ein die Stufe 2 übersteigendes Pflegegeld zuerkannt wurde, aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Zuerkennung eines Pflegegeldes in Höhe der Stufe 2 ab 1. Dezember 2024 abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger hat keine Berufungsbeantwortung erstattet.
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in Verbindung mit § 2 Abs 1 ASGG in nicht-öffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, erweist sich als berechtigt.
Die Berufungswerberin führt in der ausschließlich erhobenen Rechtsrüge aus, dass das Erstgericht im sozialgerichtlichen Verfahren den durch die Klage geltend gemachten Anspruch selbstständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach- und Rechtslage zu prüfen habe. Wenn sich der Pflegebedarf insgesamt ändere, sei eine neue Entscheidung möglich. Die im Verwaltungsverfahren angenommenen Stundensätze seien nicht dazu zu zählen. Da weder zum Gewährungs- noch zum Herabsetzungszeitpunkt ein Pflegebedarf für die Beheizung des Wohnraums vorliege, dürfe das Erstgericht diesen auch nicht berücksichtigen. Im Übrigen seien für die Entziehung oder Neubemessung des Pflegegeldes jene Grundsätze heranzuziehen, die auch bei der Entziehung sonstiger Leistungsansprüche nach § 99 ASVG oder bei der Neufeststellung einer Versehrtenrente nach § 183 ASVG angewendet würden. Bei der Entziehung von Rehabilitationsgeld entspreche es der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die (materielle) Rechtskraft des Bescheids über die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld im Fall einer irrtümlichen Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität gemäß § 255b ASVG bei der Gewährung dieser Leistung einer späteren Entziehung dann entgegenstehe, wenn der Sachverhalt im Entziehungszeitpunkt im Vergleich zum Gewährungszeitpunkt unverändert sei. Sei jedoch im Fall eines aufgrund der irrtümlichen Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität zuerkannten Rehabilitationsgeldes eine – wenn auch nur geringfügige – Verbesserung des körperlichen oder geistigen Zustands im Entziehungszeitpunkt feststellbar und beziehe sich diese Verbesserung auf ursprünglich bestehende Beeinträchtigungen, die die unrichtige Einschätzung begründet hätten, so sei eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes dann gerechtfertigt, wenn im Entziehungszeitpunkt vorübergehende Invalidität nicht vorliege. Dieser Grundsatz sei auch beim Pflegegeld anzuwenden. Ein Versicherter, dem ursprünglich das Pflegegeld zu Unrecht gewährt worden sei, solle nicht bessergestellt sein als eine vergleichbare Person, der Pflegegeld rechtmäßig zuerkannt worden sei. Ausgehend von einer Verbesserung im Gesundheitszustand und einer Verringerung des Pflegebedarfs von 135,5 auf 113 bzw. 118 Stunden sei die Rechtskraft durchbrochen worden. Das Erstgericht habe daher zu Unrecht weiterhin ein Pflegegeld der Stufe 3 zugesprochen.
Dies trifft grundsätzlich zu.
Gemäß § 9 Abs 4 BPGG ist das Pflegegeld zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld wegfällt; wenn eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Veränderung eintritt, ist das Pflegegeld neu zu bemessen.
Der zentrale Gesichtspunkt bei der Auslegung der Voraussetzungen für eine Entziehung oder Herabsetzung liegt in der Rechtskraft der Gewährungsentscheidung. Aus der formellen Rechtskraft eines Bescheides erwächst grundsätzlich auch seine materielle Rechtskraft. Dabei handelt es sich um die mit dem Bescheid verbundene Bindungswirkung für die Behörden und Parteien, und zwar nicht nur hinsichtlich der normativen Aussagen, sondern auch hinsichtlich der Unabänderlichkeit und Unwiederholbarkeit. Auch rechtswidrige Bescheide erwachsen in materielle Rechtskraft. Demgemäß ist nach ständiger Rechtsprechung in Sozialrechtssachen ein Leistungsentzug (eine Leistungsherabsetzung) nicht gerechtfertigt, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Leistungsvoraussetzungen von vornherein gefehlt haben. Haben sich die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung nicht wesentlich geändert, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung der Leistung entgegen. Hier ist Rechtssicherheit vor Rechtmäßigkeit zu reihen (RS0083941; 10 ObS 40/20k).
