Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei R* L*, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf ua, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dipl. Ing. Dr. R* L*, vertreten durch Dr. Anneliese Lindorfer ua, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO, über den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 8. Juli 2025, GZ 21 R 195/25k 45, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 5. Mai 2025, GZ 25 C 47/23s 39, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 402,86 EUR (darin enthalten 67,14 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile waren seit 1983 verheiratet. Mit einstweiliger Verfügung vom 28. 9. 2023, bestätigt durch das Rekursgericht, hat das Erstgericht dem Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) für die Dauer von sechs Monaten bzw bis zum rechtskräftigen Abschluss eines binnen dieser angeordneten Dauer einzuleitenden Scheidungsverfahrens die Rückkehr in die Ehewohnung samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern verboten.
[2] Die gefährdete Partei (in der Folge: Antragstellerin) brachte am 14. 2. 2024 die Ehescheidungsklage ein. Mit Urteil des Erstgerichts vom 21. 3. 2025 wurde die Ehe der Streitteile aus dem alleinigen Verschulden des Antragsgegner geschieden. Dagegen hat der Antragsgegner Berufung erhoben.
[3] Die Antragstellerin beantragte die Verlängerung der einstweiligen Verfügung für den Fall der Rechtswirksamkeit des Scheidungsurteils für die Dauer von weiteren sechs Monaten beziehungsweise bis zum rechtskräftigen Abschluss eines binnen dieser angeordneten Dauer einzuleitenden Aufteilungsverfahrens. Ein Zusammenleben der Parteien sei aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners im Scheidungsverfahren nicht mehr möglich. Es drohe die Gefahr, dass es zu weiteren, gewalttätigen Angriffen des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin komme.
[4] Der Antragsgegner sprach sich gegen die Verlängerung aus. Dass ein Zusammenleben der Parteien aufgrund der bisherigen Vorkommnisse nicht mehr vorstellbar sei, liege nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung. Von ihm sei nie eine Gefahr für die Antragstellerin ausgegangen und es drohe auch in der Zukunft keine Gefahr.
[5] Das Erstgericht verlängerte die einstweilige Verfügung vom 28. 9. 2023 bis zum rechtskräftigen Abschluss des künftig einzuleitenden Aufteilungsverfahrens. Da der Antragsgegner in den Scheidungsverhandlungen und in seiner Äußerung die Antragstellerin und seine Kinder laufend beleidigt habe, seien Übergriffe seinerseits gegen die Antragstellerin nicht auszuschließen.
[6] Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Antragsgegner erhobenen Rekurs teilweise Folge. Es sprach aus, dass die einstweilige Verfügung vom 28. 9. 2023 jedenfalls bis zum 5. 11. 2025 gilt (Pkt 1). Wird bis 5. 11. 2025 ein Verfahren nach §§ 81 ff EheG eingeleitet, so gilt die einstweilige Verfügung für das Verbot laut Punkt 1. auch darüber hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Aufteilungsverfahrens (Pkt 2). Auch wenn sich der Antragsgegner bislang an die Verfügung gehalten haben möge, könne schon aufgrund seiner erstatteten Äußerung nicht der Schluss gezogen werden, dass sich die maßgeblichen Umstände zwischen den Eheleuten dahin geändert hätten, dass die Verfügung zur Verhinderung neuerlicher Gewalttätigkeiten nicht mehr notwendig wäre. Wenn die einstweilige Verfügung ursprünglich ohne Klage bewilligt worden sei und die Gefährdungslage fortbestehe, sei die zusätzliche Festsetzung einer Frist zulässig, wenn eine mögliche Beendigung des Hauptverfahrens vor dem Ablauf der jeweiligen Maximalfristen eine Rechtsschutzlücke bewirken könnte. Zusätzlich zur Anordnung auf bestimmte Zeit könne das Gericht die Dauer auch mit dem rechtskräftigen Abschluss des anhängigen oder eines binnen der angeordneten Dauer einzuleitenden Verfahrens in der Hauptsache festsetzen.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Abweisung des Verlängerungsantrags abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Antragstellerin begehrt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des Revisionsrekurses; hilfsweise diesem keine Folge zu geben.
