Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Korn, Dr. Stiefsohn, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner Helm in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Johannes Kautz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G* GmbH, *, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 83.160 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Jänner 2025, GZ 16 R 55/24m 15, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Februar 2024, GZ 56 Cg 24/23w 10, Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.765,76 EUR (darin enthalten 460,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.
Begründung:
[1] Die Klägerin und die Beklagte sind gewerbliche Immobilienmakler, Mitglieder der Wirtschaftskammer und des für sie zuständigen Fachverbands der Immobilien und Vermögenstreuhänder.
[2] Die vom Fachverband der Immobilien und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich erlassenen Allgemeinen Richtlinien der Immobilien und Vermögenstreuhänder (kurz: ARL) lauten auszugsweise wie folgt:
„ 4. Kollegiales und standesgemäßes Verhalten, Schlichtungsversuch
[…]
4.2. Bei Streitfällen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Berufsangehörigen haben diese grundsätzlich zunächst eine einvernehmliche Lösung zu suchen.
4.3. Darüber hinaus ist es Standespflicht jedes Berufsangehörigen, dass er sich in allen mit der Berufsausübung zusammenhängenden wesentlichen Streitfällen oder Meinungsverschiedenheiten mit Kollegen, wenn diese nicht einvernehmlich gelöst werden können, zunächst an seine zuständige Innung wendet, die unter Zuziehung aller Beteiligten einen Schlichtungsversuch zu unternehmen hat. Die Verpflichtung, sich an die Innung zu wenden, besteht auch dann, wenn sich ein Berufsangehöriger außerhalb seiner Unternehmenssphäre durch die Berufsausübung eines Kollegen beschwert erachtet. […]
4.6. Jeder Berufsangehörige ist verpflichtet, einer Einladung seiner zuständigen Innung bzw. des zuständigen Organs Folge zu leisten oder der an ihn ergangenen Aufforderung zur schriftlichen Äußerung binnen angemessener Frist zu entsprechen, um der Innung die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben (§ 5 der Fachgruppenordnung) und die Erledigung von Beschwerden Dritter zu ermöglichen. Gegen einen Berufsangehörigen, der diese Verpflichtung verletzt, kann eine Ordnungsstrafe verhängt werden (§ 67 Handelskammergesetz). “
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten 83.160 EUR sA. Sie sei mit der Vermittlung des Verkaufs einer Liegenschaft beauftragt worden. Die Liegenschaft sei in der Folge auch verkauft worden, die Vermittlungsprovision sei aber an die Beklagte ausbezahlt worden, obwohl nur die Klägerin verdienstlich geworden sei.
[4] Die Beklagte bestreitet und wendet (ua) die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Die Klägerin habe keinen Schlichtungsversuch entsprechend der Schlichtungsklausel in Punkt 4.3. der ARL unternommen. Die Nichteinhaltung dieses Schlichtungsverfahrens begründe die vorläufige Unzulässigkeit des Rechtswegs. Die Klage sei daher zurückzuweisen.
[5] Die Klägerin bestreitet. Der Geschäftsführer der Beklagten habe bereits vor Klagseinbringung mitgeteilt, dass er an einer außergerichtlichen Lösung nicht interessiert sei. Auch danach habe die Beklagte eine Schlichtung ausdrücklich abgelehnt. Die Klägerin habe daher davon ausgehen können, dass ein Schlichtungsversuch aussichtslos sei. Die Regelung in Punkt 4.3. ARL genüge auch nicht den Mindestanforderungen an Schlichtungsklauseln. Es werde nicht darauf hingewiesen, dass die Anrufung des Gerichts erst nach Durchführung eines Schlichtungsversuchs möglich sei, es fänden sich keine Bestimmungen über die Dauer einer allfälligen Prozesssperre, die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle oder die Besetzung der Schlichter.
[6] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs zurück. Die Klägerin hätte als Kammermitglied vor Einbringen der Klage zwingend einen Schlichtungsversuch nach Punkt 4.3. ARL unternehmen müssen. Dass ein Schlichtungsversuch jedenfalls aussichtslos sei, könne nicht angenommen werden. Der streitige Rechtsweg sei daher unzulässig.
[7] Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Klägerin Folge, verwarf der Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Punkt 4.3. ARL stelle einen die Parteien bindenden Schlichtungsmechanismus dar, durch den die Anrufung der staatlichen Gerichte solange ausgeschlossen werde, bis der für die Streitteile zuständige Fachverband den Versuch unternommen hat, im Konflikt zwischen den Parteien eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen.
