Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. H*, geboren am * 2019, und 2. P*, geboren am * 2021, Vater Dipl. Ing. A*, vertreten durch die Riedl - Ludwig - Penzl Rechtsanwälte GmbH in Haag, Mutter K*, BSc, *, vertreten durch Dr. Renate Garantini, Rechtsanwältin in Linz, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 25. Juni 2025, GZ 23 R 194/25i 107, den
Beschluss
gefasst:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen entzogen der Mutter die Obsorge für die Minderjährigen, sodass diese nunmehr dem Vater allein zukommt, und räumten der Mutter ein begleitetes Kontaktrecht ein.
[2] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es der Mutter nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[3] 1.1. Gemäß § 181 Abs 1 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Wohles eines Kindes nötigen Verfügungen zu treffen, wenn die Eltern oder ein Elternteil durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Insbesondere darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen, wobei die Obsorge nur so weit beschränkt werden darf, als dies zur Sicherung des Wohles des Kindes notwendig ist (§ 182 ABGB).
[4] 1.2. Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohles ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen, vielmehr genügt es, dass die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt wurden oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RS0048633 [T6, T7, T17, T22]). Ob ein Sachverhalt die Entziehung der Obsorge ganz oder teilweise rechtfertigt, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0048633 [T24]; RS0048699 [T20, T23]).
[5] 1.3. Eine Änderung (Entziehung oder Einschränkung) der einem Elternteil zustehenden Rechte im Sinn der §§ 177 und 187 ABGB darf vom Pflegschaftsgericht nur dann angeordnet werden, wenn diese im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei bei Beurteilung dieser Frage grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0048699).
[6] 1.4. Eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, kommt nur als ultima ratio in Betracht. Zuvor hat das Gericht alle anderen Möglichkeiten zu prüfen, die dem Kindeswohl gerecht werden können und eine Belassung des Kindes in der Familie ermöglichen (RS0132193). Dies folgt daraus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann gewahrt wird, wenn bei einer im Interesse des Kindes gebotenen Beschränkung der Obsorge die jeweils gelindesten Mittel angewandt werden (4 Ob 215/22d). Ob gelindere Mittel ausreichen, ist ebenfalls eine Frage des Einzelfalls (RS0132193 [T2]).
[7] 2.1. Nach den bindenden Feststellungen leidet die Mutter an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und befindet sich im Zustand nach einer akuten wahnhaften Störung im Sommer 2023. Sie unterliegt einer verzerrten Realitätswahrnehmung mit Tendenz zur Wahnbildung, bagatellisiert ihr eigenes Verhalten und ist nicht selbstreflektiert, sondern bedient sich der Strategie der Schuldabwehr, indem sie den Vater und dessen Familie für ihre aktuelle Situation sowie Lebenslagen in der Vergangenheit verantwortlich macht. Die Mutter ist aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht erziehungsfähig. Sie ist nicht in der Lage, die emotionalen, körperlichen und geistigen Bedürfnisse ihrer Kinder entsprechend dem Kindeswohl wahrzunehmen und zu erfüllen. Die beiden Minderjährigen waren in der Vergangenheit wiederholt den psychopathologischen Auffälligkeiten der Mutter und deren dem Kindeswohl abträglichen Verhaltensweisen ausgesetzt. Ohne Übertragung der alleinigen Obsorge auf den Vater und bei einer hauptsächlichen Betreuung durch die Mutter wäre das Wohl der Kinder gefährdet. Die Alleinobsorge des Vaters und die Betreuung der Kinder in seinem Haushalt dienen derzeit dem Kindeswohl am besten.
[8] 2.2. Ausgehend davon liegt in der Übertragung der Obsorge auf den Vater allein und die Einräumung eines bloß begleiteten Kontaktrechts der Mutter durch die Vorinstanzen keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[9] Es trifft zwar zu, dass die Mutter bereits bei Beschlussfassung durch das Erstgericht nicht mehr an der Betreuung der Kinder beteiligt war. Diese – auf die nach wie vor aufrechte Wegweisung der Mutter aus der bisherigen Ehewohnung mittels einstweiliger Verfügung zurückzuführende – Tatsache führt allerdings entgegen der Ansicht der Mutter nicht dazu, dass es bei der gemeinsamen Obsorge der Eltern zu bleiben hätte. Vielmehr stellt jenes Verhalten, das zur Wegweisung der Mutter aus dem vormals gemeinsamen Haushalt führte, mit einen Grund für die Entziehung der Obsorge dar.
[10] 3. Soweit die Mutter das im Verfahren eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten kritisiert und die fachliche Qualifikation der Sachverständigen anzweifelt, wendet sie sich gegen die von den Vorinstanzen ermittelte Tatsachengrundlage (vgl RS0113643; RS0040586 [T4]). Die Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen ist in dritter Instanz jedoch nicht möglich, weil der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist (RS0108449 [T2]).
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