[9] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , er ist aber nicht berechtigt .
1. Zur Nichtigkeit
[10] 1.1 Die Verneinung einer im Rekurs gerügten Nichtigkeit durch die zweite Instanz ist im Provisorialverfahren nicht weiter anfechtbar (RS0097225 [T1, T8]; 7 Ob 44/14t).
[11] 1.2 Das als Nichtigkeit des Rekursverfahrens nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO gerügte Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung liegt nicht vor. Der Nichtigkeitsgrund wäre vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Rekursgericht setzte sich ausführlich mit den vorliegenden Rechtsfragen auseinander und begründete seine Entscheidung umfassend, wenn auch nicht im Sinne der Rechtsansicht des Antragsgegners.
2. Zu den Voraussetzungen der Verlängerung
[12] 2.1 Die Frist, für welche eine einstweilige Verfügung bewilligt worden ist, kann auf Antrag verlängert werden, wenn der angestrebte Zweck innerhalb des betreffenden Zeitraums nicht erreicht werden konnte (RS0005534), weil die Gefährdungslage weiter besteht. Bei der Verlängerung der einstweiligen Verfügung ist nicht mehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorlagen. Nur wenn sich ergäbe, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorliegen, wäre der Antrag auf Verlängerung abzuweisen (RS0005613).
[13] Die Ansicht des Antragsgegners, es müsste von Grund auf eine neue einstweilige Verfügung geprüft werden, also ob die Voraussetzungen des § 382b EO aufgrund der aktuellen Situation erlassen werden kann, widerspricht dieser dargestellten ständigen Rechtsprechung.
[14] 2.2 Schon bisher entsprach es außerdem der Judikatur, dass die beschränkte Geltungsdauer vor Fristablauf auf Antrag verlängert werden kann, wenn ein Hauptverfahren erst nach Erlassung einer einstweiligen Verfügung gerichtsanhängig wird und der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist (vgl RS0109194 [T4] = RS0123193 [T1]). Ein Zuwiderhandeln gegen die einstweilige Verfügung war hierfür nicht erforderlich (vgl 7 Ob 224/18v).
[15] 2.3 Eine Erlassung bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens war nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtslage vor dem Gewaltschutzgesetz 2019 hingegen nicht zulässig (RS0116471). Auch nach dem 2. GeSchG hielt der Oberste Gerichtshof daran fest, weil die in den Materialien zum Ausdruck gebrachte Ansicht, wonach dem Gericht nicht die Möglichkeit genommen werden soll, „schon bei Erlassung der einstweiligen Verfügung eine Verlängerung für den Fall auszusprechen, dass innerhalb dieser Frist ein Hauptverfahren eingeleitet wird“, keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden habe (7 Ob 166/13g mwN).
[16] 2.4 Durch das Gewaltschutzgesetz 2019 wurde die Rechtslage dahingehend novelliert, dass das Gericht bei einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen und zum allgemeinen Schutz vor Gewalt neben der Dauer von sechs Monaten bzw einem Jahr, die Dauer auch mit dem rechtskräftigen Abschluss des anhängigen oder eines binnen der angeordneten Dauer einzuleitenden Verfahrens in der Hauptsache festsetzen kann. Nach den Materialien sollte dem Gericht diese Möglichkeit nunmehr ausdrücklich und im Sinne der Materialien zum 2. GeSchG eingeräumt werden (A 970 BlgNR 26. GP 45).
[17] Durch die Gesamtreform des Exekutionsrechts (GREx) 2021 wurden die Bestimmungen über die Dauer dieser einstweiligen Verfügungen nur systematisch umgestellt, nicht aber inhaltlich verändert.
[18] 2.5 Aufgrund der Änderungen durch das Gewaltschutzgesetz 2019 ist es daher nunmehr möglich, eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO bis zum Abschluss eines binnen der angeordneten Dauer von maximal sechs Monaten einzuleitenden Verfahrens zu erlassen oder zu verlängern (idS Pesendorfer , Neues zur Dauer der einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt, Zak 2019, 411).
[19] Sofern der Antragsgegner auf die – oben zitierte – Rechtsprechung verweist, nach der eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden kann, verkennt er die geänderte Rechtslage.
