Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Prof. Dr. Klaus Mayr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Nusterer Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei K* GmbH, *, vertreten durch die Wiese Murr Rechtsanwälte OG in Pöchlarn, wegen 10.504,91 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 7 Ra 42/21d 19, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht vom 17. Dezember 2020, GZ 43 Cga 51/20p 9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Revision wird Folge gegeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 10.504,91 EUR samt 8,58 % Zinsen aus 3.156,62 EUR seit 01.10.2020, sowie 8,58 % Zinsen aus 7.348,28 EUR seit 31.12.2020 zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.338,12 EUR (darin 223,02 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 2.337,72 EUR (darin 199,12 EUR USt und 1.143 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 2.386,58 EUR (darin 143,43 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war bei der Beklagten von 22. 8. 2005 bis 30. 9. 2020 als Kundenbetreuer beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Reisebüros anzuwenden. Für den Zeitraum 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 vereinbarten die Parteien Kurzarbeit. Die zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung (Formularversion 4.0) vom 26. 3. 2020 beinhaltet unter anderem folgende Regelungen:
„ IV. KURZARBEIT
Im Interesse der Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes und um dem/der ArbeitgeberIn die Einbringung eines Antrags gemäß § 37b/37c AMSG zu ermöglichen, einigen sich die Vertragspartner über die Einführung und Einhaltung folgender Maßnahmen:
1. Kurzarbeit
a) Die vereinbarte Kurzarbeit wird im Einvernehmen mit dem/der jeweiligen ArbeitnehmerIn und de(n) zuständigen Gewerkschaft(en) eingeführt.
b) Die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit (Vollzeit) wird innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 13. Wochen um 90 Prozent gekürzt. Daraus ergibt sich am Beispiel einer Vollzeitarbeitskraft folgendes Bild:
Ursprüngliche Arbeitszeit: 38 Stunden 30 Minuten
Reduktion um 34 Stunden 39 Minuten
DURCHSCHNITTLICHE Arbeitszeit 3 Stunden 51 Minuten während der Kurzarbeit
(...)
2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes
a) Während der Kurzarbeit
Der/Die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginnes der Kurzarbeitsvereinbarung (Punkt I) bestanden hat (Behaltepflicht). (...)
b) Nach der Kurzarbeit:
Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat. (...)
c) Die Behaltepflicht nach Kurzarbeit bezieht sich nur auf die ArbeitnehmerInnen, die von Kurzarbeit betroffen waren.
Gemeinsame Bestimmungen:
Kündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden.
(...)
Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus personenbezogenen Gründen und das Recht zum vorzeitigen Austritt ist unbenommen. In diesen Fällen ist der Beschäftigtenstand aufzufüllen.
Eine Verminderung des Beschäftigtenstandes ohne Auffüllpflicht kann nur mit Zustimmung des Regionalbeirates der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durchgeführt werden, wenn die zuständige Gewerkschaft zustimmt oder andernfalls nicht innerhalb von 7 Werktagen ab der schriftlichen Bekanntgabe durch den Arbeitgeber ein Veto gegen die geplante Verminderung eingelegt hat.“
[2] Das Arbeitsmarktservice erteilte der Beklagten auf ihre Anfrage die Auskunft, dass es bei Zustimmung (kein Veto) des Betriebsrats/d
[14] Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt .
[15] 1. Die Frage, ob und inwieweit Sozialpartnervereinbarungen über Corona-Kurzarbeit einen Individualkündigungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer während der Kurzarbeit und der Behaltefrist bieten, war zwischenzeitig – nach Fällung des Berufungsurteils – bereits Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.
[16] 2. In der Entscheidung 8 ObA 48/21y hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen einer Kurzarbeitsvereinbarung, die im dort zu beurteilenden Fall vom klagenden Arbeitnehmer nicht mitunterfertigt worden war, bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen und einen individuellen Kündigungsschutz gewähren. Dabei kam er in Auseinandersetzung mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung und der Kurzarbeitsvereinbarung sowie der zu dieser Problematik ergangenen Literatur zu dem Ergebnis, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarung keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und termine.
[17] 3. Diesem Ergebnis ist der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 8 ObA 50/21t gefolgt, in der eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit von sämtlichen Arbeitnehmern mitunterfertigt worden war. In dieser Entscheidung wurde auch ausgeführt , dass sich die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung aus dem Wortlaut nicht ableiten lasse. Aufgrund des Umstands, dass die zugrunde liegenden Mustervereinbarung von den Sozialpartnern ausverhandelt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge gerade nicht gewollt gewesen sei.
[18] Verwiesen wurde auch darauf, dass die sonstigen Reglungen des entsprechenden Vertragspunktes (ebenso wie im vorliegenden Fall) nur die Frage beträfen, wann eine Auffüllpflicht bestehe, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer ohne Bedeutung sei. Gegen die Annahme eines individuellen Kündigungsschutzes spreche weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert sei. Gleiches gelte für den volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit.
[19] Die Entscheidung kam daher zu dem Ergebnis, dass sich auch aus der vom Arbeitnehmer mitunterfertigten Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz
[3] Die Beklagte informierte die Gewerkschaft der Privatangestellten am 5. 6. 2020 über eine geplante Herabsetzung des Beschäftigtenstandes wie folgt:
„ (…) Aufgrund der aktuellen Situation und der wirtschaftlichen Perspektive für unsere Geschäftsbereiche, sehen wir uns heute gezwungen unseren Betrieb zu verkleinern. Wir müssen Betriebsstandorte schließen und die zugehörigen Abteilungen im Backoffice verkleinern. Diese Maßnahmen dienen einzig und allein der Sicherung des Fortbestandes unseres Unternehmens und der verbleibenden Arbeitsplätze und sollen so sozial verträglich wie möglich gestaltet werden. Es sind voraussichtlich 20 Angestellte von oben genannten Maßnahmen betroffen.