[8] Verschiedenen gesetzlichen Streitschlichtungsregelungen sei gemein, dass sie sowohl zu den in Betracht kommenden Schlichtungseinrichtungen als auch zur Dauer der temporären „Prozesssperre“ nähere Anordnungen enthielten. Auf diese Weise seien auch gewisse Mindest-verfahrensgarantien gewährleistet. Es sei auch bereits mehrfach ausgesprochen worden, dass obligatorische Mediationsvereinbarungen inhaltlichen Mindesterfordernissen entsprechen und daher ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen müssten. Auch in der arbeitsgerichtlichen Judikatur sei es anerkannt, dass Streitschlichtungsvereinbarungen solchen Mindestanforderungen entsprechen müssten. Die Streitschlichtungsklausel in den ARL entspreche diesen Vorgaben nicht, sondern sei vollkommen unbestimmt und daher unwirksam.
[9] Der Revisionsrekurs wurde vom Rekursgericht zugelassen, weil der Oberste Gerichtshof die Frage, ob Punkt 4.3. ARL ausreichend bestimmt sei, noch nicht zu beantworten gehabt habe und diese Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, dass die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird. In eventu wird beantragt, die Klage abzuweisen.
[11] Die Klägerin beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
[13] 1. 2. Die gesetzliche Ermächtigung der Wirtschaftskammer Österreich, für ihre Mitglieder bindende Vorschriften zu erlassen, ergibt sich unmittelbar aus Art 120b Abs 1 erster Satz B VG. Danach haben die Selbstverwaltungskörper das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen und im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen. Die vom Fachverband (§ 47 WRG) erlassenen ARL stellen als „Satzung“ eine autonom erlassene, generell abstrakte Rechtsvorschrift dar, mit der ua Rechte und Pflichten der Mitglieder des Fachverbands untereinander und im Verhältnis zum Selbstverwaltungskörper hoheitlich gestaltet werden.
[14] Art 120b Abs 1 erster Satz B VG legt für Satzungen von Selbstverwaltungskörpern – abweichend vom strengen Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 2 B VG – eine andere Form der Gesetzesbindung fest; diese dürfen demnach Rechtsverhältnisse von Verbandsangehörigen nach eigenen rechtspolitischen Vorstellungen („in eigener Verantwortung“) hoheitlich gestalten, sofern sie dabei „im Rahmen der Gesetze“ verbleiben, also nicht gegen Gesetze verstoßen. Gesetzesrecht darf demnach ergänzt werden, soweit die gesetzlichen Rahmenbestimmungen beachtet werden und nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen wird. Die Satzungsermächtigung des Art 120b Abs 2 B VG statuiert ein „gesetzesergänzendes Verordnungsrecht“ und ist insoweit lex specialis zur allgemeinen Ermächtigung des Art 18 Abs 2 BVG (vgl dazu 4 Ob 203/12z).
[15]2. Punkt 4.3. dieser Satzung sieht eine, einem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Schlichtung durch die zuständige Innung vor. Solche Schlichtungsklauseln oder Schlichtungsvereinbarungen unterscheiden sich von einer Schiedsklausel dadurch, dass die Schlichtungsstelle nicht dazu berufen ist, anstelle des staatlichen Gerichts zu entscheiden, sondern lediglich zur Aufgabe hat, vor Anrufung des staatlichen Gerichts einen Rechtsstreit durch Herbeiführung einer Einigung zwischen den Streitteilen zu vermeiden. Bei Scheitern einer Einigung ist die Anrufung der ordentlichen Gerichte nicht ausgeschlossen (1 Ob 300/00z ua). Eine Schlichtungsvereinbarung führt daher nicht zum Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit und (gleichzeitigen) Übertragung der Entscheidungsgewalt auf einen Dritten, sondern lediglich zu einem „Vorschaltverfahren“, in dem ein Dritter typischerweise einen – für die Parteien nicht bindenden – Lösungsvorschlag unterbreitet.
[16] Eine außergerichtliche Streitbeilegung kann entweder obligatorisch oder fakultativ vorgesehen sein. Obligatorisch ist sie dann, wenn die Parteien den Streitschlichtungsmechanismus verpflichtend in Anspruch nehmen müssen, während bei einem fakultativen Schlichtungsverfahren die Möglichkeit der Parteien, den Rechtsweg zu beschreiten, unberührt bleibt.
[17]3. In der Entscheidung 4 Ob 203/12z (ihr folgend 3 Ob 106/20i) wurde Punkt 4.3. der ARL als eine obligatorische Schlichtungsklausel beurteilt. Dafür spreche bereits die Wahl der Worte „ist es Standespflicht jedes Berufsangehörigen“, vor allem aber der Zweck der Klausel, dass Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern, die mit deren Berufsausübung zusammenhängen, zunächst vor einer Schlichtungsstelle der Innung verhandelt würden.