[20] 2.6 Der vom Antragsgegner gerügte sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor, weil für eine Verlängerung wegen eines bereits eingeleiteten oder binnen einer bestimmten Frist einzuleitenden Hauptverfahrens nach den dargestellten Grundsätzen kein Zuwiderhandeln gegen die einstweilige Verfügung erforderlich ist.
[21] 2.7 Bei der Entscheidung über einen Revisionsrekurs ist der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz und hat von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat (RS0002192).
[22] Die Revisionsrekursausführungen entfernen sich jedoch von den Feststellungen der Tatsacheninstanzen, welche sehr wohl davon ausgingen, dass es wiederholt zu Beleidigungen der Antragstellerin durch den Antragsgegners gekommen ist.
[23] 2.8 Die materiellen Voraussetzungen für eine Verlängerung liegen somit vor, weil nach dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt aufgrund der laufenden Beleidigungen durch den Antragsgegner im Scheidungsverfahren und in seiner Äußerung Übergriffe seinerseits gegen die Antragstellerin nicht auszuschließen sind. Es hat sich somit nicht ergeben, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorliegen. Für diese Einschätzung der Vorinstanzen spricht auch der Umstand, dass der Antragsgegner selbst im Revisionsrekurs weiterhin die Gewaltanwendung, die zur Erlassung der einstweiligen Verfügung geführt hat, leugnet und der Antragstellerin unterstellt, die Verletzungen bloß vorgetäuscht zu haben.
3. Zur Dauer der Verlängerung
[24] 3.1 Der Fachsenat hatte sich schon vor dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019 zu 7 Ob 190/18v mit Fragen zur Verlängerung einer mit der Entscheidung in der Hauptsache befristeten einstweiligen Verfügung nach § 382b EO auseinanderzusetzen und ausgesprochen, dass zur Herstellung des Gleichklangs mit einer einstweiligen Verfügung ohne Klage eine Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus zulässig ist, wenn und soweit nach einem Verlängerungsantrag die Voraussetzungen für die (mehrfache) Verlängerung einer ohne Klage gewährten Verfügung auch im Zeitpunkt der Entscheidung noch vorliegen. In einem solchen Fall kann die Verlängerung im zeitlichen Gleichlauf mit einer solchen Verfügung ohne Klage bis zum kalendermäßig bestimmten Termin verlängert werden, der sich aus § 382b Abs 2 EO bzw aus § 382e Abs 2 EO (jeweils idF vor dem Gewaltschutzgesetz 2019) ergibt, auch wenn das Hauptverfahren vor diesen Zeitpunkten enden sollte.
[25] 3.2 Wie dargelegt ist es durch die gesetzlichen Änderungen aufgrund des Gewaltschutzgesetzes 2019 nunmehr zusätzlich möglich, die einstweilige Verfügung bis zum Abschluss eines Hauptverfahrens nach § 382e Abs 4 EO (idgF) zu verlängern, wenn dieses Hauptverfahren binnen einer festgelegten Frist eingeleitet wird (vgl Pkt 2.5). Einer Zuwiderhandlung des Antragsgegners braucht es hierfür nicht.
[26] 3.3 Das Rekursgericht hat in Punkt 1. eine kalendermäßig bestimmte Frist und in Punkt 2. ausgesprochen, dass sich die Geltungsdauer verlängert, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren nach §§ 81 ff EheG eingeleitet wird.
[27] Durch die vom Rekursgericht gewählte Vorgehensweise wird die Fortdauer des Gefährdungstatbestands nicht für einen unvorhersehbaren Zeitraum in der Zukunft beurteilt, sondern nur dessen Vorliegen bis zum Ablauf der kalendermäßig bestimmten Frist. Dass sich die Geltungsdauer bis zur rechtskräftigen Beendigung eines binnen dieser Frist eingeleiteten Aufteilungsverfahrens verlängert, entspricht – entgegen den Ausführungen des Antragsgegners – den durch die neue Gesetzeslage geschaffenen Wertungen bei einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen und zum allgemeinen Schutz vor Gewalt.
[28] 4. Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben.
[29] 5. Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen sind für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (RS0044185).
[30] 6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 50, 41 ZPO.
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