Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. September 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Dr. Wurdinger sowie den Rechtsanwalt Mag. Stangl und die Rechtsanwältin Dr. Ley Grassner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathmayr als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung der Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 15. Mai 2024, AZ D 96/22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, des Kammeranwalts Dr. Orgler, der Beschuldigten und ihres Verteidigers, Dr. Reif, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass sie in der im Verfahren AZ 70 R 24/22x vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen * erstatteten Berufungsbeantwortung wissentlich unrichtig vorgebracht habe, dass die Richterin im Verfahren AZ 206 C 979/21y des Bezirksgerichts * anlässlich der Verhandlung vom 5. April 2022 die Sache um 09:00 Uhr ordnungsgemäß aufgerufen habe.
[2] Die Beschuldigte wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße in der Höhe von 2.000 Euro verurteilt, wobei gemäß § 16 Abs 3 DSt ein Teil der Geldbuße im Ausmaß von 1.000 Euro bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen wurde.
[3] Nach den wesentlichen Feststellungen konnte die rechtzeitig erschienene Klagevertreterin (die Gegenvertreterin der Beschuldigten) wegen eines verfrühten Aufrufs einer Verhandlung im Verfahren AZ 206 C 979/21y des Bezirksgerichts * die Fällung eines von der Beschuldigten beantragten negativen Versäumungsurteil nicht verhindern.
[4] Aufgrund entsprechenden Vorbringens der erst nach Verkündung des Versäumungsurteils in den Verhandlungssaal tretenden Klagevertreterin sowie in Anwesenheit auch der Beschuldigten (der Beklagtenvertreterin) protokollierte die Richterin, zu einem (nicht näher feststellbaren) Zeitpunkt vor 09:00 Uhr vor den Verhandlungssaal getreten zu sein und die Verhandlung aufgerufen zu haben und in weiterer Folge den Verhandlungsbeginn zunächst mit 09:00 Uhr im Protokoll vermerkt zu haben.
[5] Das gegen das Versäumungsurteil gerichtete Rechtsmittel der klagenden Partei war erfolgreich.
[6] Gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats richtet sich die auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO relevierende (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) Berufung wegen Schuld und Strafe der Beschuldigten.
[7] Die Berufung wegen Nichtigkeit ist nicht berechtigt.
[8] Entgegen der R üge der Unvollständigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) hat sich der Disziplinarrat mit dem Protokoll der Verhandlung vor dem Bezirksgericht * (ES 10) auseinandergesetzt. Soweit die Rüge kritisiert , der Disziplinarrat habe die im Protokoll festgehaltene Beginnzeit von 09:00 Uhr unerörtert übergangen, wird ein isolierter Aspekt des Protokolls und damit weder eine Unvollständigkeit noch eine offenbare Unzulänglichkeit der Entscheidungsgründe geltend gemacht. Vielmehr wird in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatrichter bekämpft (RIS Justiz RS0099599).
[9] Die als unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) gerügte, vom Disziplinarrat vorgenommene Ableitung der inneren Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen ist unter dem Aspekt der Nichtigkeit nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0116882, RS0098671).
[10] Entgegen der weiteren Kritik (Z 5 dritter Fall) schließt das konstatierte Unterbleiben eines „Uhrenabgleichs“ im Zeitpunkt des Aufrufs der Sache vor dem Bezirksgericht * am 5. April 2022 weder einen tatsächlich verfrüht erfolgten Aufruf der Sache noch ein wissentlich unrichtiges Vorbringen in der von der Beschuldigten erstatteten Berufungsbeantwortung betreffend den Zeitpunkt des Aufrufs aus.
[11] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld kommt gleichfalls keine Berechtigung zu.
[12] Die Konstatierungen hinsichtlich des Zeitpunkts des Aufrufs der Sache wurden vom Disziplinarrat unbedenklich und nachvollziehbar aus dem Verhandlungsprotokoll des Bezirksgerichts samt Deckblatt und Vermerken abgeleitet, wobei er darlegte, dass kein Grund gegeben sei, warum die zuständige Richterin eine unrichtige Protokollierung vornehmen sollte, hingegen die Beschuldigte dieser vermeintlich unrichtigen Protokollierung nicht widersprochen und darüber hinaus auch zugestanden habe, die Uhrzeit des Aufrufs damals nicht verifiziert zu haben.
[13] Indem sich die Beschuldigte darauf beruft, dass das Protokoll in seinem Kopfteil als Beginnzeit 09:00 Uhr ausweise und nach § 63 Abs 3 GeO der Zeitpunkt des Aufrufs den Beginn der Verhandlung darstelle, sowie der tatsächliche Zeitpunkt des Aufrufs aufgrund des unterbliebenen „Uhrenabgleichs“ nicht mehr feststellbar sei und damit auch wissentlich unrichtiges Vorbringen im Bezug auf diesen Zeitpunkt ausscheide, gelingt es ihr nicht, Bedenken an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken und solcher Art die getroffenen Feststellungen substanziiert in Frage zu stellen.
[14] Der Disziplinarrat hat insgesamt sämtliche für und wider die Beschuldigte sprechenden Verfahrensergebnisse einer nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und der Lebenserfahrung entsprechenden Würdigung unterzogen (vgl dazu auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 49 DSt Rz 2) und mit schlüssiger Begründung dargelegt, wie er zu den entscheidungswesentlichen Sachverhalts annahme n gelangte.
[15] Mit der Rechtsrüge ( Z 9 lit a) werden gleichfalls bloß diese, der Beschuldigten im Ergebnis nicht genehmen Konstatierungen (ES 9) bekämpft; sie verfehlt damit jedoch den in den Erkenntnisannahmen gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810). Ebenso geht die Argumentation der Beschuldigten, sie habe in der Berufungsbeantwortung bloß einen ihrer Meinung nach „nicht unvertretbaren Standpunkt“ vorgebracht, der durch Beweisergebnisse gedeckt gewesen sei“, an der Gesamtheit der Erkenntnisannahmen vorbei.
[16] Die von der Rüge vermissten Feststellungen zur Protokollierung betreffend den Beginn der Verhandlung finden sich in den Sachverhaltsfeststellungen auf ES 7.
Zur Berufung wegen Strafe:
[17] Der Disziplinarrat verurteilte die Beschuldigte zur Disziplinarstrafe der Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro, wobei ein Teil im Ausmaß von 1.000 Euro gemäß § 16 Abs 3 DSt bedingt nachgesehen wurde.
[18] Als Milderungsgrund wurde vom Disziplinarrat der bisher ordentliche Lebenswandel der Beschuldigten angenommen, Erschwerungsgründe wurden keine in Anschlag gebracht. Diese Strafzumessungsgründe sind insofern zu ergänzen, als die zweifache Qualifikation der Tat als erschwerend zu werten ist.
[19] Von einer „äußerst geringen“ Schuld, wie von der Strafberufung mit Blick auf § 3 DSt behauptet, kann bei einem wissentlich falschen Vorbringen in einem Schriftsatz – selbst bei einer erst kurz zuvor eingetragenen Rechtsanwältin – keine Rede sein.
[20] Insgesamt erweist sich bei Abwägung der – zu Lasten der Beschuldigten ergänzten – Strafzumessungsgründe die vom Disziplinarrat im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens gefundene, zum Teil bedingt nachgesehene Sanktion dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat angemessen und selbst bei Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) einer Reduktion nicht zugänglich.
[21] Der Ausspruch über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden