Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Witwenpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 2025, GZ 12 Rs 49/25z 11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. Februar 2025, GZ 9 Cgs 349/24z 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1]Die Klägerin bezieht (seit 2019) eine Witwenpension und befindet sich seit 1. 2. 2024 in Altersteilzeit (20 Wochenstunden Arbeitszeit statt zuvor 40 Wochenstunden). Zusammen mit der Witwenpension und ihrem seit Beginn der Altersteilzeit bezogenen Einkommen erreichte sie 2024 nicht den in § 264 Abs 6 ASVG normierten Betrag. Sie stellte bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt für die Zeit ab Beginn der Altersteilzeit einen Antrag auf Gewährung eines Erhöhungsbetrags zur Witwenpension.
[2] Mit Bescheidvom 11. 10. 2024 sprach die Beklagte aus, dass die Witwenpension der Klägerin 464,13 EUR beträgt, wobei eine Erhöhung nach § 264 Abs 6 ASVG nicht vorgenommen wurde.
[3] In ihrer dagegen gerichteten Klage wendet sich die Klägerin(nur) gegen die Höhe der ihr zustehenden Witwenpension ab 1. 2. 2024. Wegen der Unterschreitung des Grenzbetrags von 2.435,86 EUR gebühre ihr nach § 264 Abs 6 ASVG (für 2024) eine um den monatlichen Differenzbetrag von 72,87 EUR höhere Witwenpension. Entgegen der Ansicht der Beklagten werde bei der Klägerin der nach § 264 Abs 6 ASVG normierte Betrag durch die Summe aus ihrem Einkommen und der Witwenpension nicht erreicht, sodass die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Witwenpension vorlägen.
[4] Die Beklagte wandte ein, dass eine Verringerung des Einkommens durch eine Altersteilzeit außer Betracht zu lassen sei. An Stelle des tatsächlich erzielten Einkommens sei für diese Zeit der als Summe der Beitragsgrundlagen ausgewiesene Betrag für die Ermittlung der Berechnungsgrundlage heranzuziehen.
[5] Die Vorinstanzenverneinten einen Anspruch der Klägerin auf Erhöhung der Witwenpension nach § 264 Abs 6 ASVG.
[6] Das Berufungsgerichtführte aus, dass gemäß § 264 Abs 5b ASVG in Fällen der Altersteilzeit nach § 44 Abs 1 Z 10 ASVG für die Ermittlung der Berechnungsgrundlagen (§ 264 Abs 3 oder Abs 4 ASVG) anstatt des tatsächlich erzielten Einkommens die Beitragsgrundlage vor Herabsetzung der Normalarbeitszeit relevant sei. § 264 Abs 3, 4 und 6 ASVG würden nämlich jeweils auf Abs 5 leg cit verweisen, der durch Abs 5b in seinem Einkommensbegriff modifiziert worden sei. Bei Inanspruchnahme von Altersteilzeit sei somit nicht das tatsächliche Einkommen nach § 264 Abs 6 ASVG ausschlaggebend. Die Witwe solle ihre Einkünfte nicht zulasten der Versichertengemeinschaft gestalten können. Die Witwenpension und die heranzuziehende Beitragsgrundlage vor Herabsetzung der Normalarbeitszeit übersteige den nach § 264 Abs 6 ASVG maßgeblichen Grenzwert.
[7] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, weil sich die Frage der Auswirkungen eines durch Altersteilzeit reduzierten Einkommens auf die Berechnung der Witwenpension aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ergebe.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerinmit dem Antrag, die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels stützt die Klägerin auf die von ihr verneinte Frage, ob auch bei der Prüfung des § 264 Abs 6 ASVG die Bestimmung des § 264 Abs 5b ASVG anzuwenden sei.
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben, ohne jedoch ihren Standpunkt in dritter Instanz argumentativ näher darzulegen.
[10] Das Rechtsmittel ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig . Die Revision ist auch (im Sinne des Aufhebungsantrags) berechtigt .
