Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*, gegen die beklagte Partei W* Gesellschaft m.b.H. Co KG, *, vertreten durch Dr. Michael Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 373,03 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 98,19 EUR brutto sA) , über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2021, GZ 7 Ra 61/21a 19, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 31. Mai 2021, GZ 58 Cga 11/21h 13, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist seit 1993 als Berufskraftfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben (KV) anzuwenden. Der Bruttostundenlohn betrug in den Monaten März und April 2020 13,32 EUR. Für April 2020 bestand im Betrieb eine aufrechte (Corona )Kurzarbeitszeitvereinbarung mit einer Reduktion der sonst zu erbringenden Normalarbeitszeit um 42 %. Dem Kläger wurde eine Nettoersatzrate von 80 % ausbezahlt. Er arbeitete im April 2020 an acht Arbeitstagen jeweils 12 Stunden und 20 Minuten. Es wurden daher im April 2020 insgesamt 18,67 Stunden nach der zehnten Stunde des jeweiligen Arbeitstages geleistet.
[2] Der Kläger begehrte für diese 18,67 Überstunden Entgelt von 373,03 EUR brutto. Er brachte vor, auch wenn die Stundenzahl die zustehende Nettoersatzrate der Kurzarbeitsvereinbarung nicht erreiche, seien die Überstunden separat abzurechnen. Für jede Leistung über der täglichen Normalarbeitszeit von zehn Stunden seien diese Überstunden zuzüglich einem 50%igen Zuschlag abzugelten. Eine Durchrechnung sei weder im Kollektivvertrag noch im Rahmen einer Betriebsvereinbarung vorgesehen.
[3] Die Beklagte anerkannte das Klagebegehren im Umfang von 274,84 EUR brutto, die Forderung von weiteren 98,19 EUR brutto wurde bestritten. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers laut Kollektivvertrag betrage 40 Stunden im Rahmen einer sechs Tages Woche. Die Normalarbeitszeit im April habe 173,33 Stunden betragen. Aufgrund der Kurzarbeitsregelung habe der Kläger eine Nettoersatzrate von 80 % erhalten. Dies entspreche 138,67 Stunden. Der Kläger habe im April 2020 149,97 Stunden ge arbeitet , davon 18,67 Stunden nach der zehnten Stunde des Tages. Er habe daher über die mit der Nettoersatzrate abgegoltene Anzahl von Stunden hinaus 11,3 Überstunden geleistet. Diese seien daher zuzüglich Zuschlag zu bezahlen. Hinsichtlich der restlichen 7,37 Stunden habe der Kläger den Grundlohn bereits durch die Zahlung der Nettoersatzrate erhalten. Diesbezüglich sei nur die Forderung nach dem 50%igen Zuschlag berechtigt. Der vom Kläger geforderte Grundlohn für die 7,37 Stunden (98,19 EUR) werde daher weiter bestritten.
[4] Das Erstgericht erließ hinsichtlich des anerkannten Betrags ein Teilanerkenntnisurteil. Hinsichtlich der restlichen 98,19 EUR sA gab es der Klage mit Endurteil statt. Gemäß Abschnitt III. 2. lit a des KV betrage die wöchentliche Normalarbeitszeit für das Fahrpersonal 40 Stunden, die tägliche Normalarbeitszeit zehn Stunden. Überschreitungen der festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit seien, sofern sie über Anordnung des Arbeitgebers geleistet würden, als Überstunden besonders zu entlohnen. Diese Entlohnung bestehe aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag. Der Kläger habe im April 2020 18,67 Überstunden geleistet. Dafür stehe ihm das Grundentgelt samt dem 50%igen Zuschlag zusätzlich zur Nettoersatzrate zu.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Endurteil nicht Folge. Eine Betriebsvereinbarung, die eine Durchrechnung der Normalarbeitszeit regle, existiere bei der Beklagten unstrittig nicht. Auch aus dem Kollektivvertrag ergebe sich nur, dass Überschreitungen der täglichen Normalarbeitszeit von zehn Stunden besonders zu entlohnen seien. Dies gelte auch dann, wenn Kurzarbeit in Anspruch genommen werde. Die Entlohnung der Überstunden errechne sich durch den auf die Arbeitsstunde entfallenden Normallohn mit einem Zuschlag von 50 %.
[6] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen , weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Berechnung des Überstundenentgelts für während der Kurzarbeit geleistete Überstunden bestehe.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag das Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Der Kläger beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
[9] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben (KV) sieht unter anderem folgendes vor:
„III. Arbeitszeit
...
2. Fahrpersonal:
a) Kollektivvertragliche Normalarbeitszeit
Wöchentliche Normalarbeitszeit
Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt 40 Stunden.
Tägliche Normalarbeitszeit
Die tägliche Normalarbeitszeit beträgt 10 Stunden.
b) Durchrechenbare Normalarbeitszeit
Die wöchentliche Normalarbeitszeit kann in den einzelnen Wochen eines Durchrechnungszeitraums von bis zu fünf Wochen bis auf 50 Stunden verlängert werden, wenn die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt des Durchrechnungszeitraums 40 Stunden nicht überschreitet. Die tägliche Normalarbeitszeit beträgt 10 Stunden.
...
