Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners M* G*, geboren * 1986, *, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin R* G*, sowie den Verein ifs Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung, * (Bewohnervertreterin: Mag. R* A*), dieser vertreten durch Dr. Katharina Bleckmann, Rechtsanwältin in Salzburg, Einrichtungsleiter: Mag. G* F*, wegen Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 25. Oktober 2023, GZ 10 R 171/23f 11, den
Beschluss
gefasst:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Bewohner leidet an einem hirnorganischen Syndrom („Wachkoma“) und befindet sich nach mehrjährigem Aufenthalt in einem Krankenhaus seit 2021 im Pflegeheim. Er ist weder gehfähig noch kann er stehen. Mit Ausnahme eines angedeuteten Kopf , Schulter und Fußhebens ist er nicht in der Lage, seine Extremitäten zu bewegen und immobil. Er ist nicht in der Lage, sich verbal zu äußern, seine Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren und aufgrund seiner körperlichen und kognitiven Einschränkungen vom Pflegepersonal abhängig. Er muss gelagert werden, eine eigenständige Ortsänderung ist ihm nicht möglich. Er kann nicht artikulieren, dass er sich fortbewegen will, und bringt körperlich keinen Bewegungsdrang zum Ausdruck.
[2] Der Bewohner wird routinemäßig jeweils m ontags, m ittwochs und s amstags im Rollstuhl mobilisiert, an den anderen Tagen wird er im Pflegebett in den Gemeinschaftsraum geführt. Diese Art der Mobilisierung ist aus pflegerischer Sicht nicht fachgemäß, beim Bewohner müsste die Mobilisierung täglich neu geprüft werden.
[3] Das Rekursgericht wies – wie schon mit abweichender Begründung das Erstgericht – den Antrag des Vereins auf „Unzulässigerklärung der freiheitsbeschränkenden Maßnahme 'unterlassene tägliche Mobilisierung in den Rollstuhl' ab 28. 2. 2023“ ab. Rechtlich führte es aus, der Bewohner könne einen für die ihn betreuenden Personen nur schwer verständlichen, allenfalls auch unvernünftigen Willen bilden und zum Ausdruck bringen, sodass an ihm grundsätzlich eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG vorgenommen werden könne. Welche pflegerischen Standards einzuhalten und welche Pflegemaßnahmen durchzuführen seien, sei ausschließlich dann Gegenstand eines Verfahrens nach den §§ 11 ff HeimAufG, wenn damit eine freiheitsbeschränkende Maßnahme verbunden sei. Beim Bewohner liege kein zielgerichteter Bewegungsdrang vor. Seine Bewegungsfreiheit bezüglich möglicher Ortsveränderungen werde dadurch, dass er nur an bestimmten Wochentagen, nicht jedoch nach tagesaktueller Überprüfung der bestmöglichen Mobilisierung, in den Rollstuhl gebracht werde, sondern auf andere Art und Weise, nämlich mit dem Pflegebett in den Gemeinschaftsraum geschoben werde, nicht eingeschränkt. Dass nicht täglich eine Mobilisierung in den Rollstuhl erfolge, bilde daher keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 HeimAufG.
[4] Im dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Verein keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf:
[5] 1. Der Revisionsrekurswerber geht ebenso wie das Rekursgericht davon aus, dass am Bewohner trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Freiheitsbeschränkung vorgenommen werden kann. Strittig ist allein, ob eine unterlassene Mobilisierung in den Rollstuhl eine freiheitsbeschränkende Maßnahme ist.
[6] 2.1. § 3 Abs 1 HeimAufG sieht eine Freiheitsbeschränkung darin, dass „eine Ortsveränderung ... unterbunden wird“. Das Unterbinden einer Ortsveränderung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG wird üblicherweise in einem aktiven Tun bestehen. Ein Unterlassen kann dann als Freiheitsbeschränkung angesehen werden, wenn damit nach dem äußeren Erscheinungsbild dieses Verhaltens zumindest auch eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit intendiert ist. In diesem Sinn kann etwa das Vorenthalten der Kleidung, um ein Entweichen des Bewohners zu verhindern, als Freiheitsentziehung gewertet werden (vgl [7. 5. 2014] 7 Ob 209/13f). Wird das Verlassen des Betts durch eine Bewohnerin durch einen Sensoralarm angezeigt, jedoch deren weitere Bewegungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt, sondern (nur) ihr nicht zielgerichteter Bewegungsdrang nicht sofort aktiv gefördert und unterstützt, so liegt keine Freiheitsbeschränkung nach § 3 Abs 1 HeimAufG vor (7 Ob 113/18w = RS0132279).
[7] 2.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann die Bewegungsfreiheit nicht selbständig, sondern auch mit fremder Hilfe (zB durch Schieben eines Rollstuhls) in Anspruch genommen werden. Die Freiheitsentziehung kann daher gegenüber jedermann erfolgen, der – sei es durch die Hilfe Dritter – die Möglichkeit körperlicher Bewegung und Ortsveränderung hat (7 Ob 144/06m = SZ 2006/121; 7 Ob 226/06w; 7 Ob 33/14z, jeweils mwN).
[8] 2.3. Der Bewohner wird regelmäßig an drei Tagen in der Woche – unstrittig zwischen 10:00/11:00 Uhr bis 16:00 Uhr – im Rollstuhl mobilisiert. Damit wird jeden Montag, Mittwoch und Samstag die vom Verein gewünschte Mobilisierung in den Rollstuhl durchgeführt, sodass unverständlich ist, warum der Revisionsrekurswerber auch in diesen Zeiträumen nach wie vor von einer „unterlassenen täglichen Mobilisierung in den Rollstuhl“ ausgeht.
[9] 2.4. In den übrigen Zeiträumen wird der Bewohner, der nach den Feststellungen keinen zielgerichteten Bewegungsdrang hat, in seinem Pflegebett in den Gemeinschaftsraum geführt. Auch damit wird der Bewohner grundsätzlich mobilisiert. Das Rechtsmittel ist daher im Ergebnis lediglich darauf gerichtet, diese angewendete Form der Mobilisierung auszuschließen und eine andere, dem Bewohner genehmere, zu erreichen, also auf eine Prüfung der angewandten Pflegemaßnahmen.
[10] Solche Pflegemaßnahmen sind aber im Rahmen des HeimAufG nicht zu prüfen. Die damit übereinstimmende Beurteilung des Rekursgerichts ist daher nicht korrekturbedürftig.
[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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