[11]1. Für die Höhe der Witwenpension wird – zum Zweck der Ermittlung des Hundertsatzes des § 264 Abs 1 ASVG (vgl Abs 2 leg cit) – die Berechnungsgrundlage grundsätzlich in § 264 Abs 3 ASVG (bezüglich des Hinterbliebenen) und § 264 Abs 4 ASVG (hinsichtlich des Verstorbenen) normiert, wonach im Allgemeinen an das jeweilige Einkommen nach Abs 5 leg cit (in der Regel:) in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes des versicherten Ehepartners angeknüpft wird, geteilt durch 24.
[12]2. Für den Fall der Altersteilzeit wurde mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2006 – SVÄG 2006 (BGBl I 2006/130) ua in § 264 Abs 5b ASVG eine alternative Beitragsgrundlage gegenüber jener in Abs 5 leg cit eingeführt. Bei der Altersteilzeit ist dabei die entsprechende Beitragsgrundlage vor Herabsetzung der Normalarbeitszeit relevant (§ 44 Abs 1 Z 10 ASVG), die im Beobachtungs- zeitraum dann zur Anwendung kommt, wenn diese höher ist als das gleichzeitig bezogene Einkommen (vgl dazu ErläutRV 1314 BlgNR 22. GP 4). Demnach tritt der sich daraus ergebende Betrag für die Ermittlung der Beitragsgrundlagen nach Abs 3 und Abs 4 an Stelle des Einkommens nach Abs 5. Eine vergleichbare Regelung im Fall der Selbst- und Weiterversicherung normiert § 264 Abs 5a ASVG, mit dem durch das SVÄG 2006 eine (weitere) alternative Beitragsgrundlage zu Abs 5 leg cit festgelegt wurde.
[13]3.1 Für Hinterbliebene mit geringem Einkommen ist in § 264 Abs 6 ASVG allerdings eine untere Schutzgrenze („Schutzbetrag“) dahin vorgesehen (vgl RS0121071), dass es zu einer Erhöhung der Witwenpension kommt, wenn die Summe aus eigenem Einkommen der Witwe „nach Abs 5“ und der Witwenpension (mit Ausnahme des besonderen Steigerungsbetrags) nicht einen bestimmten Betrag (im Jahr 2024: 2.435,86 EUR) erreicht. Diese Regel wurde im Zuge des SVÄG 2006 nicht modifiziert.
[14]3.2 Nach § 264 Abs 7 Satz 1 ASVG ist die Erhöhung der Witwenpension nach Abs 6 leg cit erstmalig aufgrund des Pensionsantrags festzustellen. Daraus ergibt sich, dass ein allfälliger Erhöhungsbetrag bereits im Zuge der erstmaligen Ermittlung der Höhe der Witwenpension zu prüfen ist (vgl in diesem Sinn auch die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs zu G 228/09, Pkt 2.3, wonach die Schutzbestimmung auch im Zusammenhang mit der Ermittlung der Höhe der Hinterbliebenenpension zu sehen sei). Werden die Voraussetzungen für eine (weitere) Erhöhung zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt, so gebührt diese auf besonderen Antrag (§ 264 Abs 7 Satz 2 ASVG).
[15]3.3 Aus § 264 Abs 6 und Abs 7 ASVG ist ein zweistufiger rechnerischer Vorgang abzuleiten: In einem ersten Schritt ist zunächst die Höhe der Witwenpension nach § 264 Abs 1 bis 5b ASVG zu ermitteln. Anknüpfend an die sich daraus ergebende Höhe der Witwenpension ist in einem zweiten Schrittnach Abs 6 zu prüfen, ob die Summe aus dem eigenen Einkommen der Witwe und der Witwenpension den in Abs 6 genannten Betrag erreicht. § 264 Abs 6 ASVG knüpft damit an die (bereits ermittelte) Höhe der Witwenpension an (arg „erreicht die Summe aus dem eigenen Einkommen der Witwe … nach Abs 5 und der Witwenpension … nicht den Betrag von …“).
[16]4. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass die Verringerung des Einkommens durch eine Altersteilzeit nur für den ersten Rechenschritt (also für die eigentliche Ermittlung der Höhe der Witwenpension) außer Betracht zu bleiben hat, weil § 264 Abs 5b ASVG nur die Ermittlung der Witwenpension (bzw die „Ermittlung der Berechnungsgrundlagen nach Abs 3 oder nach Abs 4“) regelt. Für die Prüfung der unteren Schutzgrenze nach § 264 Abs 6 ASVG greift hingegen § 264 Abs 5b ASVG nicht. § 264 Abs 6 ASVG knüpft nämlich explizit an das „eigene Einkommen der Witwe“ an. Der Gesetzgeber sah sich auch durch die Novellierung des § 264 ASVG im Zuge des SVÄG 2006 nicht veranlasst, Abs 6 im Sinne der Auslegung der Vorinstanzen zu ändern.