Unstrittig ist, dass zum Zeitpunkt der Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 3 der Pflegebedarf des Klägers mehr als 120 Stunden betragen hat, sodass ihm zu Recht das Pflegegeld in dieser Höhe zuerkannt wurde. Eine Falschgewährung lag demgemäß nicht vor.
Selbst wenn man von einer Falschgewährung ausginge, ergäbe sich Folgendes:
Im Anwendungsbereich des § 9 Abs 4 BPGG wurde vom Obersten Gerichtshof der Grundsatz der Durchbrechung der Rechtskraftwirkung eines Bescheides, der aufgrund einer Fehleinschätzung zu Unrecht eine Leistung gewährte, im Fall der Entziehung eines ursprünglich zu Unrecht zuerkannten Pflegegeldes (es bestand kein Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden) bejaht, weil sich der tatsächliche Pflegebedarf im Zeitpunkt der (ungerechtfertigten) Gewährung von 46 Stunden pro Monat auf 40,5 Stunden pro Monat in zwei Bereichen, die für die Zuerkennung des Pflegegeldes maßgeblich waren, reduziert hatte. Der Grund dafür lag darin, dass die pflegebedürftige Person nicht bessergestellt sein soll als eine Person, die bei rechtmäßiger Zuerkennung von Pflegegeld bei einem Pflegebedarf von 70 Stunden im Falle einer Reduktion des Pflegebedarfs um 5,5 Stunden pro Monat die Entziehung des Pflegegeldes hinnehmen müsste, weil der Pflegebedarf nur 64,5 Stunden beträgt (10 ObS 78/17v).
In einem weiteren Fall wurde irrtümlich ein Pflegegeld der Stufe 3 infolge Annahme einer hochgradigen Sichtbehinderung gewährt (diagnosebezogene Mindesteinstufung), die nicht vorlag. Zum Entziehungszeitpunkt lag der funktionsbezogene Pflegebedarf, der zum Gewährungszeitpunkt gleich war, jedoch unter 65 Stunden. Auch in diesem Fall wurde die Auffassung vertreten, dass die dortige Klägerin, der Pflegegeld ursprünglich zu Unrecht zuerkannt worden sei, und deren Gesichtsfeld sich verbessert habe, nicht bessergestellt sein sollte als eine vergleichbare Person, der Pflegegeld rechtmäßig zuerkannt worden sei (10 ObS 119/23g; auch 10 ObS 43/22d).
Auch im vorliegenden Fall gilt, dass sich der Pflegeaufwand des Klägers jedenfalls in den maßgeblichen Bereichen, die seine Mobilität und Bewegungsfähigkeit betreffen, reduziert hat. Demgemäß benötigt er nur mehr Hilfestellungen für die Ganzkörperreinigung und als Teilhilfe beim An- und Auskleiden. Die Mobilitätshilfe im engeren Sinn ist gänzlich weggefallen.
Somit ergibt sich auch unter diesem Aspekt, dass die Herabsetzung des Pflegegeldes durch die Beklagte – zumindest auf die Stufe 2 – gerechtfertigt und ein höheres Pflegegeld nicht zuzuerkennen war.
Das angefochtene Urteil war daher im Umfang der Anfechtung durch die Beklagte abzuändern, dem Kläger ein Pflegegeld der Stufe 2 zuzuerkennen und ein Mehrbegehren abzuweisen.
Eine Kostenentscheidung entfällt, zumal Kosten nicht verzeichnet wurden.
Im Hinblick auf die bestehende Judikatur und die Einzelfallbezogenheit war die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.
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