Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juli 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eißler im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des * H* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Genannten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 27. Jänner 2025, GZ 39 Hv 64/24v-59.4, sowie dessen Beschwerde gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung und Verlängerung der Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.
* H* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde m it dem angefochtenen Urteil * H* jeweils eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./), des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II./A./) sowie der schweren Körperverletzung nach (zu ergänzen:) § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB (II./B./) schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem ordnete das Erstgericht aus Anlass der zu II./ dargestellten Tat (US 13 f) die Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB an.
[2] Danach hat er in L* (unter anderem)
II./ am 6. September 2024
A./ den Polizeibeamten * P* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Durchsetzung eines Annäherungs- und Betretungsverbots, zu hindern versucht, indem er mit seinen Armen wild in dessen Richtung schlug, ihm seine So nne nbrille aus dem Gesicht schlug und ihn mit einem Tritt in Richtung des Schrittbereichs attackierte, wodurch er mit seinem rechten Knie gegen den linken Unterarm des Genannten stieß (US 4 f), wobei er nach kurzer Flucht von P* eingeholt und mittels verbaler Ansprache angehalten werden konnte;
B./ im Zuge der zu (gemeint:) II./A./ geschilderten Tat einen Beamten während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich am Körper verletzt (§ 83 Abs 1 StGB), wodurch dieser eine Prellung des linken Unterarms erlitt.
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, die ihr Ziel verfehlt.
[4] Bezugspunkt der Mängel- und der Tatsachenrüge sind nur Feststellungen zu entscheidenden, also für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage maßgeblichen Tatsachen (RIS Justiz RS0117499). Solche spricht die einen „erheblichen Widerspruch“ in Betreff der Versetzung eines Tritts gegen den Schritt des * P* behauptende Beschwerde – mit Blick auf die unbekämpft gebliebenen Feststellungen zu Schlägen mit den Armen gegen das Opfer (US 4) – nicht an. Im Übrigen stellen allfällige Diskrepanzen zwischen (hier in Rede stehenden) Zeugenangaben und beweiswürdigenden Erwägungen keinen Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall dar (vgl RIS-Justiz RS0099548 [T1 und T2], RS0119089 [T1, T4 und T7]).
[5] Entgegen der Unvollständigkeit reklamierenden Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) musste sich das Schöffengericht, welches die leugnende Verantwortung des Angeklagten zu II./ als Schutzbehauptung wertete (US 8), mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht gesondert mit dessen Aussage auseinandersetzen, wonach er „prinzipiell Angst“ vor der Polizei hatte (vgl dazu im Übrigen US 5), sich „nur verbal entfernen“ wollte, er und P* sich nicht berührt hätten, er auf die Dienstwaffe des Genannten „schon gar nicht hingegriffen“ habe und nur etwas „Gewand und Toilettesachen“ habe holen wollen (ON 59.3, 20 f).
[6] Soweit die Rüge in diesem Zusammenhang unter Verweis auf nicht konkretisierte Aussagen behauptet , die Flucht des Angeklagten habe „bereits vor der angeblichen Attacke“ desselben auf den Polizisten durch sein Hinauflaufen in den ersten Stock des Mehrparteienhauses begonnen, wird ein nichtigkeitsrelevanter Umstand nicht deutlich und bestimmt zur Darstellung gebracht.
[7] Aktenwidrigkeit begründet nur die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln, deren Wertung erfolgt hingegen im Rahmen des § 258 Abs 2 StPO (RIS Justiz RS0099431). Dass die tatrichterliche Annahme einer versuchten Flucht des Angeklagten „nach der Attacke auf (...) P*“ (US 8) aus Sicht des Rechtsmittelwerbers das Geschehen unrichtig schildert, zeigt somit Nichtigkeit aus Z 5 fünfter Fall nicht auf.
[8] Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) „zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen“ auf die Ausführungen zur Mängelrüge verweist, vernachlässigt sie den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe und das daraus resultierende Erfordernis getrennter Ausführung (RIS-Justiz RS0115902).
[9] Mit der selektiven Wiedergabe einzelner Passagen der Aussagen der Zeugen P* und S* sowie des Angeklagten weckt die Beschwerde keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0118780).
[10] Indem sie die Entscheidungsgründe als „nicht nachvollziehbar“ erachtet und – auch unter Verweis auf den Zweifelsgrundsatz (vgl aber RIS-Justiz RS0102162) – eigenständige Beweiserwägungen anstellt, gelangt die Tatsachenrüge nicht prozessordnungskonform zur Darstellung (RIS-Justiz RS0119424).
[11] Den gegen die Unterbringungsanordnung gerichteten Beschwerdeausführungen ist voranzustellen, dass das Erstgericht die Unterbringung des Betroffenen in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB nur aus Anlass der zu II./ dargestellten Tat angeordnet hat (US 13 f). Es ging davon aus, dass „nach der Person des mehrfach einschl ägig vorbestraften Angeklagten, seinem Zustand – insbesondere seiner Erkrankungen – und der Art der Taten (zu II./A./ und II./B./)“ zu befürchten sei , dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft, nämlich innerhalb von Monaten, unter dem maßgeblichen Einfluss seiner (im Urteil detailliert dargestellten [US 6]) schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, „aufgrund impulsiven, aggressiven, unkontrollierbaren Verhaltens, leichter Reizbarkeit und mangelnder Selbstbeherrschung, mit Strafe bedrohte Taten mit schweren Folgen, insbesondere schwere Körperverletzungen, auch nach § 84 Abs 4 StGB“ begehen wird (US 6, vgl auch US 13 f).
[12] Indem die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) vermeint, die Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB seien keine für die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB „gesetzlich in Frage kommenden Prognosetaten“, weil „erstere nicht mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren bedroht (…) und letztere keine strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ sei, vernachlässigt sie die (zuvor wiedergegebenen) Urteilsannahmen, denen zufolge sich die prognostizierten strafbedrohten Taten mit schweren Folgen insbesondere auf schwere Körperverletzungen nach § 84 Abs 4 StGB – und demnach nicht bloß auf Körperverletzungen nach § 83 Abs 1 StGB oder auf nach § 83 Abs 1 iVm § 84 Abs 2 StGB qualifizierte Körperverletzungen (vgl dazu 14 Os 138/21g; Haslwanter in WK 2 StGB § 21 Rz 32) – beziehen. Dass solcherart – allenfalls bloß fahrlässig (§ 84 Abs 4 StGB; Haslwanter in WK 2 StGB § 21 Rz 20) – begangene schwere Körperverletzungen keine mit Strafe bedrohten Handlungen mit schweren Folgen und somit keine tauglichen Prognosetaten iSd § 21 Abs 1 und 3 StGB seien (vgl idS jedoch zuletzt 13 Os 89/23x, 15 Os 33/23a, 15 Os 29/23p), leitet die Beschwerde nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565, RS0134875).
[13] Soweit die Rüge eine nachvollziehbare Begründung für die Annahmen zu den Prognosetaten vermisst, spricht sie lediglich die Ermessensentscheidung der Gefährlichkeitsprognose an und erstattet solcherart ein Berufungsvorbringen (RIS-Justiz RS0118581 [T11, T14], RS0113980 [insb T11, T12]). Denn Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall läge nur vor, wenn die Prognoseentscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0113980 [T7] und RS0118581), wofür das Rechtsmittelvorbringen keine Anhaltspunkte bietet.
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizite erhobene) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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