[17]5. Das hier vertretene Ergebnis korrespondiert auch mit dem Normzweck des § 264 Abs 6 ASVG, der Hinterbliebene mit geringem Einkommen schützen will (vgl Neumayrin SV-Komm § 264 ASVG Rz 11), wobei dieser Schutz – wie im Anlassfall ersichtlich – auch durch einen späteren Einkommensverlust nötig sein kann (10 ObS 48/10x Pkt 1.4). Der Umstand, dass zu Ungunsten der Witwe die Verringerung ihres Einkommens durch eine Altersteilzeit bei der Ermittlung der Witwenpension (erster Rechenschritt) außer Betracht zu bleiben hat, spricht damit nicht dagegen, dass – zur Vermeidung von Härtefällen (10 ObS 56/11z Pkt 1.4; 10 ObS 92/20g Rz 11; RS0121071), also zur weitgehenden Absicherung des bisherigen Lebensstandards – die Hinterbliebenenpension letztlich durch die Schutzklausel erhöht wird.
[18]6. Die vom Senat vertretene Rechtsansicht deckt sich auch mit den Materialien zu § 264 Abs 5b ASVG. In der Regierungsvorlage wird zu dieser Norm ausdrücklich darauf verwiesen, dass die „ einschlägige Beitragsgrundlage im Beobachtungszeitraum zur Anwendung kommen (soll) wenn diese höher ist als das gleichzeitig bezogene Einkommen “ ( ErläutRV 1314 BlgNR 22. GP 4 ). Mit dem Begriff „Beobachtungszeitraum“ ist eindeutig der in Abs 3 und Abs 4 normierte Zeitraum (von zwei bzw vier Jahren) gemeint, der freilich (nur) bei der eigentlichen Berechnung der Witwenpension (also im ersten Rechenschritt), nicht aber bei der Prüfung der Schutzklausel zur Anwendung kommt.
[19] 7. Dem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, die Klägerin dürfe ihre Einkünfte nicht zulasten der Versichertengemeinschaft gestalten. Die Vorgangsweise der Klägerin hält sich im Rahmen der Gesetze, die die im Anlassfall konkret gewählte Gestaltungsmöglichkeit nicht einschränken.
[20]Schließlich könnte der Klägerin – mangels jeglicher gegenteiliger Rechtsgrundlage iSd § 264 Abs 5b ASVG – auch bei einem (vergleichbaren) Wechsel in eine „bloße“ Teilzeitbeschäftigung ebenfalls nicht vorgeworfen werden, dass sie ihre Einkommensverhältnisse zulasten der Versichertengemeinschaft gestaltet.
[21] Dass die Klägerin allenfalls rechtsmissbräuchlich gehandelt haben soll, wurde von der Beklagten weder vorgebracht noch lässt sich das ansatzweise aus den Feststellungen ableiten.
[22]8. Zusammengefasst steht der Klägerin damit der in § 264 Abs 6 ASVG vorgesehene Erhöhungsbetrag zu, der bei der Berechnung der ihr ab 1. 2. 2024 gebührenden Pension zu berücksichtigen ist.
[23]9. Es war im Verfahren nie strittig, dass der Klägerin eine Witwenpension dem Grunde nach zusteht, sodass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Grundurteils nach § 89 Abs 2 ASGG nicht vorliegen. Vielmehr ist die dem Kläger gebührende Pensionsleistung in ziffernmäßig bestimmter Höhe zuzusprechen ( RS0111070 ). Die Grundlagen zur Ermittlung der Pensionshöhe (für 2025) sind den Feststellungen nicht zu entnehmen, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Erstgericht zurückzuverweisen ist. Die in der Revisionsbeantwortung erfolgte Außerstreitstellung betraf nur das Jahr 2024, sodass dadurch eine Sachentscheidung derzeit nicht möglich ist.
[24]10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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