Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (richtig gemäß § 6 Abs 2 COFAG NoAG: Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 27.602,44 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. April 2025, GZ 33 R 52/25x 23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. Jänner 2025, GZ 12 Cg 103/23a 18, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.805,75 EUR bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger betreibt eine Gastwirtschaft. Er beantragte am 15. 1. 2021 auf der Grundlage der Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen, gemäß § 3b Abs 3 des ABBAG G betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown Umsatzersatzes für vom Lockdown direkt betroffene Unternehmen (3. VO Lockdown Umsatzersatz), BGBl II Nr 567/2020, Umsatzersatz für den Monat Dezember 2020. Zuvor – im Juni 2020 – war über ihn wegen einer vorsätzlich begangenen Tat eine rechtskräftige Finanzstrafe von mehr als 10.000 EUR verhängt worden.
[2] Punkt 3.1.7 des Anhangs 1 zur 3. VO Lockdown Umsatzersatz (kurz Umsatzersatz RL) lautete:
„3.1 Ein Lockdown Umsatzersatz darf nur zu Gunsten von Unternehmen gewährt werden, bei denen [...] sämtliche nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind: […]
3.1.7 über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Lockdown-Umsatzersatz darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag von EUR 10.000 nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt.“
[3] Der Verfassungsgerichtshof hob diese Bestimmung mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023, V 145/2022 ua, auf und sprach gemäß Art 139 Abs 5 B VG aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 15. 4. 2024 in Kraft tritt. Der vorliegende Fall war (unstrittig) kein Anlassfall.
[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 27.602,44 EUR sA. Der – vom VfGH als unsachlich aufgehobene – Ausschlussgrund des Punkts 3.1.7 Umsatzersatz RL sei nicht (mehr) anwendbar, sodass die Förderung zu gewähren sei. Durch die Erlassung dieser gesetzwidrigen Bestimmung habe der Verordnungsgeber dem Kläger rechtswidrig und schuldhaft einen Schaden in Höhe der entgangenen Förderung zugefügt. Das Klagebegehren werde daher auch auf Amtshaftung gestützt.
[5] Die Beklagte bestritt.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts.
[7] Der Oberste Gerichtshof habe bereits in der Entscheidung 1 Ob 141/24b ausgesprochen, dass Punkt 3.1.7 Umsatzersatz RL (außer der Kläger wäre von der Anlassfallwirkung des aufhebenden Erkenntnisses des VfGH erfasst) auch über den 15. 4. 2024 hinaus weiter anzuwenden sei, wenn und weil sich der maßgebliche Sachverhalt durch Antragstellung bereits vor dem Außerkrafttreten der Bestimmung konkretisiert habe. Davon sei auch im vorliegenden Fall auszugehen.
[8] Amtshaftungsansprüche bestünden nicht zu Recht, weil sich „die Verordnung von“ Punkt 3.1.7 Umsatzersatz RL trotz der späteren Aufhebung dieser Bestimmung durch den VfGH als Ergebnis vertretbarer Gesetzesanwendung erweise.
[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil – soweit überblickbar – noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Rechtsfrage existiere, ob aus dem – vom VfGH aufgehobenen – Punkt 3.1.7 Umsatzersatz RL mit Erfolg Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden könnten.
[10]Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch (§ 508a Abs 1 ZPO) – ist die (von der Beklagten beantwortete) Revision des Klägersmangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig .
1. Zum Anspruch auf Lockdown Umsatzersatz
[11] 1.1. Der Senat hat in der zwischen denselben Parteien aufgrund einer vergleichbaren Konstellation zum Ausfallsbonus ergangenen Entscheidung 1 Ob 73/25d , der insbesondere auch der Einwand des Klägers zugrunde lag, dass die COFAG (respektive die Beklagte) noch nicht über seinen Antrag entschieden hatte, ausgeführt:
„Aufhebende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs wirken, außer im – hier nicht vorliegenden – Anlassfall, vom Tag des Wirksamkeitsbeginns der Aufhebung an für die Zukunft. Auf die vor Aufhebung verwirklichten Tatbestände – mit Ausnahme des Anlassfalls – ist kraft ausdrücklicher Anordnung in Art 140 Abs 7 B-VG (Art 139 Abs 6 B VG) das Gesetz (die Verordnung) weiterhin anzuwenden, sofern der Gerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nichts anderes ausspricht (was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist). Die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Norm ist von Gerichten und Verwaltungsbehörden – mit Ausnahme des Anlassfalls – auf alle jene Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der Aufhebung liegen (VfGH B 792/88 ua, VfSlg 11874 [Pkt II.a)] mwN).
