Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun Mohr sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Eintragungssache der *, ehemalige Rechtsanwaltsanwärterin, derzeit Gemeindebedienstete, *, über deren Berufung gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 22. Juni 2021, GZ 2794/2021, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung den
Beschluss
gefasst:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Berufungswerberin stellte am 23. März 2021 bei der Rechtsanwaltskammer (im Folgenden kurz „RAK“) Wien den Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. Als Beilage legte sie den Bescheid der RAK Wien vom 14. April 2020 vor, wonach ihre Tätigkeit als Juristin bei der Stadtgemeinde G* vom 1. Jänner 2019 bis 9. März 2020 auf jene praktische Verwendung angerechnet wurde, die nicht gemäß § 2 Abs 2 RAO zwingend im Inland bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt zu verbringen ist („Ersatzzeit“ gemäß § 2 Abs 3 RAO). Im Anrechnungsverfahren (GZ 2581/2020 der RAK Wien) hatte sie eine Bestätigung der Stadtgemeinde G* vom 9. März 2020 vorgelegt, wonach sie dort seit 1. Jänner 2019 in den nachstehend angeführten Aufgabengebieten tätig war:
[2] Schon vor der Antragstellung im Eintragungsverfahren fragte die Berufungswerberin bei der RAK Wien an, ob ihre Nebentätigkeit in Form eines Angestelltenverhältnisses im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der Stadtgemeinde G* „im Einklang mit der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte steht“ . Sie gab dabei an, dass sie seit 1. Juli 2020 als Abteilungsleiterin im Bürgerservice eingesetzt sei. Ihr Aufgabenbereich umfasse die Aufsicht/Kontrollfunktion und Einteilung des ihr zugewiesenen Personals in folgenden Bereichen:
- Ausgabe/Verkauf von Müllsäcken
- Verkauf Badeteichsaisonkarten
- Beschwerdemanagement (Bürgeranliegen)
- An-/Abmeldungen nach dem Meldegesetz
- Ausstellung von Strafregisterauszügen
- Organisation Schulen und Kindergärten
- Kassenverwaltung
- Bestellwesen (Büromaterial)
- Hundean-/Abmeldungen
- Fundwesen (Entgegennahme und Verwahrung von Fundstücken)
- Förderung innerhalb der Gemeinde
[3] Diese Angaben wurden vom Bürgermeister der Stadtgemeinde G* mit Schreiben vom 24. Februar 2020 an die RAK Wien bestätigt und im Detail näher beschrieben.
[4] Im Zuge der Anhörung vor dem Ausschuss der RAK Wien am 18. Mai 2021 gaben sowohl der Bürgermeister als auch die Berufungswerberin an, dass diese trotz ihrer Ausbildung als Juristin und Anwältin nunmehr für die Gemeinde andere, rein administrative Tätigkeiten ausübe. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Abteilungsleiterin des Bürgerservice würde sie keine rechtlichen Auskünfte erteilen, sondern Anfragen nur an die zuständigen Stellen weiterleiten. Als stellvertretende Stadtamtsdirektorin sei sie nicht für rechtliche Agenden zuständig.
[5] Der Ausschuss der RAK Wien (Plenum) wies mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag der Berufungswerberin auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte ab. Die Berufungswerberin befinde sich derzeit in einem Dienstverhältnis zur Stadtgemeinde G* in der Funktion als Abteilungsleiterin des Bürgerservice und stellvertretende Stadtamtsdirektorin, welches sie auch während der Ausübung der Rechtsanwaltschaft aufrechterhalten wolle. Dies sei mit den Bestimmungen der §§ 20 lit a) und c) sowie 21g RAO unvereinbar.
[6] Dagegen richtete sich die am 13. September 2021 eingebrachte Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Begründend wurde in der Berufung ausgeführt, dass die Tätigkeit bei einer Gemeinde mangels Anführung in § 20 lit a) RAO kein besoldetes Staatsamt im Sinn dieser Bestimmung sei. Da die Stadtgemeinde G* über kein eigenes Statut verfüge, übe sie auch nicht die Funktion einer Bezirksverwaltungsbehörde und somit auch keine den Ländern zugeteilten Aufgaben aus.
