Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, Dr. Weber und Mag. Nigl LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. P*, Rechtsanwalt, *, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des I*, vertreten durch die Kaan Cronenberg Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei M* AG, *, vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 422.581,08 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. Juni 2025, GZ 2 R 53/25v 46, den
Beschluss
gefasst:
I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.
II. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird auf Mag. P*, Rechtsanwalt, *, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des I* (AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Graz), berichtigt.
III. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] I. Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Graz vom 18. 8. 2025 wurde zu AZ * das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und Mag. P* zum Insolvenzverwalter bestellt. Dadurch wurde das Revisionsverfahren ex lege unterbrochen (§ 7 Abs 1 IO) und ist über Antrag des Insolvenzverwalters vom 5. 9. 2025 fortzusetzen.
[2] II. Die Bezeichnung des Klägers ist auf den Insolvenzverwalter zu berichtigen (RS0078932; RS0039713).
[3] III. Der Schuldner (in der Folge Kläger) wurde zunächst von 1. 1. 2020 bis 31. 12. 2022 zum Mitglied des Vorstands bestellt. Mit Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 31. 3. 2022 wurde er schließlich für den Zeitraum vom 1. 1. 2023 bis zum 31. 12. 2027 zum Vorstandsvorsitzenden der Beklagten bestellt.
[4] Im Vorstandsvertrag haben die Parteien unter anderem Folgendes vereinbart:
„ IX.
Vertragsdauer und Kündigung
§ 12
[...]
4. Der Vorstand kann durch den Aufsichtsrat bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 75 Abs 4 AktG, wozu insb grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Entziehung des Vertrauens durch die Hauptversammlung zählen, vorzeitig von seinem Amt abberufen werden. Die Gesellschaft ist im Falle der Abberufung zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses mit sofortiger Wirkung berechtigt, wenn ein vom Vorstand verschuldeter Grund vorliegt, der in sinngemäßer Anwendung des § 27 AngG die Gesellschaft zur Entlassung berechtigt. [...] “
[5] Der Kläger wurde mit Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 10. 1. 2024 von seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender abberufen und der Vorstandsvertrag mit sofortiger Wirkung aufgelöst.
[6] Der Kläger begehrt (unter anderem) Zahlung von 422.581,08 EUR sA. Die fristlose Auflösung des Vorstandsvertrags sei nicht unverzüglich erfolgt und daher unwirksam.
[7] Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
[8] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
[10] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.
[11] 1. Die Vorinstanzen nahmen übereinstimmend an, dass die Beklagte gemäß Punkt IX. § 12.4 des Vorstandsvertrags zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses mit sofortiger Wirkung berechtigt war, weil ein vom Kläger verschuldeter Grund vorlag, der in sinngemäßer Anwendung des § 27 AngG zur Entlassung berechtigt. Gegen diese Rechtsansicht führt die Revision kein inhaltliches Argument ins Treffen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist (vgl RS0043352 [insb T34, T35], RS0043338 [T15, T17]). Im Revisionsverfahren ist daher ausschließlich strittig, ob die Beklagte die fristlose Auflösung des Vorstandsvertrags unverzüglich ausgesprochen hat:
[12] 2.1. Der Arbeitgeber muss eine Entlassung ohne Verzug und damit sofort nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist aussprechen ( RS0029131 ; Eckert/Schopper/Madari in Eckert/Schopper , AktG ON 1.00 § 75 Rz 56). Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber, sobald diesem alle für die Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gelangt sind. ( RS0029321 ).
[13] Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung nicht unverzüglich mit einer Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung offenbar nicht als unzumutbar ansieht und auf das Entlassungsrecht im konkreten Fall verzichtet ( RS0029249 ). Entscheidend dabei ist vor allem der Verständnishorizont des betroffenen Dienstnehmers. Für diesen muss das Verhalten des Dienstgebers gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe, was dann regelmäßig nicht zutrifft, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der Dienstgeber durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen ( RS0031799 [T25]; J. Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/ Karollus , AktG II 6 Anh zu § 75 Vorstands-Anstellungsvertrag Rz 187).
[14] Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf jedoch nicht überspannt werden ( RS0029273 [T16]; RS0031587 ). Zwischen dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und dem Ausspruch der Entlassung muss eine angemessene Überlegungsfrist gewährt werden, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, sich über die Rechtslage zu informieren ( RS0031587 [T3]; RS0031789 [T2]). Bei einem zunächst zweifelhaften Sachverhalt ist dem Dienstgeber überdies die zur hinreichenden Aufklärung notwendige Zeit einzuräumen ( 9 ObA 97/23i
[15] Nach der Rechtsprechung hängt die Frage, ob dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung entsprochen wurde, von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar ( RS0031571 [T12]).