2. Gemäß Pkt 3.1.7 des Anhangs zur VO Ausfallsbonus ist die Gewährung eines Ausfallsbonus unter anderem (nur dies ist hier relevant) ausgeschlossen, wenn über den Antragsteller in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung eine rechtskräftige Finanzstrafe von mehr als 10.000 EUR aufgrund von Vorsatz verhängt wurde. Diesen Ausschlussgrund wurde hier zweifellos vor dem Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsbestimmung mit 15. 4. 2024 verwirklicht. Dass für die Verwirklichung dieses Ausschlussgrundes – wie der Kläger behauptet – auf den Zeitpunkt der Entscheidung der COFAG (oder der Beklagten als deren Gesamtrechtsnachfolgerin) über seinen Förderantrag abzustellen wäre, ergeben sich keine Anhaltspunkte, weshalb auch sein Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu B 1256/01 (VfSlg 16.750) fehl geht.
3. Die angefochtene Entscheidung entspricht auch der Entscheidung des Senats zu 1 Ob 141/24b. Dort war ein Begehren auf Lockdown-Umsatzersatz nach der Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines LockdownUmsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 2020/503, zu beurteilen. Diese Verordnung schloss – ebenso wie die VO Ausfallsbonus – eine Förderung aus, wenn über den Antragsteller innerhalb von fünf Jahren vor Antragstellung eine rechtskräftige Finanzstrafe von mehr als 10.000 EUR aufgrund von Vorsatz verhängt wurde. Der Verfassungsgerichtshof hob auch diese Bestimmung mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023 (zu V 145/2022) mit Ablauf des 15. 4. 2024 auf. Mangels Anlassfalls wandte sie der Senat aber weiterhin auf den zu 1 Ob 141/24b zu beurteilenden Sachverhalt an, weil (auch) der dortige Kläger die Förderung vor diesem Zeitpunkt beantragt hatte und über ihn innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Antragstellung eine solche Finanzstrafe verhängt worden war.“
[12] 1.2. Die angefochtene Entscheidung steht mit dieser Rechtsprechung in Einklang. Auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung kommt es entgegen der Meinung des Klägers für die Frage nach der anzuwendenden Rechtslage nicht an. Ob über den Antrag des Klägers bereits (ablehnend) entschieden wurde, ist ebenfalls nicht maßgeblich.
2. Zum geltend gemachten Amtshaftungsanspruch
[13] 2.1. Ein rechtswidriges Organverhalten – wie es sich hier aus der Gesetzwidrigkeit des vom VfGH mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023, V 145/2022 ua, aufgehobenen Punkts 3.1.7 UmsatzersatzRL ergibt – muss noch nicht schuldhaft im Sinn des § 1 AHG sein. Verschulden liegt insbesondere dann nicht vor, wenn das für den Rechtsträger zum Handeln verpflichtete Organ rasche Entschlüsse in einer nur schwer durchschaubaren Situation fassen muss oder hätte fassen müssen ( RS0049971 ). Es kommt stets darauf an, ob die vom Organ getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar anzusehen ist ( RS0049798 [T9]).
[14] 2.2. Die Frage, ob die Organe beim Erlass rechtswidriger Verordnungen in vertretbarer Rechtsanwendung gehandelt haben, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre ( RS0110837 [T2]; 1 Ob 75/22v [Rz 9]; 1 Ob 61/13x [Pkt 3.]; 1 Ob 255/09w [Pkt 1.]).
