Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Dr. Renate Erlacher Philadelphy, Mag. Katharina Erlacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Mag. Martin Pancheri, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen zuletzt 19.035,36 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. Juli 2024, GZ 1 R 67/24y 95, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. Februar 2024, GZ 40 Cg 99/21a 85, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.000,75 EUR (darin enthalten 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist eine aufgrund bedingter Erbantrittserklärung zu 2/9 eingeantwortete Erbin des 2020 verstorbenen Erblassers.
[2] Sie erhielt aus dem inventarisierten Nachlass ihrer Erbquote entsprechend 27.551,82 EUR.
[3] Die klagende Ehefrau des Erblassers erbrachte für diesen umfangreiche Pflegeleistungen, sodass ihr – unstrittig – ein Pflegevermächtnis in Höhe von 68.040 EUR gebührt.
[4] Die Klägerin begehrt gestützt auf §§ 677 ff ABGB unter Berücksichtigung von Teilzahlungen der Beklagten ein restliches Pflegevermächtnis von 19.035,36 EUR. Die Beklagte hafte für das Pflegevermächtnis bis zur Höhe ihres Erbteils.
[5] Die Beklagte wendet – soweit Gegenstand des Revisionsverfahrens – ein, für das Pflegevermächtnis nicht solidarisch mit den anderen Erbinnen bis zur Höhe ihres Erbteils, sondern nur entsprechend ihrer Erbquote zu haften.
[6] Das Erstgericht schloss sich der Rechtsansicht der Beklagten an, gab der Klage davon ausgehend im Umfang von 9.120 EUR statt und wies das Mehrbegehren ab.
[7] Das nur von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch wenn § 649 Abs 2 erster Satz ABGB anordne, dass die Erben einem Vermächtnisnehmer im Zweifel zur ungeteilten Hand haften, sehe § 821 ABGB bei Inventarerrichtung in Bezug auf teilbare Forderungen lediglich eine anteilige, der Erbquote entsprechende Haftung vor. Dies gelte auch für das Pflegevermächtnis, das nach Einantwortung eine schuldrechtliche Forderung gegen die Erben begründe und daher eine zu erfüllende Schuld iSd § 821 ABGB darstelle. Die Revision ließ das Berufungsgericht zum Verhältnis der §§ 649 Abs 2 erster Satz, 821 erster Satz ABGB zu.
[8] Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , aber nicht berechtigt .
[9] Die Klägerin argumentiert, § 649 Abs 2 erster Satz ABGB sehe mangels anderer Anordnung durch den Erblasser eine solidarische Haftung der Erben auch im Außenverhältnis vor. Dies gelte auch für das Pflegevermächtnis. Dieses sei nicht als eine schon zu Lebzeiten des Erblassers auf dessen Vermögen haftende, als Nachlasspassivum zu qualifizierende Schuld nach § 779 Abs 1 ABGB, sondern als Vermächtnis nach § 779 Abs 2 ABGB einzuordnen und könne daher keine Schuld iSd § 821 ABGB darstellen. Da es sogar Pflichtteilsansprüchen vorgehe, müsse auch der Erbe bis zur Höhe des aus der Verlassenschaft Erhaltenen jedenfalls solidarisch haften.
[10] 1. Die vom Berufungsgericht bejahte Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts wird im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen, sodass mangels insoweit ausgeführter Rechtsrüge keine Prüfung stattzufinden hat ( RS0043352 [T32]).
[11] 2. Aufgrund des Ablebens des Erblassers nach dem 31. 12. 2016 ist die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 maßgeblich (§ 1503 Abs 7 Z 1 und Z 2 ABGB).
[12] 3. § 649 Abs 1 ABGB stellt klar, dass dem Vermächntnisnehmer (nur) ein schuldrechtlicher Anspruch zusteht, der bis zur Einantwortung gegen den Nachlass und danach gegen die Erben – im streitigen Rechtsweg (vgl 2 Ob 104/22s Rz 29 mwN) – geltend zu machen ist ( Welser , Erbrechts Kommentar § 649 ABGB Rz 1).
[13] Während § 649 Abs 2 erster Satz ABGB vorsieht, dass die Erben „im Zweifel“ solidarisch haften, normiert § 821 erster Satz ABGB bei Errichtung eines Inventars eine bloß anteilige Haftung für teilbare Forderungen entsprechend der jeweiligen Erbquote ( Sailer/Terlitza in KBB 7 § 821 ABGB Rz 1; Welser , Erbrechts-Kommentar § 821 ABGB Rz 6; so schon zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015: RS0015489 [T1]).
