Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, Dr. Weber und Mag. Nigl LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei r* gmbh, FN *, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P* GmbH, FN *, vertreten durch die Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.540.820,10 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2022, GZ 5 R 143/22v 66, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juni 2022, GZ 22 Cg 24/20b 51, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
I. Das Verfahren wird fortgesetzt.
II. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.540.820,10 EUR samt 9,2 % Zinsen über dem Basiszinssatz, angepasst gemäß § 456 UGB, seit 19. 3. 2019 und die mit 66.074, 99 EUR ( darin enthalten 7.349,50 EUR an Umsatzsteuer sowie 21. 978 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen .“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 21.713,44 EUR (darin enthalten 1.583,74 EUR an Umsatzsteuer sowie 12.211 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die mit 3.250,14 EUR (darin enthalten 541,69 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zu I. Mit Beschluss vom 25. 9. 2023, AZ 6 Ob 55/23s, hat der Oberste Gerichtshof das V erfahren über die Revision der klagenden Partei bis zum Einlangen der E ntscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den gleichzeitig gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der EuGH hat darüber mit Urteil vom 28. 11. 2024, C 622/23, entschieden. D as Revisionsverfahren war daher auf Antrag der Klägerin fortzusetzen.
[2] Zu II. Die Beklagte ist Bauherrin eines Projekts zur Errichtung von Privatresidenzen und einem Hotel. Zwischen den Streitteilen wurde Ende März 2018 ein Werkvertrag abgeschlossen, wonach die Klägerin als Werkunternehmerin für die Beklagte als Werkbestellerin bei diesem Bauvorhaben Trockenbauarbeiten ausführen sollte. Als Werklohn waren 5.377.399,69 EUR, darin enthalten 896.233,28 EUR an 20 % Umsatzsteuer, vereinbart.
[3] Nachdem die Klägerin mit den Arbeiten begonnen hatte, teilte Ende Juni 2018 die Beklagte der Klägerin mit, sie wolle die Leistungen der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen. Hintergrund der Beendigung war, dass der Geschäftsführer der Beklagten mit dem Geschäftsführer der Klägerin die Geduld verloren und er darüber hinaus ein günstigeres Angebot bei einem anderen Unternehmen eingeholt hatte.
[4] Für die tatsächlich erbrachten Leistungen abzüglich erhaltener Zahlungen und weiterer Korrekturen und Abzüge hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung von 37.226,10 EUR inklusive 20 % Umsatzsteuer .
[5] Die Klägerin ersparte sich aufgrund der Abbestellung Kosten für Material, Geräte und Fremdleistungen, Löhne, Bauzinsen und das projektbezogene Wagnis von insgesamt 3.005.446 EUR. Das für die aufgrund der Abbestellung unterbliebenen Leistungen der Klägerin vereinbarte Entgelt beträgt nach Abzug dieser Ersparnisse 1.252.995 EUR netto.
[6] Gegenstand des Verfahrens über die Revision der Klägerin ist nur mehr der Umsatzsteuerbetrag aus diesem Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB.
[7] Die Klägerin begehrte 1.540.820,10 EUR sA und brachte vor, der Rücktritt vom Werkvertrag sei nicht in ihrer Sphäre gelegen. Daher habe sie nach § 1168 ABGB grundsätzlich Anspruch auf den vollen Werklohn. Nach Anrechnung der Ersparnisse stünden ihr für die unterbliebenen Leistungen wegen des ungerechtfertigten Vertragsrücktritts 1.252.995 EUR netto, zuzüglich 20 % Umsatzsteuer von 250.599 EUR, somit 1.503.594 EUR brutto zu. Dazu kämen 37.226,10 EUR brutto für schon erbrachte Werkleistungen. Aus der Summe dieser Bruttobeträge errechne sich der Klagsbetrag.
[8] Die Beklagte wendete ein, ein Vertrag zwischen den Streitteilen sei nicht zustande gekommen. Die Klägerin habe für die rechtsgrundlos erbrachten Trockenbauarbeiten einen angemessenen Lohn erhalten. Ein darüber hinausgehender Entgeltanspruch aufgrund § 1168 ABGB scheide aus.
[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zwischen den Parteien sei ein Werkvertrag zustande gekommen. Die Beklagte sei ohne rechtfertigenden Grund vom Vertrag zurückgetreten. Der Klägerin stehe daher trotz teilweisem Unterbleiben der Ausführung des Werks der Werklohn abzüglich der Ersparnisse nach § 1168 Abs 1 ABGB zu, woraus sich die Berechtigung des Klagsanspruchs ergebe. Ohne dies näher zu begründen, sprach das Erstgericht der Klägerin auch die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer in Höhe von 250.599 EUR hinsichtlich der nicht mehr erbrachten, aber gemäß § 1168 ABGB zu entlohnenden Werkleistungen zu.