[16] 2.2. Nach den Feststellungen erfuhr der Aufsichtsratsvorsitzende erstmals am 12. 12. 2023 von den Ungereimtheiten der Spesenabrechnung des Klägers. Ein unverzüglich beauftragter Wirtschaftsprüfer erstattete am 14. 12. 2023 einen Zwischenbericht, mit dem der Kläger konfrontiert wurde. Der Kläger hatte zu jedem der Belege eine (vordergründig) schlüssige Erklärung. Der Aufsichtsratsvorsitzende teilte dem Kläger daraufhin mit, dass er aus seiner Sicht schlüssige Erklärungen liefern habe können, weshalb für eine Abberufung keine ausreichende Grundlage vorhanden sei, sich der Aufsichtsrat dies jedoch noch genauer ansehen müsste. Im Zuge der Aufarbeitung des Verhältnisses der Vorstandsmitglieder untereinander mit Hilfe eines externen Coaches, erfuhr der Aufsichtsrat am 8. 1. 2024, dass für die übrigen Vorstandsmitglieder eine weitere Zusammenarbeit aufgrund des Verhaltens des Klägers ausgeschlossen sei. Der externe Coach gab gegenüber dem Aufsichtsrat an, der Vorstand sei in seiner aktuellen Konstellation nicht funktionsfähig. Am 9. 1. 2024 erhielt der Aufsichtsratsvorsitzende vom Wirtschaftsprüfer die Information, dass bei einer über Veranlassung des Klägers bezahlten Rechnung eine bewusste Verletzung interner Kontrollmechanismen (Management Override of Control) gegeben sei. Die Entlassung des Klägers folgte in der Aufsichtsratssitzung am nächstfolgenden Tag.
[17] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass damit die am 10. 1. 2024 durch den Aufsichtsrat erfolgte Auflösung des Vorstandsvertrags mit sofortiger Wirkung unverzüglich erfolgt sei, entspricht der dargestellten Rechtsprechung, lagen doch alle zur Entscheidung über den Ausspruch der fristlosen Auflösung wesentlichen Fakten erst am 9. 1. 2024 vor. Es mag zwar sein, dass der Auftrag an den Wirtschaftsprüfer, die Spesenabrechnung genauer zu überprüfen, schon früher als am 8. 1. 2024 erfolgen hätte können, allerdings erfuhr der Aufsichtsrat ohnehin erst am 8. 1. 2024 vom intolerablen Verhalten des Klägers gegenüber seinen Vorstandskollegen sowie der dadurch bedingten Funktionsunfähigkeit des Vorstands, und lieferte der Wirtschaftsprüfer schon am 9. 1. 2024 den Beweis zum Management Override of Control des Klägers, sodass auch daraus für ihn nichts zu gewinnen ist. Es ist zwar richtig, dass eine Suspendierung eine Möglichkeit ist, die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechtes zu verhindern (vgl RS0028987 ), daraus folgt jedoch nicht, dass jeder Entlassungsausspruch nach mehreren Wochen ohne Suspendierung unwirksam wäre (vgl etwa 6 Ob 47/23i). Im Übrigen stellte der Aufsichtsratsvorsitzende im Gespräch mit dem Kläger am 14. 12. 2023 klar, dass der Sachverhalt noch näher untersucht werde, sodass der Kläger schon deshalb nicht davon ausgehen durfte, dass die Beklagte auf die Geltendmachung des Auflösungsgrundes hinsichtlich der Spesenabrechnungen verzichtet hätte.
[18] 2.3. Die Beendigung des Anstellungsverhältnisses (Vorstandsvertrags) erfolgt durch die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, wenn beide Beendigungserklärungen (Abberufung als Vorstand und fristlose Auflösung des Vorstands-Anstellungsvertrags) – wie hier – gleichzeitig abgegeben werden ( RS0049384 ; J. Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus , AktG II 6 Anh zu § 75 Vorstands-Anstellungsvertrag Rz 170 ; Eckert/Schopper/Madari in Eckert/Schopper , AktG-ON 1.00 § 75 Rz 51 ; nicht differenzierend etwa Schima in Kalss/Kunz , Handbuch für den Aufsichtsrat 2 [2016] III. Rz 185 ). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es für die Frage der Kenntnis des Auflösungsgrundes auf den Wissensstand des Aufsichtsrats ankomme, bedarf daher keiner Korrektur (vgl auch RS0021588 ; RS0114477 ). Warum die unterlassene Berichterstattung eines Vorstandsmitglieds an den Aufsichtsrat über das mögliche Vorliegen eines Auflösungsgrundes bei einem Vorstandskollegen zu einem Verzicht auf das Auflösungsrecht führen soll, ist nicht nachvollziehbar.
[19] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Rückverweise