[14] 4. Das Pflegevermächtnis ist ein Geldvermächtnis ( RS0134221 = 2 Ob 223/22s). Geldforderungen sind ihrer Natur nach teilbar ( RS0013214 ; RS0017118 ; RS0017289 ).
[15] 5. Die Haftungsregel des § 821 erster Satz ABGB betrifft das Außenverhältnis und ist zwingender Natur ( Schweda in Klang³ §§ 820, 821 ABGB Rz 5; Welser , Erbrechts Kommentar § 821 ABGB Rz 4; Spruzina/Jungwirth in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.03 § 821 Rz 7). Auch § 649 Abs 2 erster Satz ABGB betrifft die Erbenhaftung im Außenverhältnis (vgl 2 Ob 78/21s
[16] 6. Allerdings handelt es sich bei der Anordnung des § 649 Abs 2 erster Satz ABGB um eine Auslegungsregel zur Ermittlung der Person des Beschwerten, falls der Wille des letztwillig Verfügenden diesbezüglich nicht eindeutig ermittelbar ist ( Spruzina/Hofer in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.03 § 649 Rz 1/1; Kolmasch in Schwimann/Neumayr 6 § 649 ABGB Rz 3).
[17] 7. Das Pflegevermächtnis stellt aber ein unabhängig von einer letztwilligen Anordnung des gepflegten Erblassers entstehendes (gesetzliches) Vermächtnis ( 2 Ob 63/21k Rz 24) mit pflichtteilsähnlichem Charakter ( 2 Ob 223/22s Rz 15) dar, sodass auf dieses schon mangels einer auszulegenden letztwilligen Anordnung die auf solche zugeschnittene Auslegungsregel des § 649 Abs 2 erster Satz ABGB von vornherein nicht anwendbar ist (vgl auch Christandl in Klang³ § 647 ABGB Rz 13, nach dem das Vermächtnisrecht grundsätzlich von einer letztwilligen Anordnung ausgeht, weshalb die Auslegungsvorschriften und Zweifelsregeln, die sich auf den letzten Willen des Erblassers beziehen, nicht auf gesetzliche Vermächtnisse angewandt werden können).
[18] 8. Das Pflegevermächtnis stellt auch eine „Schuld“ iSd § 821 erster Satz ABGB dar.
[19] Die Haftungsregeln der §§ 820, 821 ABGB beziehen sich auf sämtliche Schulden; also auf Erblasser-, Erbfalls- und Erbgangsschulden ( Schweda in Klang³ §§ 820, 821 ABGB Rz 4). Der im systematischen Zusammenhang mit § 821 ABGB zu sehende § 820 ABGB nennt Vermächtnisnehmer explizit. § 821 erster Satz ABGB gilt auch für gegen mehrere Erben gerichtete Pflichtteilsansprüche ( Musger in KBB 7 § 764 ABGB Rz 1 mwN).
[20] Das Pflegevermächtnis ist zwischen dem Vermächtnis – als das es der Gesetzgeber ausdrücklich eingeordnet hat – und dem Pflichtteilsrecht – weil es nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden kann – angesiedelt (2 Ob 63/21k Rz 25 f). Es besteht kein Grund, das Pflegevermächtnis nicht als „Schuld“ iSd § 821 erster Satz ABGB zu qualifizieren.
[21] Der bloße Umstand, dass es nach der – von der Revision nicht in Zweifel gezogenen – Rechtsprechung gemäß § 779 Abs 2 ABGB für die Pflichtteilsberechnung nicht als Nachlasspassivum zu behandeln und daher bei der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigen ist ( RS0133432 ), sagt nichts darüber aus, ob eine „Schuld“ iSd § 821 erster Satz ABGB vorliegt.
[22] Die Vorinstanzen sind daher zutreffend von einer bloß anteiligen, ihrer Erbquote entsprechenden Haftung der Beklagten für die teilbare Forderung aus dem Pflegevermächtnis ausgegangen. Ob die (anteilige) Haftung der beklagte Erbin mit der Höhe der tatsächlich zugekommenen Nachlassaktiven oder mit jenem ihrer Erbquote entsprechenden Teil der Verlassenschaftsaktiven beschränkt ist (vgl zum Meinungsstand: Schweda in Klang³ §§ 820, 821 ABGB Rz 8; Sailer/Terlitza in KBB 7 § 821 ABGB Rz 3) kann dahinstehen, weil die Beklagte den ihrer Erbquote entsprechenden Teil der Verlassenschaftsaktiven auch tatsächlich erhalten hat und der auf die Beklagte entfallende Forderungsteil aus dem Pflegevermächtnis ohnehin geringer ist.
[23] 9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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