[7] Die von ihr bei der Gemeinde ausgeübte, ausschließlich administrative und organisatorische Tätigkeit laufe nicht dem Ansehen des Rechtsanwaltsstandes zuwider, weshalb auch nicht der Unvereinbarkeitsgrund des § 20 lit c) RAO vorliege. Eine bloß hypothetische Interessenkollision bei der Übernahme künftiger Mandate sei kein solcher Unvereinbarkeitsgrund. Schließlich hätten auch Rechtsanwälte, die ständig Unternehmen oder Behörden vertreten, jeweils zu prüfen, ob eine Vollmachtsübernahme nicht gegen das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes verstoße.
[8] Bemängelt wurde weiters, dass der Ausschuss der RAK Wien keine Feststellungen getroffen habe, dass und insbesondere welche Tätigkeiten die Beschwerdeführerin in ihrem Dienstverhältnis ausüben würde, die auch zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehörten und somit von § 21g RAO erfasst wären.
[9] Schließlich wurde die Feststellung bekämpft, es sei lebensfremd, dass eine Person mit einer entsprechenden akademischen rechtswissenschaftlichen und praktischen rechtsanwaltlichen Ausbildung keinerlei Tätigkeit übernehme, die Berührungspunkte zu rechtlichen Agenden habe. Dagegen würden nicht nur ihre Aussage, sondern auch die Aussage des Bürgermeisters als ihrem direkten Vorgesetzten sprechen, wonach sie lediglich administrative und organisatorische Tätigkeiten ausübe.
[10] In ihrer Stellungnahme zur Berufung führte die RAK Wien insbesondere aus, dass der Bürgermeister im Rahmen der mittelbaren Bundes- und Landesverwaltung Aufgaben des Bundes und des Landes zu vollziehen habe und dabei an Weisungen der zuständigen Organe des Bundes bzw des Landes gebunden sei.
[11] Bei ihrer Tätigkeit als stellvertretende Stadtamtsdirektorin und Leiterin des Bürgerservice mache es keinen Unterschied, ob die Beschäftigung nach dem NÖ Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz oder nach der NÖ Gemeindebeamtendienstordnung erfolge, weil sie unmittelbar an die Weisungen des Bürgermeisters gebunden sei.
[12] Im Übrigen würde die Unterstützung der Gemeindebürgerinnen und -bürger bei Fragen zu Abgaben, Steuern und Gebühren, der Zuständigkeit von Ämtern und Behörden sowie bei Förderungen den Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit ausmachen.
[13] Mit Beschluss vom 24. Februar 2022, 19 Ob 2/21i, traf der erkennende Senat nach öffentlicher mündlicher Verhandlung die ergänzende Feststellung, e s stehe nicht fest, dass der Gegenstand des Dienstverhältnisses der Berufungswerberin mit der Gemeinde auch Tätigkeiten umfasst, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehören oder dass die Berufungswerberin solche Tätigkeiten für die Gemeinde tatsächlich ausübt (Rn 24). Eine Unvereinbarkeit gemäß § 21g RAO liege daher nicht vor.
[14] In dieser Entscheidung vertrat der erkennende Senat auch die Auffassung, dass die Tätigkeit eines Rechtsanwalts für eine Gemeinde per se nicht das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes verletze (Rn 45).
[15] Die Frage, ob eine Tätigkeit für eine Gemeinde den Rechtsanwalt dadurch in der Unabhängigkeit der Berufsausübung beeinträchtigt (§ 9 RAO), sei unter dem Aspekt des § 20 lit a) RAO zu prüfen.
[16] Gemäß § 20 lit a) RAO ist die Führung eines besoldeten Staatsamtes mit Ausnahme des Lehramtes mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar. Nach der mit dem BRÄG 2020 (BGBl I 2020/19) in § 20 lit a) RAO eingefügten Legaldefinition ist darunter – soweit hier relevant – „jede entgeltliche Tätigkeit zu verstehen, die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder [...] durch ernannte berufsmäßige Organe erfolgt“.
[17] Hingegen unterscheidet Art 20 Abs 1 B VG zwischen gewählten Organen, ernannten berufsmäßigen Organen oder vertraglich bestellten Organen, welche unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder die Verwaltung führen.
[18] Danach wäre zwar die Tätigkeit als Beamter mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar, nicht aber die Tätigkeit als Vertragsbediensteter.
