Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Rathmayr in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 13. August 2025, GZ 40 Hv 3/25m 68, über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie über dessen Berufung und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 16. Mai 2025, GZ 40 Hv 3/25m 49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 16. Mai 2025, GZ 40 Hv 3/25m 49, wurde * B* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte mit Schriftsatz vom 19. Mai 2025 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen des Strafausspruchs an (ON 51). Die Urteilsausfertigung wurde der Wahlverteidigerin am 3. Juli 2025 zugestellt. Am 21. Juli 2025 teilte diese mit, dass der Angeklagte das Vollmachtsverhältnis zur A* OG aufgekündigt habe (ON 53). Daraufhin wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Wahlverteidigerin auf § 63 Abs 2 StPO hin (ON 1.24). Am 24. Juli 2025 beantragte der Angeklagte die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (ON 58), welcher ihm am selben Tag beigegeben wurde (ON 60). Mit Eingabe vom 30. Juli 2025 zeigte der nunmehrige Wahlverteidiger Mag. D* seine Bevollmächtigung an (ON 64).
[3] Mit Beschluss vom 13. August 2025 wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die gegen das Urteil angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 2 StPO zurück, weil eine fristgerechte Ausführung derselben unterblieben und bei der Anmeldung des Rechtsmittels kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet worden sei (ON 68).
[4] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt.
Zur Beschwerde:
[5] Da der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde noch in einer innerhalb der vierwöchigen Frist ab Zustellung der Urteilsausfertigung an die Wahlverteidigerin am 3. Juli 2025 eingebrachten Ausführung derselben (§ 285 Abs 1, § 63 Abs 2 StPO) einen Nichtigkeitsgrund (§ 281 Abs 1 Z 1 bis 11 und § 281a StPO) deutlich und bestimmt bezeichnet hat, erfolgte die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch die Vorsitzende des Schöffengerichts zu Recht (§ 285a Z 2, § 285d Abs 1 StPO; vgl RIS Justiz RS0125686).
[6] Die Beschwerde bringt vor , das Erstgericht hätte seine Manuduktionspflicht verletzt, weil es bloß die ursprüngliche Wahlverteidigerin, nicht aber den Angeklagten selbst sowie den neu bevollmächtigten Verteidiger auf die Bedeutung des § 63 Abs 2 StPO hingewiesen habe. Der Wahlverteidiger habe darauf vertraut, dass die Zustellung an den Verfahrenshelfer einen neuen Fristenlauf auslöste. Es liege hier keineswegs ein Fall „verfahrenstaktischer Verzögerung“ vor.
[7] Damit wird eine Mangelhaftigkeit des Beschlusses nicht aufgezeigt.
[8] Der Beschwerde war daher nicht Folge zu geben (§ 285b Abs 4 StPO).
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
[9] Der Angeklagte bringt vor, sein Wahlverteidiger Mag. D* wäre der Meinung gewesen, dass infolge Bestellung des Verfahrenshilfeverteidigers und Zustellung der Urteilsausfertigung an diesen die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 63 Abs 1 StPO neu zu laufen begonnen habe. Der Verteidiger wäre „ansonsten akribisch“ bei der Wahrung von Fristen, in der Versäumung der Frist könne kein höhergradiges Verschulden gesehen werden, zumal das Erstgericht ihn nicht auf § 63 Abs 2 StPO hingewiesen hätte, der Rechtsirrtum des Verteidigers könne jedenfalls nicht dem Angeklagten zugerechnet werden.
[10] Nach § 364 Abs 1 StPO ist einem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist (hier: zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde) zu bewilligen, sofern er (neben weiteren Voraussetzungen) nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
[12] Vorliegend hat es die zuerst bevollmächtigte Verteidigerin unterlassen, das angemeldete Rechtsmittel auszuführen. Der nun einschreitende Wahlverteidiger wiederum hat sich auf die – für den Fristenlauf irrelevante (§ 63 Abs 2 StPO) – Übermittlung der Urteilsausfertigung an den Verfahrenshilfeverteidiger verlassen und den Zeitpunkt der Zustellung der Urteilsausfertigung an die anfangs bevollmächtigte Verteidigerin nicht geprüft.
[13] Gemessen am Standard gewissenhafter und umsichtiger Rechtsanwälte (vgl dazu RIS Justiz RS0131735) liegt den Vorgangsweisen der Verteidiger daher nicht ein Versehen bloß minderen Grades zugrunde, weshalb die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen war.
[14] Zur Entscheidung über die Berufungen ist das Oberlandesgericht zuständig (§ 285i StPO).
[15] Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil es nicht zu einem Rechtsmittelverfahren im Sinn des § 390a Abs 1 StPO gekommen ist und ein erfolgloser Antrag auf Wiedereinsetzung keine Kostenersatzpflicht auslöst ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 11 und 19).
[16] Anzumerken bleibt, dass dem Urteil weder die in der verspätet eingebrachten Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemachten Nichtigkeitsgründe (§ 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b StPO) noch von Amts wegen wahrzunehmende (§ 290 Abs 1 StPO) anhaften.
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