Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder R*, geboren * 2008, und N*, geboren * 2009, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz Jonas-Platz 12), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. April 2022, GZ 45 R 93/22t, 45 R 94/22i 64, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 13. Jänner 2022, GZ 1 Pu 376/10w 50 und 51, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich seiner unangefochtenen in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten hat:
„1. Die den Kindern R*, geboren * 2008, und N*, geboren * 2009, zuletzt mit Beschlüssen des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 9. 3. 2021, 1 Pu 376/10w, ON 40 und 41, gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG werden mit Ablauf des Dezember 2021 eingestellt.
2. Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 14. 4. 2011, 1 Pu 376/10w, ON 18 (für R*) und ON 19 (für N*), mit welchen den Kindern gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG monatliche Unterhaltsvorschüsse von 165 EUR je Kind, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 lit c sublit bb erster Fall, 108 f ASVG gewährt wurden, werden für die Dauer von 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2024 gemäß § 7 Abs 2 UVG wieder in Geltung gesetzt.“
Die Änderung der Auszahlungsanordnungen bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Begründung:
[1] Den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildet die Frage, für welchen Zeitraum wieder in Geltung gesetzte Titelvorschüsse (§ 7 Abs 2 UVG) zu gewähren sind.
[2] Aufgrund der Unterhaltsvereinbarungen jeweils vom 11. 2. 2011 (ON 14) ist der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von jeweils 165 EUR an seine beiden 2008 und 2009 geborenen Töchter verpflichtet.
[3] Mit Beschlüssen des Erstgerichts jeweils vom 14. 4. 2011 wurden den beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 3. 2011 bis 28. 2. 2016 gewährt (ON 18 und ON 19).
[4] Mit Beschlüssen jeweils vom 7. 3. 2013 (ON 21 und 22) wurden die Titelvorschüsse von 1. 3. 2013 bis 28. 2. 2016 auf Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG umgestellt. Die Haftvorschüsse wurden den Kindern vorerst bis 28. 2. 2021 (ON 25 und 26) und dann bis 28. 2. 2026 weitergewährt (ON 40 und 41).
[5] Mit Schriftsatz vom 29. 12. 2021 (ON 47) beantragten die Kinder für den Fall einer möglichen Haftentlassung des Vaters mit 30. 12. 2021 die Umwandlung der Haftvorschüsse (§ 4 Z 3 UVG) in Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG.
[6] Am 12. 1. 2022 langte beim Erstgericht die Haftauskunft der Justizanstalt Garsten ein, aus welcher sich das Ende der strafgerichtlichen Anhaltung des Vaters mit 30. 12. 2021 und die Entlassungsadresse „Türkei“ ergibt (ON 48).
[7] Das Erstgericht stellte daraufhin die Haftvorschüsse mit 31. 12. 2021 ein und setzte die Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 165 EUR für den Zeitraum von fünf Jahren für N* (1. 1. 2022 bis 31. 12. 2026) bzw bis zum Erreichen der Volljährigkeit für R* (1. 1. 2022 bis 30. 4. 2026) wieder in Geltung (ON 50 und 51).
[8] Das vom Bund angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die ursprüngliche Geltungsdauer der Titelunterhaltsvorschussgewährung gemäß § 7 Abs 2 UVG um die Dauer der Haftunterhaltsvorschussgewährung zu verlängern sei, sei das Wieder-in-Geltung-Setzen der Titelvorschüsse für fünf Jahre nicht zu beanstanden.
[9] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, dass es die Bestimmung des § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG entgegen der gängigen Rechtsprechung und daher wohl unrichtig angewandt habe.
[10] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Titelvorschüsse lediglich für den Zeitraum von 1. 1. 2022 bis 31. 12. 2024 wieder in Geltung gesetzt werden.
