Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 10. Dezember 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Wurzer als weiteren Richter sowie durch die Rechtsanwälte Dr. Hofmann und Mag. Wagner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strubreiter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 16. November 2023, AZ D 59/21 (iVm D 149/22) (ON 28), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, des Kammeranwalts Mag. Jakauby sowie des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
Der Berufung wegen Strafe wird Folge gegeben und über den Disziplinarbeschuldigten eine Geldbuße in Höhe von 3.500 Euro verhängt.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte *, Rechtsanwalt in *, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er entgegen § 19 RL BA 2015
1./ trotz eines seit dem 13. Februar 2020 beim Landesgericht St. Pölten zur AZ * anhängigen Verfahrens zwischen * U* und * K* als Kläger, vertreten durch R* Rechtsanwaltspartnerschaft OG, und der O* GmbH als beklagte Partei, vertreten durch den Disziplinarbeschuldigten,
a./ am 22. Jänner 2021 U* und K* durch die Erstellung einer WhatsApp Gruppe „Unterlassungsaufforderung“ direkt kontaktiert und damit den Gegenanwalt umgangen;
b./ mit E Mails vom 22. Jänner 2021 und vom 29. Jänner 2021 U* und K* direkt angeschrieben und damit den Gegenanwalt umgangen;
2./ den Rechtsanwalt einer anderen Partei, nämlich Rechtsanwalt Dr. * S*, im Verfahren AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz dadurch umgangen, dass er das von ihm namens * Ka* verfasste Schreiben vom 26. August 2022, in dem bezüglich der Verlassenschaft nach den Eltern der * M* die Erteilung von Auskünften und die Offenlegung von Informationen verlangt wird, direkt an M* übermittelt hat, obwohl ihm bekannt war, dass diese in Angelegenheiten und Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die aus jenen Verlassenschaften von Ka* gegenüber M * geltend gemacht werden, durch Rechtsanwalt Dr. S* vertreten wird.
[3] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde eine Geldbuße von 5.400 Euro verhängt.
[4] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe, der nur im letzteren Punkt Berechtigung zukommt.
Zu Schuldspruch 1./:
[5] Soweit ein (nicht näher konkretisierter, nominell auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützter) Mangel des „Feststellungskomplexes“ zur Kontaktaufnahme des ORF mit Rechtsanwalt Mag. Re* sowie zu den Umständen der Kenntniserlangung durch den Beschuldigten (ES 4) behauptet wird, spricht die Berufung keine entscheidende Tatsache an (vgl RIS Justiz RS0117499).
[6] Die Feststellung, dass U* und K* von der Kanzlei R* Rechtsanwaltspartnerschaft OG vertreten wurden (ES 5), ist weder aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall; vgl [zum Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes] RIS Justiz RS0099431) noch undeutlich (Z 5 erster Fall; vgl RIS Justiz RS0089983).
[7] Ob die Schreiben des Disziplinarbeschuldigten vom 22. und 29. Jänner 2021 sowie die Erstellung der WhatsApp Gruppe „Unterlassungsaufforderung“ am 22. Jänner 2021 in Zusammenhang mit dem Verfahrens AZ * des Landesgerichts St. Pölten stehen, mithin den gleichen Lebenssachverhalt betreffen (vgl 20 Os 15/15d), ist eine Rechtsfrage und damit der Bekämpfung mit Mängelrüge (Z 5) entzogen.
[8] Aus dem Blickwinkel einer Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt die Berufung nicht dar, weshalb eine solche Konnexität mit Blick auf die Konstatierungen zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens einerseits („Probleme resultierend aus einem Vertrag zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit dazugehörenden Lieferverpflichtungen“ [ES 4]) und dem Inhalt der Schreiben (ua Aufforderung, „jegliche Verbreitung von Rufschädigung zu unterlassen […] und jeglicher Ausstrahlung die Zustimmung zu entziehen […], mit der der O* GmbH direkt oder indirekt Vorwürfe gemacht wurden, dass Sie ihr Haus nicht weiter oder fertig bauen konnten“ [ES 5 f]) nicht vorliegen sollte.
[9] Die – undifferenziert als undeutlich sowie als unvollständig und unzureichend begründet kritisierte (Z 5) – Annahme, dass der Disziplinarbeschuldigte die Kanzlei R* Rechtsanwaltspartnerschaft OG „bewusst“ nicht kontaktiert hat (ES 6), hat der Disziplinarrat zulässig aus der Aussage des Disziplinarbeschuldigten geschlossen (ES 9; vgl ON 22 S 5). Davon abgesehen genügt zur Deliktsverwirklichung Fahrlässigkeit (vgl [mit Judikaturnachweisen] Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 7/1).
[10]
[11] Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist dem anwaltlichen Disziplinarverfahren, in dem eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorgesehen ist, fremd (RIS Justiz RS0132515).
