Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Harald Burmann em. – Dr. Peter Wallnöfer – Mag. Eva Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.236,47 EUR brutto sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 6. November 2019, GZ 15 Ra 51/19s 13, den
Beschluss
gefasst:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Im Vorverfahren (AZ ***** des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht; AZ ***** des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen), wurde in einem Musterverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG festgestellt, dass die vom Personalausschuss der Bediensteten der Ö***** AG für Tirol und Vorarlberg repräsentierten Dienstnehmer der Beklagten, deren Dienstverhältnis vor dem 1. 5. 1996 begründet wurde und welche vormals Vertragsbedienstete der P***** waren und von dieser gemäß § 18 Abs 1 PTSG übergeleitet wurden, das Recht auf Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahres erbrachten Vor (Dienst-)zeiten haben, insoweit sie vor Vollendung des 18. Lebensjahres als Postpraktikanten tätig waren und unmittelbar nachfolgend in einem Dienstverhältnis bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerin weiter beschäftigt wurden. Die Vorinstanzen erachteten die Nichtanrechnung dieser Zeiten unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH (vor allem Rs Hütter und Starjakob und des Obersten Gerichtshofs (9 ObA 15/15v ua) als altersdiskriminierend. Zwischen der Dienstzeit als Postpraktikant einerseits und der Dienstzeit als Postmitarbeiter andererseits bestünden wesensmäßig keine ausreichenden Unterschiede.
Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision der Beklagten zurück (9 ObA 28/18k). In einer Gesamtbetrachtung der Faktoren sei zu berücksichtigen, dass die Postpraktikanten grundsätzlich in gleicher Weise wie volljährige Mitarbeiter eingesetzt worden seien. Auch wenn für Postpraktikanten einerseits bestimmte, teilweise jugendschutzbedingte Beschränkungen bestanden hätten, so sicherten die Einschulungen und das höhere Ausbildungsniveau als bei volljährigen Mitarbeitern den Postpraktikanten andererseits die Verwendung in allen postinternen Funktionen, sodass eine Karrieremöglichkeit bis in die untere Führungsebene garantiert gewesen sei.
Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin mit der Behauptung, eine vom Feststellungsurteil erfasste Dienstnehmerin der Beklagten zu sein, Ansprüche auf Leistung und Feststellung gegen die Beklagte geltend.
Die Vorinstanzen gaben den Klagebegehren statt. Die von der Klägerin vor ihrem 18. Lebensjahr erbrachten Vordienstzeiten als Postpraktikantin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten seien bei Berechnung des Vorrückungsstichtags zu berücksichtigen. Selbst wenn die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Postpraktikantin von der Beklagten überwiegend im mittleren Post- und Fernmeldedienst und nicht im Zustelldienst eingesetzt worden sein sollte, – was hier gar nicht zutreffe – würde dies keine differenzierende Beurteilung rechtfertigen. Die Beklagte sei im Hinblick auf die in § 10 Abs 1 PTSG angeordnete Gesamtrechtsnachfolge per 1. 5. 1996 und die Überleitung der bis zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigten Vertragsbediensteten gemäß § 18 Abs 1 PTSG auch passiv legitimiert. Die Nachzahlungsverpflichtung verstoße weder gegen die Kapitalverkehrsfreiheit noch gegen das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit.
Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
1. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit den allgemeinen Grundsätzen für die hier strittige Anrechnung von „Postpraktikantenzeiten“ vor dem 18. Lebensjahr bereits wiederholt befasst (9 ObA 28/18k, 9 ObA 135/19x ua). Welche konkreten wesensmäßigen Unterschiede im Sinne dieser Rechtsprechung hier maßgeblich sein sollten, ist nicht ersichtlich.
2.1 Dem Einwand der mangelnden Passivlegitimation ist zunächst zu entgegnen, dass sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Nachzahlungsansprüchen um keine der Beklagten als Sonderbelastung übertragene Verpflichtung handelt. Diese Ansprüche ergeben sich schlicht daraus, dass die Beklagte – so wie ihre Rechtsvorgängerin – Dienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr unionsrechtswidrig nicht angerechnet hat. Warum die Beklagte als Dienstgeberin der Klägerin als Dienstnehmerin nicht für das (diskriminierungsfrei berechnete) Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung haften soll, lässt sich der Revision nicht entnehmen.
2.2 Die Beklagte meint, dass die Nachzahlungsverpflichtung gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, erkennt aber selbst, dass der von ihr diesbezüglich ins Treffen geführten „golden shares“-Judikatur des EuGH jeweils staatliche Sonderrechte in Bezug auf die organisatorische Gesellschaftsverfassung zugrunde lagen. Die Belastung mit dem „zusätzlichen Entgelt“ ergibt sich hier nicht aus einer staatlichen Maßnahme, sondern aus dem Verbot von Altersdiskriminierung. Der Vorwurf der Beklagten, der Bund habe die Nachzahlung durch die Schaffung eines diskriminierenden Besoldungssystems verursacht, blendet völlig aus, dass bei einem von Anfang an diskriminierungsfreien Besoldungssystem (unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten) die Zahlungen ebenfalls zu leisten gewesen wären.
Im Übrigen hat bereits das Berufungsgericht richtig darauf verwiesen, dass die Übernahme von Arbeitnehmern zu den für den Rechtsvorgänger verbindlichen Konditionen bei einem Betriebsübergang sowohl nach dem AVRAG als auch nach der BetriebsübergangsRL 2001/23/EG (früher RL 77/187/EWG) in der Regel zwingend ist und die Verpflichtung dazu im Rahmen einer Ausgliederung kein Abgehen von normalerweise für Gesellschaften geltenden Regelungen darstellt.
2.3 Des Weiteren macht die Beklagte eine Verletzung des Grundrechts auf unternehmerische Freiheit geltend und möchte aus der Entscheidung des EuGH C 426/11, Alemo-Herron , ableiten, dass eine übermäßige Belastung ausgegliederter Rechtsträger mit öffentlichem Dienstrecht einen Verstoß gegen dieses Grundrecht darstelle.
Diese Entscheidung geht davon aus, dass bei einem Unternehmensübergang von einer juristischen Person aus dem öffentlichen Bereich auf eine juristische Person des Privatrechts die Arbeitnehmer mit dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Arbeitsbedingungen übergehen. Der Erwerber darf jedoch nicht durch einen dynamischen Verweis auf nach dem Übergang des Unternehmens verhandelte und geschlossene Kollektivverträge gebunden werden, wenn ihm verwehrt ist, in den betreffenden Tarifverhandlungsorganen mitzuwirken. Vielmehr muss ihm möglich sein, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln (Rn 28, 33, 34).
Eine vergleichbare Einschränkung enthält das PTSG allerdings nicht. Der Beklagten wurde nach § 19 Abs 3 PTSG ausdrücklich Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt, womit sie die Möglichkeit hat, den Inhalt zukünftiger Kollektivverträge unmittelbar mitzugestalten.
3. Da es der Revision daher nicht gelingt, unionsrechtliche Bedenken zu wecken, muss auf die Frage, ob bei Vorliegen einer Unionswidrigkeit die Zahlungspflicht der Beklagte gegen ihre Arbeitnehmer überhaupt entfallen würde oder allfällige Ansprüche nur im Verhältnis zum Bund geltend gemacht werden könnten, nicht weiter eingegangen werden.
4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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