Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N*, und 2. E*, beide vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Stufenklage nach Art XLII EGZPO (Streitwert insgesamt 187.500 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2023, GZ 13 R 35/23x 103, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Dezember 2022, GZ 60 Cg 57/20y 95, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 3.805,91 EUR (darin 634,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind die Kinder der 2019 verstorbenen Erblasserin. Eine weitere Tochter ist am Verfahren nicht beteiligt. Die Erblasserin setzte den Beklagten 2015 zum Alleinerben ein. Im Testament begründete sie die Enterbung der Klägerinnen damit, dass diese ihr in besonders verwerflicher Weise schweres seelisches Leid im Zusammenhang mit der Übertragung ihres künstlerischen Lebenswerks an die Klägerinnen zugefügt hätten. Sie sei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen veranlasst worden, ihnen die Rechte an Fotografien zu übertragen und von ihnen jahrelang unter psychischen Druck gesetzt worden. Die Klägerinnen hätten sie zutiefst gekränkt, weshalb es auch zum Abbruch jeglichen Kontakts gekommen sei.
[2] Mit ihrer Stufenklage begehren die Klägerinnen die Zahlung ihres Pflichtteils; jeweils hilfsweise stellen sie zwei Feststellungsbegehren und ein auf jeweils 170.170,46 EUR lautendes Zahlungsbegehren. Der von der Erblasserin herangezogene Enterbungsgrund des § 770 Z 4 ABGB liege nicht vor.
[3] Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass die Enterbung der Klägerinnen nach § 770 Z 4 ABGB zu Recht erfolgt sei und wiesen die Klage vollinhaltlich ab.
[4] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand jeweils 30.000 EUR übersteigt. Es ließ die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zu § 770 Z 4 ABGB idF ErbRÄG 2015 zu.
[5] Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerinnen ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.
[6] 1. Ein Pflichtteilsberechtigter kann ua dann enterbt werden, wenn er dem Verstorbenen in verwerflicher Weise schweres seelisches Leid zugefügt hat (§ 770 Z 4 ABGB). Nach den Gesetzesmaterialien kann das Leid darin liegen, dass der Erbe den Erblasser in einer Notsituation im Stich gelassen, verächtlich gemacht oder sonst durch ein verpöntes Verhalten in eine sehr missliche Lage gebracht hat. In Betracht kommen wiederholte Beschimpfungen, Psychoterror, aber auch die lang dauernde, gezielte Ausübung subtilen psychischen Drucks. Bei einem gelegentlichen Streit oder einer gelegentlichen verbalen Kränkung wird es hingegen im Allgemeinen an der geforderten Schwere des seelischen Leides fehlen (Erläut RV 668 BlgNR 25. GP, 6 und 29).
[7] 2. Die Beurteilung der Frage, ob dem Erblasser in verwerflicher Weise schweres seelisches Leid zugefügt wurde, hängt naturgemäß von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage
[8] 3.1 Nach den Feststellungen übertrug die damals 77 jährige Erblasserin den Klägerinnen anlässlich eines Familienessens ohne vorherige Ankündigung unentgeltlich die Rechte an tausenden Fotos und Filmen, die für die Erblasserin als ihr „Lebenswerk“ galten. Dies unter der Zusicherung, dass allein die Erblasserin die „Entscheidungshoheit“ über die Verwertung und Verwaltung des Materials haben würde. In weiterer Folge handelten die Klägerinnen iZm der Verwertung und Verwaltung mehrfach gegen den ausdrücklich und vehement artikulierten Willen der Erblasserin, sodass diese auch anwaltliche und gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen musste. Durch das Verhalten der Klägerinnen wurde die Erblasserin tiefst chronisch gekränkt und litt dauerhaft unter dieser Kränkung. Sie war enttäuscht und gebrochen, weil sich die Klägerinnen ihr gegenüber als völlig unnachgiebig gezeigt hatten.
[9] 3.2 Die Revision zeigt nicht ansatzweise auf, dass die Bejahung des Enterbungsgrundes auf Grundlage der getroffenen Feststellungen durch die Vorinstanzen korrekturbedürftig ist. Die Revision beschränkt sich vielmehr ausschließlich darauf, die im Rechtsmittel umfassend referierten Feststellungen auszulegen, ohne Rechtsfragen aufzuwerfen, die außerhalb der konkreten Fallgestaltung Bedeutung haben könnten. Dabei deckt sich die Rechtsrüge in der Revision nahezu wortgleich mit der Rechtsrüge in der Berufung. Die Klägerinnen beschränken sich damit auf die Wiederholung ihrer Argumente in der Berufung, auf die schon das Berufungsgericht umfassend (ua Gesetzesmaterialien und Schrifttum zitierend) eingegangen ist. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts wird in der Revision pauschal als „falsch“ bezeichnet, es fehlt hingegen eine konkrete Auseinandersetzung mit Argumenten der zweiten Instanz. Damit ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (
[10] 4. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.
[11] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Für die Bemessungsgrundlage war der höhere Streitwert des 2. (Zahlungs )Eventualbegehrens heranzuziehen (insg 340.340,92 EUR), weil Haupt und Eventualbegehren noch streitgegenständlich waren ( RS0035818 ).
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