Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag.Ohrnhofer (Vorsitz) und Dr.Nauta sowie die Richterin Mag.Berzkovics in der Strafsache gegen G***** M***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10.März 2017, 5 HR 6/17d (ON 99 der Akten 6 Hv 30/17m des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
begründung:
Die Staatsanwaltschaft Graz führte gegen G***** M***** zu 1 St 65/15p ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls vom 25.März 2016 wurde der Angeklagte am 8.April 2016 in Italien festgenommen und zunächst wieder enthaftet (ON 29). Schließlich wurde er – nach Bewilligung der Übergabe durch das Oberlandesgericht Venedig – am 21.September 2016 an die österreichischen Strafverfolgungsbehörden übergeben (ON 54). Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.September 2016 wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt (ON 59) und in der Folge mehrfach fortgesetzt, wobei das Oberlandesgericht Graz mit Beschlüssen vom 27.Oktober 2016, 9 Bs 350/16p, und vom 30.November 2016, 9 Bs 407/16w, den Haftbeschwerden des Angeklagten jeweils nicht Folge gab und die Untersuchungshaft fortsetzte.
Am 24.Februar 2017 brachte der Angeklagte einen Enthaftungsantrag ein, in dem er zusammengefasst vorbrachte, die Anklagebehörde sei seit Einlangen des Abschlussberichts des Finanzamts Graz-Stadt am 16.Jänner 2017 untätig geblieben und habe hiedurch das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt, weshalb die Enthaftung des Angeklagten und die Feststellung der Gesetzesverletzung beantragt werde (ON 94).
Am selben Tag erhob der Angeklagte überdies einen Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO, weil er durch die Untätigkeit der Ermittlungsbehörden, die das seit Einlangen des Abschlussberichts entscheidungsreife Verfahren bisher nicht abgeschlossen hätten, in seinem subjektiven Recht auf Beendigung des Verfahrens in angemessener Frist verletzt worden sei. Er beantragte die Vorlage der Akten an das zuständige Gericht, welches den Verstoß der Staatsanwaltschaft gegen das Beschleunigungsgebot feststellen und der Staatsanwaltschaft auftragen möge, das Ermittlungsverfahren umgehend zu einem Abschluss zu bringen (ON 95).
Die Staatsanwaltschaft trat dem Enthaftungsantrag entgegen (ON 94, AS 1) und erstattete am 1.März 2017 eine Stellungnahme zum Einspruch wegen Rechtsverletzung. Demnach seien nach Einlangen des Abschlussberichts noch weitere Erhebungen erforderlich gewesen, weshalb der Einspruch nicht berechtigt sei (ON 97). Am 3.März 2017 brachte sie gegen den Angeklagten beim Landesgericht für Strafsachen Graz als Schöffengericht die mit 1.März 2017 datierte Anklageschrift wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 StGB, der Finanzvergehen der versuchten Abgabenhinterziehung nach §§ 13, 33 Abs 1 FinStrG und der Finanzvergehen der versuchten gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 13, 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG, teilweise idF BGBl I 2005/103, teilweise idF BGBl 2010/104 ein (ON 98).
Gemäß § 106 Abs 5 letzter Satz StPO wurde dem Angeklagten die Möglichkeit eingeräumt, sich zur oben erwähnten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu äußern. Er erstattete eine schriftliche Äußerung (ON 98a).
Am 8.März 2017 führte der Vorsitzende des Schöffengerichts eine Haftverhandlung durch, in der die Untersuchungshaft fortgesetzt wurde. Der Fortsetzungsbeschluss erwuchs infolge Rechtsmittelverzichts aller Beteiligten unverzüglich in Rechtskraft, weshalb die schriftliche Ausfertigung des Beschlusses gemäß § 86 Abs 3 StPO unterblieb.
Mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 10.März 2017 (ON 99) wies der Haft- und Rechtsschutzrichter den Einspruch wegen Rechtsverletzung als unzulässig zurück. Begründend führte er unter Verweis auf Belegstellen aus, dass die Bestimmung des § 106 Abs 1 StPO auf behauptete Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot nicht anwendbar sei. Verzögerungen des Ermittlungsverfahrens in Haftsachen seien vielmehr im Wege eines Enthaftungsantrags geltend zu machen. Abschließend legte er dar, dass der Einspruch – sollte er vom Beschwerdegericht als zulässig erachtet werden – auch inhaltlich nicht berechtigt wäre, weil der Staatsanwaltschaft kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot anzulasten sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Angeklagten (ON 100).
Die Beschwerde bleibt erfolglos.
Das in § 9 StPO normierte Beschleunigungsgebot besagt, dass jeder Beschuldigte Anspruch auf Beendigung des Verfahrens innerhalb angemessener Frist hat (Abs 1), wobei Verfahren, in denen ein Beschuldigter in Haft gehalten wird, mit besonderer Beschleunigung zu führen sind (Abs 2). Das „besondere Beschleunigungsgebot“ in Haftsachen ist in § 177 Abs 1 StPO näher geregelt. Nach dieser Bestimmung sind sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere, wobei die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei mit Nachdruck und unter besonderer Beschleunigung zu führen sind.