V. Überstundenregelung
1. Überstunden
Überschreitungen der im Abschnitt III, Punkt 1 und 2 festgelegten regelmäßigen Arbeitszeit sind, sofern sie über Anordnung des Arbeitgebers oder seines Bevollmächtigen geleistet werden, als Überstunden besonders zu entlohnen.
...
2. Überstundenentlohnung
Die Überstundenentlohnung besteht aus dem Grundstundenlohn und einem Zuschlag. Der Grundstundenlohn beträgt 1/40stel des Bruttowochenlohnes. Ab der 41. Wochenstunde beträgt der Zuschlag 50 %.“
[10] 2. Nach § 6 AZG liegt Überstundenarbeit vor, wenn entweder die Grenzen der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Normalarbeitszeit überschritten werden oder die tägliche Normalarbeitszeit überschritten wird, die sich aufgrund der Verteilung dieser wöchentlichen Normalarbeitszeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ergibt.
[11] 3. Der Kläger ist als Berufskraftfahrer in Vollzeit beschäftigt, seine wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt daher 40 Stunden. Für den relevanten Zeitraum April 2020 bestand eine Corona Kurzarbeit-Vereinbarung, nach der die zu erbringende Normalarbeitszeit um 42 % reduziert wurde, die ausbezahlte Nettoersatzrate betrug 80 %.
[12] 4. Dem liegt das Bundesgesetz BGBl I Nr 12/2020 zugrunde, mit dem in § 37b Abs 7 AMSG die Möglichkeit zur Corona Kurzarbeit geschaffen wurde. Zugleich wurde die Richtlinienkompetenz des Verwaltungsrats des Arbeitsmarktservice nach § 37b Abs 4 AMSG dahingehend erweitert, dass von Abs 3 leg cit abweichende Beihilfehöhen vorgesehen werden können. Die dazu erlassene Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA
[13] Die Kurzarbeitsbeihilfe richtet sich gestaffelt nach der Höhe des Bruttoentgelts und liegt zwischen 80 und 90 % bzw bei Lehrlingen bei 100 % des bisherigen Nettoentgelts (Pkt 6.6.).
[14] 5. Diese Vorgabe einer pauschalen Mindestnettoersatzrate hat zur Folge, dass das Gesamtentgelt der Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete Arbeits plus geförderte Ausfallstunden mit zunehmender Arbeitsleistung nicht steigt. Damit reduziert sich die von den Arbeitgebern zu leistende Kurzarbeitsunterstützung zunehmend je mehr Stunden gearbeitet werden und je näher daher das für die erbrachte Arbeitsleistung gebührende Entgelt an der vorgesehenen Mindestnettoersatzrate liegt ( Auer Mayer , Ausgewählte Fragen zur Kurzarbeit, ZAS 2020/36 [221]).
[15] 6. Grundsätzlich ist daher richtig, dass allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer mehr Stunden als in der Kurzarbeitsvereinbarung vorgesehen leistet, nicht notwendigerweise ein höheres Entgelt nach sich zieht , wenn die abzugeltende Leistung noch im Rahmen der für ihn geltenden Mindestnettoersatzrate liegt.
[16] Die Beklagte übersieht jedoch, dass im vorliegenden Fall nicht die Entlohnung von in der Normalarbeitszeit erbrachten Leistungen begehrt wird, sondern von Überstunden. Unabhängig von der Höhe der reduzierten oder nicht reduzierten Normalarbeitszeitstunden wurden außerhalb der zulässigen Normalarbeitszeit Leistungen erbracht, nämlich durch Überschreitung der im Kollektivvertrag vorgesehenen täglichen Normalarbeitszeit von 10 Stunden. Solche Überstunden sind auch bei Vorliegen einer Kurzarbeitsvereinbarung zusätzlich zum Grundlohn und daher auch neben der pauschalen Mindestnettoersatzrate zu entlohnen. Die Entlohnung der Überstunden setzt sich – wie im Kollektivvertrag vorgesehen – aus dem Stundenlohn laut Grundlohn und einem Zuschlag zusammen. Es ist daher nicht richtig , dass die Abgeltung der unstrittig geleisteten Überstunden schon durch Zahlung des für die in der Normalarbeitszeit zu erbringenden Arbeitsleistung vereinbarten Entgelts abgedeckt ist.
[17] 7. Daran ändert auch nichts, dass die KUA COVID 19 für die Bestimmung der berechenbaren Ausfallstunden vorsieht, dass von den kollektivvertraglichen Normalarbeitszeitstunden auch im Abrechnungszeitraum angefallene Überstunden abzuziehen sind (Pkt 6.7.). Dass der Arbeitgeber während der Zeit der Kurzarbeitsvereinbarung den Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden heranzieht, mag Auswirkungen auf die zu gewährende Förderung haben, ändert aber nichts daran, dass diese Überstunden gesondert zu entlohnen sind (vgl auch Zechner , Die Corona Kurzarbeit, DRdA infas 2020, 206 [208]; Kurzböck , Das Corona Kurzarbeits ABC, ARD 6693/5/2020, 3 [13]).
[18] 8. Zusammengefasst sind Überstunden, die dadurch entstanden sind, dass die nach dem Kollektivvertrag täglich zulässige Normalarbeitszeit überschritten wird, auch während Zeiten, für die Corona Kurzarbeit vereinbart wurde , gesondert zu entlohnen.
[19] Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
[20] 9. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
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