[10] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren im Betrag von 1.290.221,10 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren von 250.599 EUR sA abwies. Ein Werkvertrag sei zustande gekommen. Der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB werde fällig, wenn die Ausführung des Werks trotz Leistungsbereitschaft des Werkunternehmers endgültig aufgrund von Umständen auf Seite des Bestellers unterbleibe. Der Werkunternehmer müsse zwar zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit sein, mit der Abbestellung erlösche aber die Leistungspflicht des Werkunternehmers ex nunc. Der eingeschränkte Werklohnanspruch werde vom Werkbesteller nicht um einer Gegenleistung des Werkunternehmers willen erfüllt und unterliege – mangels Leistungsaustauschs – auch nicht der Umsatzsteuer. Die im Klagsbetrag diesbezüglich enthaltene Umsatzsteuer betrage 250.599 EUR. In diesem Umfang sei das Klagebegehren abzuweisen.
[11] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Entgeltanspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB der Umsatzsteuer unterlieg e .
[12] Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 25. 9. 2023, AZ 6 Ob 55/23s, die Revision der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils, in der die Beklagte das Zustandekommen eines Werkvertrags zwischen den Parteien bestritt, zurückgewiesen.
[13] Die gegen den klagsabweisenden Teil des Berufungsurteils gerichtete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , sie ist auch berechtigt .
[14] 1. Der gegenständliche Anspruch der Klägerin nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB unterliegt der Umsatzsteuer:
[15] 1.1. Gemäß § 1 Abs 1 Z 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.
[16] 1.2. Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl 2006, L 347, S 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“, der Mehrwertsteuer unterliegen.
[17] Nach Art 9 Abs 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Als „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Gemäß Art 24 Abs 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt a ls Dienstleistung jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist. Art 73 dieser Richtlinie bestimmt, dass bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, die Steuerbemessungsgrundlage alles umfasst, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.
[18] 1.3. Der Senat hat mit Beschluss vom 25. 9. 2023, AZ 6 Ob 55/23s, dem EuGH gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[19] „Ist Art 2 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?“
[20] Der EuGH hat mit Urteil vom 28. 11. 2024, C 622/23, diese Frage wie folgt beantwortet:
„Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass der Betrag, der vertraglich geschuldet wird, weil der Empfänger einer Dienstleistung einen wirksam geschlossenen Vertrag über die Erbringung dieser mehrwertsteuerpflichtigen Dienstleistung – deren Ausführung der Dienstleistungserbringer begonnen hatte und zu deren Fertigstellung er bereit war –, beendigt hat, als Entgelt für eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Richtlinie 2006/112 anzusehen ist.“
[21] 1.4. Aufgrund dieser Antwort gebietet die unionsrechtskonforme Auslegung des § 1 Abs 1 Z 1 UStG, im Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB – anders als das Berufungsgericht – eine umsatzsteuerbare Leistung zu sehen (dazu Türker , Steuerbarer Leistungsaustausch: Bestätigung einer [in]konsistenten Rechtsprechungslinie?, taxlex 2025/20; Beiser , Entgelt oder Schadenersatz in der Umsatzsteuer?, RdW 2025/168).
[22] 2. Somit kommt dem Klagebegehren betreffend diesen Anspruch auch hinsichtlich der Umsatzsteuer Berechtigung zu, was zur spruchgemäßen Abänderung führt. Dabei war der Spruch (hinsichtlich des Zinsenbegehrens) im Sinn des Klagebegehrens zu fassen.
[23] 3. Die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, wobei die von den Vorinstanzen vorgenommenen und von der Klägerin (ausdrücklich) nicht bekämpften Abzüge bei den von ihr verzeichneten erstinstanzlichen Kosten vorzunehmen waren.
[24] Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Auch der Fortsetzungsantrag der Klägerin war zu honorieren; der Honoraransatz nach TP 1 RATG beträgt bei einer Bemessungsgrundlage von 250.599 EUR lediglich 132,10 EUR.
[25] Das Vorabentscheidungsverfahren ist als Zwischenstreit des Revisionsverfahrens anzusehen, sodass der Klägerin auch die Kosten der Stellungnahme an den EuGH und des diesbezüglichen Kostenbestimmungsantrags zuzusprechen waren (vgl 2 Ob 45/25v ErwGr 4.; RS0109758). Mangels abweichender Bestimmungen sind die Kosten der Beteiligung der Klägerin am Verfahren vor dem EuGH nach TP 3C RATG zu bestimmen (vgl RS0109758 [T4]). Auf § 8 Abs 1 AHK, der für die hier maßgebliche Leistung den doppelten Betrag dieser Tarifpost vorsieht, kann der begehrte Kostenersatz dem Prozessgegner gegenüber (§ 1 Abs 2 RATG) jedoch nicht gestützt werden (1 Ob 137/21k ErwGr 7. mwN).
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