Gegen eine Verletzung des allgemeinen Beschleunigungsgebots in Strafsachen (§ 9 Abs 1 StPO) durch die Staatsanwaltschaft kann nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden, indem ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StPO erhoben wird. Auf diesem Weg kann ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem Beschleunigungsgebot durch konkrete Maßnahmen, wie etwa einer gehörigen Fortführung, einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder einer Anklageerhebung Rechnung zu tragen (11 Os 53/11w, 15 Os 118/11h, 11 Os 131/13v; aM noch Kier , WK-StPO § 9 Rz 55 [Stand: Dezember 2008], der unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zum Schluss kommt, dass Verzögerungen in Nichthaftsachen nur im Wege einer Dienstaufsichtsbeschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft abgestellt werden könnten; in diesem Sinne auch Pilnacek/Koenig , WK-StPO § 106 Rz 17 [Stand: Jänner 2014]).
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu prüfen, ob die behauptete Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) parallell zur Einbringung eines Enthaftungsantrags auch im Wege eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung geltend gemacht werden kann.
Der Beschwerdeführer argumentiert unter Bezugnahme auf Literatur ( Öner/Walcher , Zum Einspruch nach § 106 StPO: Anmerkungen zu Reichweite und Grenzen des Rechtsbehelfs ÖJZ 2014/150) und auf Rechtsprechung (14 Os 108/08a, 14 Os 167/11g), dass Verstöße gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen stets sowohl in einem Enthaftungsantrag als auch in einem Einspruch wegen Rechtsverletzung releviert werden könnten. Dem ist nicht beizupflichten:
Gegen eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen im Bereich der Staatsanwaltschaft kann gerichtlicher Rechtsschutz erreicht werden, indem ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Antrag auf Enthaftung gestellt wird. Mit einem solchen Antrag kann nicht bloß die Beendigung der Haft, sondern gezielt auch bloß die Einhaltung haftrelevanter Vorschriften – wie des Beschleunigungsgebots – begehrt werden, weil Prozessgegenstand jeder richterlichen Haftprüfung stets auch die Einhaltung aller die Haft regelnden gesetzlichen Vorschriften ist. Nötigenfalls ist gegen die darüber ergangene Entscheidung Beschwerde zu erheben. Erfordert die Verletzung des Beschleunigungsgebots für sich allein noch keine Freilassung, kann auf diesem Weg ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnende) Maßnahmen Rechnung zu tragen (14 Os 108/08a; 13 Os 122/08b;
Ist allerdings zur Ahndung einer Rechtsverletzung ein gesondertes Verfahren vorgesehen, welches vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall auch in Anspruch genommen wurde, so kann schon nach der Systematik des § 106 StPO, mit dem Rechtsschutz gegen jene staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen geschaffen werden sollte, gegen die es vor dem In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes 2008 keine Handhabe gab, nicht die gleichzeitige Erhebung eines Einspruchs zulässig sein. Dies hätte nämlich eine weder zweckmäßige noch erwünschte Doppelgleisigkeit zur Folge (vgl. RV 25 BlgNR 22.GP 141, 143; Pilnacek/Koenig, WK-StPO § 106 Rz 29; in diesem Sinne auch OLG Graz 10 Bs 24/10w = RIS-Justiz RG00000063).
Auch aus den vom Beschwerdeführer zur Untermauerung seines Standpunkts zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, 14 Os 108/08a und 14 Os 167/11g, ist nichts Gegenteiliges abzuleiten. In diesen wird vielmehr mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass das mittels Enthaftungsantrag oder Haftbeschwerde angerufene Gericht der Staatsanwaltschaft bei durch sie bewirkter Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen konkrete Aufträge erteilen kann, was per analogiam aus der in § 107 Abs 4 StPO statuierten Pflicht der Staatsanwaltschaft, im Fall der Stattgebung eines Einspruchs den entsprechenden Rechtszustand mit den zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen, abgeleitet wird. Dass parallel zur Geltendmachung der Verletzung des Beschleunigungsgebots mit Haftbeschwerde auch ein Einspruch wegen Rechtsverletzung erhoben werden könne, ergibt sich daraus jedoch nicht (insofern irrig auch Öner/Walcher, aaO, Seite 1005 – Fußnote 45).
Der Beschwerdeführer, der die Verletzung des Beschleunigungsgebots ohnehin in seinem zeitgleich mit dem Einspruch eingebrachten Enthaftungsantrag relevierte, hätte demnach eine Haftbeschwerde erheben müssen, auf die er jedoch ausdrücklich verzichtet hat. Demnach wurde bereits in der unbekämpften Haftentscheidung rechtskräftig über die Einhaltung aller haftrelevanten Vorschriften und damit auch über das Nichtvorliegen der behaupteten Rechtsverletzung entschieden.
Daraus folgt, dass im Anlassfall die behauptete Verletzung des Beschleunigungsgebots durch Einspruch nicht bekämpfbar ist, sodass der Rechtsbehelf vom Erstgericht zu Recht zurückgewiesen wurde.
Oberlandesgericht Graz, Abteilung 9
Graz, am 6. April 2017
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