[18] 4. Mayr kritisiert in seiner Glosse zu dieser Entscheidung (EvBl 2013/106), dass mangels einer klaren und unmissverständlichen Anordnung in der Regelung keine Unzulässigkeit des Rechtswegs eingreifen könne, sondern nur disziplinarrechtliche Sanktionen drohten (vgl auch Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO 5Vor § 1 JN Rz 13).
[19] 5. Tatsächlich ist Punkt 4.3. ARL mit „Kollegiales und standesgemäßes Verhalten“ überschrieben. Die Anrufung der Innung wird ausdrücklich als „Standespflicht“ bezeichnet. Wenn auch die Anrufung der Innung schon nach dem Zweck der Regelung notwendigerweise vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens erfolgen soll, wird eine Anrufung des Gerichts vor einem Schlichtungsverfahren auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen.
[20] Gegen ein – die Klagbarkeit des Anspruchs zumindest vorübergehend ausschließendes – Verständnis der Regelung spricht auch, dass sie im Hinblick auf das Schlichtungsverfahren und dessen Folgen gänzlich unbestimmt bleibt. Sie sieht (abgesehen von allfälligen standesrechtlichen Folgen) selbst keine Konsequenz vor, wenn kein Schlichtungsverfahren angestrebt wird. Für den Fall der Einleitung einer Schlichtung lässt sie ua offen, was gilt, wenn keine Einigung erfolgt und für welchen Zeitraum eine Klagbarkeit des Anspruchs ausgeschlossen sein soll. Ein dauerhafter Ausschluss des Justizgewährungsanspruchs wäre aber jedenfalls unzulässig.
[21]Auch wenn sich die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung zu den inhaltlichen Mindesterfordernissen von Schiedsklauseln auf vertraglich vereinbarte bezieht, führt eine mit Art 6 EMRK in Einklang stehende Auslegung damit dazu, dass bei Fehlen auch nur eines Mindestmaßes an Bestimmtheit nicht von einer obligatorischen Streitschlichtung auszugehen ist.
[22]6. Dies bestätigt sich, wenn man die vorliegende Regelung mit Schlichtungsklauseln anderer Berufsordnungen freier Berufe vergleicht. So sehen etwa § 94 ÄrzteG und § 54 ZÄKG jeweils vor, dass eine Klage erst nach drei Monaten eingebracht werden darf (bzw nach vorheriger Beendigung des Schlichtungsverfahrens). § 76 WTBG ordnet an, dass das Schlichtungsverfahren innerhalb von drei Monaten zu beenden ist und das Beschreiten des Rechtswegs vor Vorlage der Streitigkeit an den Schlichtungsausschuss oder vor Beendigung des Schlichtungsverfahrens unzulässig ist.
[23] Ähnlich ausgestaltet wie die ARL ist hingegen § 21 RL BA 2015, wonach im Fall eines persönlichen Streits aus der Berufsausübung mit einem derselben Rechtsanwaltskammer angehörigen anderen Rechtsanwalt der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer um Vermittlung anzurufen ist. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung stellt zwar einen Disziplinartatbestand dar. Die Literatur sieht darin jedoch keine obligatorische Streitschlichtung als befristetes Prozesshindernis (vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO 11 § 21 RL BA 2015 Rz 17; Prankl , Zur Streitschlichtung zwischen Rechtsanwälten [§ 21 Abs 2 RL BA 2015] und zu den Rechtsfolgen ihrer Missachtung, AnwBl 2020/53, 116).
[24] 7. Auch der Zweck von Punkt 4.3. ARL, gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Berufskollegen und damit eine Verletzung des Ansehens des Standes zu verhindern, spricht nicht zwingend gegen diese Auslegung, kann dieser Zweck doch auch durch Festlegung einer Standespflicht erreicht werden.
[25] 8. Bei Berücksichtigung all dieser Argumente kann nach Ansicht des erkennenden Senats nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei Punkt 4.3. ARL um eine obligatorische Streitschlichtungsregelung handelt, durch die die Anrufung des Gerichts ausgeschlossen ist. Vielmehr ist von einer fakultativen Standespflicht auszugehen, deren Verletzung allenfalls disziplinäre Folgen hat, aber nicht zu einer Unklagbarkeit des Anspruchs oder einer Unzulässigkeit des Rechtswegs führt.
[26] 9. Dementsprechend hat das Rekursgericht im Ergebnis zu Recht die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.
[27]10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO (vgl RS0035955). Dabei war ein Rechenfehler zu berichtigen.
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