[19] Der erkennende Senat hatte aufgrund d ieser unterschiedlichen Behandlung öffentlich Bediensteter in Abhängigkeit von ihrer dienstrechtlichen Stellung hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verfassungsrechtliche Bedenken; diese Regelung sei unsachlich und verstoße daher gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B VG). Mit Beschluss vom 24. Februar 2022, 19 Ob 2/21i, stellte der Oberste Gerichtshof daher an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B VG iVm Art 140 B VG den Antrag, dieser möge die in § 20 lit a) RAO enthaltene Legaldefinition des Begriffs des „besoldeten Staatsamtes“ als verfassungswidrig aufheben.
[20] Der Verfassungsgerichtshof trug diesen Bedenken Rechnung und hob mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2022, G 173/2022 14, die Wortfolge „durch ernannte berufsmäßige Organe“ in § 20 lit a) RAO als verfassungswidrig auf.
[21] Der Oberste Gerichtshof hat nach Aufhebung dieser Wortfolge zur Berufung wie folgt erwogen:
[22] Ungeachtet dessen, dass der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 5 B VG für das Außerkrafttreten eine Frist (mit Ablauf des 31. Oktober 2023) gesetzt hat, ist die aufgehobene Bestimmung auf den Anlassfall nicht mehr anzuwenden (Art 140 Abs 7 letzter Satz B VG).
[23] Im Anlassfall ist daher als besoldetes Staatsamt jede entgeltliche Tätigkeit zu verstehen, die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder erfolgt, und zwar unabhängig von der dienstrechtlichen Stellung des Organs (Beamter oder Vertragsbediensteter).
[24] Die Berufungswerberin ist zwar weder als Vertragsbedienstete des Bundes, eines der Länder , des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft oder des Präsidenten des Rechnungshofes tätig, sondern als Gemeindebedienstete. Allerdings haben die Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich auch Angelegenheiten der Bundes- und Landesverwaltung im Auftrag und nach den Weisungen des Bundes und der Länder zu besorgen (Art 119 Abs 1 B VG). Zu diesen Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereichs gehören etwa die Ausstellung von Strafregisterbescheinigungen (Art 10 Abs 1 Z 6 B VG iVm § 10 Abs 1 StrafregisterG 1968) und das Meldewesen (Art 10 Abs 1 Z 7 B VG iVm § 13 Abs 1 MeldeG 1991). Im übertragenen Wirkungsbereich sind auch die Gemeinden unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder tätig.
[25] Nach ihrem Vorbringen und den unangefochten gebliebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist die Berufungswerberin (auch) für die Ausstellung von Strafregisterbescheinigungen und das Meldewesen, somit innerhalb der Gemeinde gerade für Angelegenheiten dieses übertragenen Wirkungsbereichs zuständig.
[26] Sowohl die Lehre als auch die OBDK und der Oberste Gerichtshof haben den Begriff des „besoldeten Staatsamtes“ bisher weit ausgelegt. Im Detail sei auf die ausführlichen Darlegungen im Beschluss vom 24. Februar 2022, 19 Ob 2/21i, verwiesen. Insbesondere soll es danach nicht auf die dienstrechtliche Stellung ( Lohsing , Österreichisches Anwaltsrecht 2 , 286) oder darauf ankommen, dass die Besoldung vom Staat getragen werde (OGH 7. Oktober 1948, AZ 7/48, SZ 21/143). Selbst eine Tätigkeit im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung sei mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar (OBDK 24. Oktober 1988, Bkv 2/88, AnwBl 1990, 194). Auch nach den Materialien zum BRÄG 2020 seien entsprechend der bisherigen Rechtslage (unter Zitierung der zuvor erwähnten Entscheidung vom 24. Oktober 1988, Bkv 2/88) weiterhin Tätigkeiten unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder […] durch ernannte berufsmäßige Organe unvereinbar, wobei es unerheblich sei, ob die zu besorgenden Geschäfte zum Bereich der Hoheits- oder der Privatwirtschaftsverwaltung zählen
[27] Ausgehend von diesem im Anlassfall anwendbaren weiten Begriff des besoldeten Staatsamts war der Berufung daher der Erfolg zu versagen.
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