[11] Mit Beschluss vom 13. 12. 2022 stellte der Oberste Gerichtshof die Akten dem Erstgericht zur Vornahme unterbliebener Zustellungen zurück. Rechtsmittelbeantwortungen wurden nicht erstattet. Nach Wiedervorlage des Akts an den Obersten Gerichtshof ist nun über den Revisionsrekurs des Bundes zu entscheiden.
[12] Der Revisionsrekurs des Bundes ist berechtigt.
[13] 1. Mit dem FamRÄG 2009 (BGBl I 2009/75) wurde die bereits zuvor in § 7 Abs 2 UVG geregelte Möglichkeit des „Übergangs“ von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse, wenn dem Geldunterhaltsschuldner die Freiheit entzogen wird, auf den umgekehrten Fall, nämlich den der Haftentlassung ausgedehnt. Dem § 7 Abs 2 UVG wurde folgender Satz angefügt:
„Der Beschluss, mit dem Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 gewährt wurden, ist mit der Beendigung der Freiheitsentziehung auf Antrag oder, falls das Gericht hievon verständigt wurde, von Amts wegen ohne Prüfung der Voraussetzungen der Gewährung wieder in Geltung zu setzen, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig ist; der Zeitraum, für den die Vorschüsse gewährt wurden, ist dabei um die Dauer der Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 zu verlängern.“
[14] 2. Da das FamRÄG 2009 das Konzept der unterschiedlichen Strukturierung der Vorschussgründe nicht änderte, ist das Wieder-in-Geltung-Setzen der Titelvorschüsse als Einstellung der Haftvorschüsse mit gleichzeitiger unveränderter Wiedergewährung der früheren Vorschüsse zu verstehen (10 Ob 111/15v; 10 Ob 44/14i; 10 Ob 3/15m; jeweils mit Hinweis auf Neumayr , Unterhaltsvorschuss neu, ÖJZ 2010/20, 164 [167]). Der Vorteil des Wieder-in-Geltung-Setzens für das Kind liegt darin, dass die Gewährungsvoraussetzungen nicht im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu überprüfen sind (10 Ob 111/15v mwN).
[15] 3. Nach § 7 Abs 2 letzter Halbsatz UVG ist der ursprüngliche Gewährungszeitraum um die Dauer der Gewährung der Haftvorschüsse zu verlängern.
[16] Im vorliegenden Fall wurden die Titelvorschüsse für beide Kinder für den Zeitraum von 1. 3. 2011 bis 28. 2. 2016 gewährt. Die Kinder bezogen 24 Monate lang – bis 28. 2. 2013 – Titelvorschüsse; daran anschließend bezogen sie 106 Monate lang Haftvorschüsse (1. 3. 2013 bis 31. 12. 2021).
[17] Der ursprüngliche Gewährungszeitraum der Titelvorschüsse (bis zum 28. 2. 2016) verlängert um die Dauer der Gewährung der Haftvorschüsse von 106 Monaten ergibt ein Ende des Anspruchs auf die wieder in Geltung gesetzten Titelvorschüsse mit 31. 12. 2024.
[18] Zum selben Ergebnis gelangt man, indem an das Ende des Bezugs der Haftvorschüsse mit 31. 12. 2021 die noch nicht verbrauchten 36 Monate (von ursprünglich 60 Monaten der gewährten Titelvorschüsse) angeschlossen werden (vgl das Berechnungsbeispiel bei Neumayr in Schwimann/Kodek , Praxiskommentar 5 [2019] § 7 UVG Rz 52). Das selbe Ergebnis wird deshalb erzielt, weil im vorliegenden Fall die Haftvorschüsse zeitlich unmittelbar an den Bezug der Titelvorschüsse anschlossen; auf abweichende Konstellationen (vgl 10 Ob 111/15v) muss hier daher nicht eingegangen werden.
[19] 4. Dem Revisionsrekurs des Bundes ist Folge zu geben und die Dauer des Anspruchs auf Titelvorschüsse für beide Kinder mit 31. 12. 2024 zu begrenzen.
Rückverweise