[12] Der Beantwortung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist vorauszuschicken, dass § 19 RL BA 2015 dem Anwalt jeglichen direkten Kontakt mit der anwaltlich vertretenen Gegenseite in einer bestimmten Rechtssache oder einer damit konnexen Angelegenheit verbietet (vgl 23 Ds 12/23a). Von Konnexität ist auszugehen, wenn eine Angelegenheit den gleichen Lebenssachverhalt betrifft wie jene Rechtssache, in der die Gegenseite bereits anwaltlich vertreten wird. In solch einem Fall liegt es nämlich geradezu auf der Hand, dass der Vertreter der Gegenseite deren Rechte auch in der konnexen Angelegenheit wahrnimmt. Im Zweifel ist – im Übrigen selbst bei einer nicht augenscheinlich konnexen Rechtssache – eine Rückfrage angebracht (vgl 20 Os 15/15d; 26 Ds 10/20z; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 19 RL BA 2015; Csoklich in Murko/Nunner Krautgasser , Anwaltliches und notarielles Berufsrecht § 19 RL BA 2015 Rz 4).
[13] Vor diesem Hintergrund macht die Berufung, die – ohne dass dies in den Feststellungen Deckung fände – nur von einer Prozessvollmacht des gegnerischen Anwalts für das Verfahren vor dem Landesgericht St. Pölten ausgeht, nicht klar, weshalb die direkte – ohne vorherige Abklärung erfolgte – Kontaktaufnahme mit der Gegenseite trotz deren Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einer (erkennbar) den gleichen Lebenssachverhalt betreffenden Angelegenheit nicht gegen das Umgehungsverbot verstoßen sollte.
Zu Schuldspruch 2./:
[14] Soweit die Berufung (nominell aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO) behauptet, „die Feststellungen und rechtliche Beurteilung“, „warum Dr. S* außerhalb der beendeten Prozessführung mandatiert sein sollte“, seien „undeutlich, widersprüchlich und offenbar unzureichend“, und weiters (lediglich) erklärt, „das Wort 'bewusst'“ anzufechten, unterbleibt prozessordnungswidrig eine Darlegung konkreter nichtigkeitsbegründender Umstände.
[15] Die Ausführungen zur fehlenden Warnfunktion der Anwaltssoftware lassen gleichfalls den Bezug zu einem Berufungsgrund vermissen.
[16] Weshalb es für einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot nicht (nur) auf die anwaltliche Vertretung der Gegenseite in einer (erkennbar) den gleichen Lebenssachverhalt betreffenden Angelegenheit, fallkonkret die Vertretung im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (ES 7 f) ankommen (vgl abermals 20 Os 15/15d), sondern hiefür (auch) eine außergerichtliche Vertretungsbekanntgabe (des gegnerischen Anwalts) erforderlich oder die Beendigung des gerichtlichen Verfahrens von Bedeutung sein sollte, erklärt die Rüge (Z 9 lit a) nicht.
[17] Dem abschließenden – den Strafausschließungsgrund des § 3 DSt reklamierenden – Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit b) zuwider ist das Verschulden des Beschuldigten schon im Hinblick auf die Tatwiederholung nicht bloß als geringfügig – im Sinn von erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend (RIS Justiz RS0056585, RS0089974) – anzusehen (vgl auch RIS Justiz RS0054998 [T1]).
[18] Die Schuldberufung des Disziplinarbeschuldigten im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) vermag keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat zu wecken, weil sich dieser im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Taten auseinandergesetzt und seine Feststellungen nachvollziehbar begründet hat.
[19] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Disziplinarbeschuldigten, war demgemäß der Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen Schuld nicht Folge zu geben.
[20] Der Beschuldigte wendet in seiner Berufung gegen den Strafausspruch gegen die Berücksichtigung der disziplinarrechtlichen Verurteilungen als erschwerend ein, dass „der Fall D 107/2018“ mit den hier gegenständlichen Fakten „nicht einmal ansatzweise etwas gemeinsam“ habe. Dabei verkennt er, dass der Disziplinarrat richtigerweise (bloß) das „disziplinarrechtlich getrübte Vorleben“ und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen als erschwerend gewertet hat. Dass in Bezug auf eine von mehreren anderen Verurteilungen eine Wiederaufnahme angestrengt wird, ist ebenso unerheblich wie die Überlegungen des Disziplinarbeschuldigten zur Erreichbarkeit der gegnerischen Kanzlei und des Mangels an „Kammer Richtlinien zur sog. Litigation-PR“.
[21] Mit Blick auch auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB; RIS Justiz RS0054839) sah sich der erkennende Senat zum Ausgleich der unverhältnismäßigen Verfahrensdauer (Art 6 MRK) zu einer Reduktion auf die aus dem Spruch ersichtliche Geldbuße veranlasst.
[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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