[15] Eine solche vermag der Kläger hier trotz des erhöhten Sorgfaltsmaßstabs, der an den Verordnungsgeber anzulegen ist ( RS0049935 ; RS0049821 ), nicht aufzuzeigen:
[16] Nach Ansicht des Berufungsgerichts konnte der Verordnungsgeber anknüpfend an das zum Zeitpunkt der Erlassung der 3. VO Lockdown-Umsatzersatz [richtig:] am 17. 12. 2020 bereits im Gesetzwerdungsprozess befindliche (wenn auch erst am 1. 1. 2021 in Kraft getretene) Bundesgesetz, mit dem Förderungen des Bundes aufgrund der COVID-19-Pandemie an das steuerliche Wohlverhalten geknüpft werden (BGBl I Nr 11/2021), insbesondere daran, dass über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden war (§ 3 Z 4 leg cit), zumindest vertretbar davon ausgehen, dass er nach § 3b Abs 3 ABBAG G zu einer entsprechenden Regelung in Punkt 3.1.7 Umsatzersatz-RL berechtigt war.
[17] Dem hält der Kläger entgegen, dass der Verordnungsgeber § 3b Abs 3 ABBAG G einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und die Bestimmung daher in „denkunmöglicher“ Weise angewandt habe.
[18] Bereits das Berufungsgericht hob hervor, dass die Verordungsermächtigung in § 3b Abs 3 ABBAG G, wonach der Bundesminister für Finanzen per Verordnung Richtlinien zu erlassen hatte, die (ua) Regelungen über die Festlegung des Kreises der begünstigten Unternehmen enthalten sollten (Z 1), weit formuliert war und breites Ermessen gewährte. Der VfGH ging davon aus, „dass bei finanziellen Maßnahmen zur Abfederung negativer wirtschaftlicher Auswirkungen der COVID 19 Pandemie oftmals rasches Handeln und flexible Anpassungen erforderlich sein“ würden, womit im Zusammenhalt mit dem bei staatlichen Beihilfen generell eröffneten weiten Gestaltungsspielraum unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei, wenn der Gesetzgeber der Vollziehung nach dem ABBAG G entsprechende Spielräume bei der Gewährung der unterschiedlichen finanziellen Maßnahmen nach § 2 Abs 2 Z 7 ABBAG-G einräume ( G 233/2021 ua, V 191/2021 ua Pkt 2.1.5.2). Eine klare Gesetzeslage bestand damit nicht (vgl 1 Ob 43/91).
[19] Der VfGH zog nun in seinem Erkenntnis vom 5. 10. 2023 gar nicht in Zweifel, dass Punkt 3.1.7 Umsatzersatz-RL von der Verordnungsermächtigung gedeckt war. Er hielt auch ausdrücklich fest, dass es dem Grunde nach nicht unsachlich sei, finanzielle Maßnahmen an das steuerliche Wohlverhalten zu knüpfen, sondern hob die Regelung deshalb auf, weil der Verordnungsgeber den Ausschluss nur an den Zeitpunkt der Verurteilung und nicht an den Tatzeitpunkt anknüpfte und damit auch lange zurückliegendes Fehlverhalten berücksichtigte (V 145/2022 [Rz 124]).
[20] Nach Auffassung des Berufungsgerichts musste der Verordnungsgeber bei Erlass der Umsatzersatz-RL diese später festgestellte Verfassungswidrigkeit nicht vorhersehen. Dem hält der Kläger nichts Stichhaltiges entgegen:
[21] Ob die 3. VO Lockdown-Umsatzersatz unter Zeitdruck verfasst werden musste oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass nicht konkret ersichtlich ist, warum die Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit der Regelung entgegen der Meinung des Berufungsgerichts offenkundig gewesen sein sollte.
[22] Das Berufungsgericht führte nach näherer Analyse des vom Kläger zur Stützung seines Standpunkts zitierten – vor allem in verfassungsrechtlicher Hinsicht teilweise sehr kritischen – Schrifttums zu den steuerlichen Wohlverhaltensanforderungen aus, dass darin gerade der vom VfGH letztlich als gesetzwidrig beurteilte Aspekt der Regelung nie als bedenklich moniert wurde. Damit setzt sich der Kläger in seiner Revision nicht weiter auseinander. Dass die Unsachlichkeit der Regelung bei näherer Prüfung erkannt hätte werden können, heißt noch nicht, dass der Verordnungsgeber sie tatsächlich auch hätte erkennen müssen.
[23] 2.3. Der erstmals in der Revision erhobene Vorwurf, der Verordnungsgeber habe eine Korrektur von Punkt 3.1.7 Umsatzersatz-RL nach dessen Aufhebung unterlassen, verstößt gegen das Neuerungsverbot.
[24]3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.
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