Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, geboren * 2013, *, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 10. August 2023, GZ 6 Rs 26/23z 22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 29. Jänner 2023, GZ 30 Cgs 196/22f 12, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der in der Ukraine geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er flüchtete gemeinsam mit seiner Mutter „vor dem Kriegsgeschehen“ aus der Ukraine und kam am 13. 4. 2022 nach Österreich. Er verfügt über einen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgestellten Ausweis für Vertriebene.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger zum Kreis der – bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen – anspruchsberechtigten Personen nach § 3a Abs 2 BPGG gehört.
[3] Mit Bescheid vom 30. 9. 2022 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 26. 9. 2022 auf Gewährung von Pflegegeld mit Verweis auf den von §§ 3, 3a BPGG erfassten Personenkreis ab.
[4] In seiner dagegen erhobenen Klage bringt der Kläger vor, er sei hinsichtlich des Anspruchs auf Pflegegeld österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.
[5] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung mit der Begründung, der Kläger verfüge über ein auf § 62 AsylG gegründetes befristetes Aufenthaltsrecht, das nicht zu den in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstitel gehöre. Implizit ergibt sich aus ihrem Vorbringen weiters, dass sie eine Gleichstellung iSd § 3a Abs 2 Z 1 BPGG ablehnt.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es ließ die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
[8] Rechtlich erörterte es, der Kläger sei von den in § 3a Abs 2 BPGG aufgezählten Personengruppen nicht erfasst. Eine zur analogen Anwendung berechtigende Gesetzeslücke liege nicht vor. Das Berufungsgericht teile auch die auf Art 7 B VG und Art 14 EMRK gestützten verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers nicht. Der Kläger könne sich nicht auf § 3a Abs 2 Z 1 BPGG stützen, weil sich weder aus Staatsverträgen noch aus dem Unionsrecht eine Gleichstellung von Vertriebenen mit österreichischen Staatsbürgern im Hinblick auf das Pflegegeld ergebe.
[9] Er sei nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/83/EG (RL 2004/83/EG des Rates vom 29. 4. 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt dieses Schutzes, ABl L 304 vom 30. 9. 2004, künftig: Status RL alte Fassung; es handelt sich um die Vorgängerbestimmung der Status RL 2011/95/EU) erfasst. Maßgeblich sei die Richtlinie 2001/55/EG (RL 2001/55/EG des Rates vom 20. 7. 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, künftig: MassenzustromRL). Deren Art 13 Abs 2 und Abs 4 schließe das Pflegegeld nicht ein.
[10] Der Kläger beantragte in seiner Revision die Abänderung und Klagestattgebung; hilfsweise stellte er einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
[12] Die Revision des Klägers ist zulässig , sie ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
[13] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 62/23z vom 22. 8. 2023 mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass Personen, die vorübergehenden Schutz nach der MassenzustromRL genießen, zu dem gemäß § 3a Abs 2 Z 1 BPGG erfassten Personenkreis zählen. Sie haben daher bei Erfüllung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen einen Anspruch auf Pflegegeld (RIS Justiz RS0134492).
[14] Die in dieser Entscheidung ausgeführten Erwägungen gelten auch im vorliegenden Fall.
[15] 2. Da der Kläger zu dem von § 3a Abs 2 Z 1 BPGG erfassten Personenkreis gehört, kommt eine Klageabweisung aus dem von den Vorinstanzen herangezogenen Grund nicht in Betracht. Das Verfahren erweist sich vielmehr als ergänzungsbedürftig, weil keine Feststellungen zu seinem Pflegebedarf getroffen wurden.
[16] Die Revision ist daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
[17] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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