Gemäß Punkt IV Z 2 lit c letzter Absatz der Sozialpartnervereinbarung geben wir als letzten Tag des Einspruches (7 Werktage) den 13. Juni 2020 bekannt. “
[4] Die Gewerkschaft der Privatangestellten reagierte auf dieses Schreiben nicht. Die Einholung der Zustimmung bzw. einer Ausnahmebewilligung des RGS-Regionalbeirates unterblieb.
[5] Am 17. 6. 2020 sprach die Beklagte die Kündigung des Klägers zum 30. 9. 2020 aus.
[6] Der Kläger begehrt Kündigungsentschädigung in Höhe des Klagsbetrags aufgrund zeitwidriger Dienstgeberkündigung während der Behaltefrist. Kündigungen durch den Arbeitgeber zum Zwecke der Verringerung des Beschäftigtenstandes wären während dieser Zeit nur zulässig gewesen, wenn die Zustimmung des Betriebsrates (Betriebsvereinbarung) bzw der Gewerkschaft (Einzelvereinbarung) oder eine Ausnahmebewilligung durch den RGS Regionalbeitrat vorgelegen wären, was nicht der Fall war.
[7] Die Beklagte stellte d as Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach. Der Arbeitgeber habe nach der getroffenen Kurzarbeitsvereinbarung eine geplante Verminderung des Beschäftigtenstandes der Gewerkschaft bekannt zu geben. Deren Zustimmung könne angenommen werden, wenn sie binnen sieben Werktagen kein Veto einlege. Eine Befassung des RGS-Regionalbeirates sei nur im Falle eines Vetos der Gewerkschaft erforderlich. Die Beklagte habe die Gewerkschaft am 5. 6. 2020 von den geplanten Kündigungen informiert, bis zur Kündigung des Klägers am 17. 6. 2020 seien mehr als sieben Werktage ohne Äußerung der Gewerkschaft verstrichen. Die Kündigung des Klägers sei daher rechts- und zeitkonform erfolgt.
[8] Überdies komme Kündigungen ungeachtet ihrer Zulässigkeit nach § 37b AMSG und den Regelungen der Sozialpartnervereinbarung jedenfalls Beendigungswirkung zu. K urzarbeitsbedingte Kündigungsbeschränkungen begründeten keinen besondere n Kündigungsschutz. Die Konsequenz liege vielmehr allein im Förderungsbereich.
[9] Das Erstgericht gab der Klage statt. Aufgrund der Sozialpartnervereinbarung sei für eine Kündigung neben der Zustimmung oder Nichtstellungnahme der Gewerkschaft binnen sieben Tagen die Zustimmung des Regionalbeirates notwendig. Dass eine – wie im vorliegenden Fall – nicht diesen Erfordernissen entsprechende Kündigung rechtsunwirksam sei, ergebe sich schon aus der Formulierung der Sozialpartnervereinbarung. Der Kläger habe daher das Wahlrecht zwischen der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Auflösung und der Forderung einer Kündigungsentschädigung.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Nach der Sozialpartnervereinbarung sei neben der Zustimmung (bzw zumindest Nichtäußerung) der Gewerkschaft zur Kündigung auch die Zustimmung des Regionalbeirates der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice erforderlich, die aber nicht vorliege. Es könne aber dahingestellt bleiben, ob die Kündigung des Klägers rechtsunwirksam gewesen sei oder nicht, weil er nicht den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sondern einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung wegen zeitwidriger Kündigung geltend mache. Diesen leite er nicht aus einer Sozialpartnervereinbarung, sondern aus einer (auf einer solchen beruhenden) Einzelvereinbarung ab . Ihm sei ein subjektives Recht im Sinne eines für die Geltungsdauer der Kurzarbeitsvereinbarung (und der Behaltepflicht) geltenden Kündigungsverzichts der Beklagten eingeräumt worden. Danach hätte eine (Dienstgeber )Kündigung frühestens mit Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, sodass dem Kläger die geltend gemachte Kündigungsentschädigung zustehe.
[11] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen , weil zur Frage der Rechtswirkungen einer als Einzelvereinbarung abgeschlossenen Sozialpartnervereinbarung über Corona Kurzarbeit im Zusammenhang mit einer während der Dauer der Kurzarbeit ausgesprochenen Dienstgeberkündigung keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit d em Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.
[13] D er Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
[20] 4. Von diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Unabhängig davon, ob die Kündigung während der Dauer der Kurzarbeit und der Behaltefrist der Zustimmung/Nichtäußerung der Gewerkschaft und des Regionalbeirats bedurft hätte oder die Zustimmung/Nichtäußerung der Gewerkschaft allein als ausreichend anzusehen ist, wurde durch die Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz des jeweiligen Arbeitnehmers begründet. Daran ändert auch nichts, dass im konkreten Fall eine Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung getroffen wurde. Da die Vereinbarung im Verhältnis zum Arbeitnehmer auch keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen und termine entfaltet, steht dem Arbeitnehmer im Falle einer solchen Kündigung auch keine Kündigungsentschädigung zu.
[21] In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war das Klagebegehren daher abzuweisen.
[22] 5. Aufgrund der Abänderung in der Hauptsache, war auch die Kostenentscheidung neu zu treffen. Diese gründet sich in allen Instanzen auf die §§ 41, 50 ZPO.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden