Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj F***** U*****, geboren am ***** 2005, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe – Rechtsvertretung für die Bezirke *****), wegen Unterhalts, aufgrund der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügten Vorlage seines Akts AZ 83 Pu 97/19p (vormals AZ 83 Pu 70/19t) zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN, den
Beschluss
gefasst:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 28. Mai 2019 zu GZ 83 Pu 97/19p 3 gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Oberndorf wird nicht genehmigt.
Begründung:
Die Minderjährige ist seit 2005 in voller Erziehung der Stadt Wien und lebt derzeit bei einer Pflegefamilie in Deutschland.
Der Kinder- und Jugendhilfeträger macht erkennbar einen Anspruch gegen den Vater auf Festsetzung von Unterhalt für die Minderjährige ab 1. Jänner 2018 geltend.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien übertrug diese Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Oberndorf, weil sich der Kindesvater (und nicht wie in der von der Urschrift – bislang unberichtigt – abweichenden Beschlussausfertigung unzutreffend: die Minderjährige selbst ) im Sprengel dieses Gerichts aufhalte. Das Bezirksgericht Oberndorf lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legt nunmehr nach Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses den Akt (neuerlich) dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.
1. Die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN setzt voraus, dass das übertragende Gericht auch bisher nach dem Gesetz zur Besorgung der Pflegschaftssache zuständig war. Andernfalls hat es in jeder Lage des Verfahrens seine Unzuständigkeit auszusprechen und die Sache nach § 44 JN an das zuständige Gericht zu überweisen (vgl RS0107254). Die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN setzt daher die (örtliche wie internationale) Zuständigkeit des übertragenden Gerichts voraus (6 Nc 22/07y = RS0107254 [T3]; Fucik in Fasching/Konecny ³ § 111 JN Rz 2; vgl Schneider in Fasching/Konecny ³ § 44 JN Rz 18).
2. Zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten ist nach Art 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit a), oder das Gericht des Ortes, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit b), oder das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit begründet sich einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien (lit c), oder das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien (lit d).
Art 3 lit a und b EuUVO regelt die internationale und die örtliche Zuständigkeit, lit c und d auch die sachliche Zuständigkeit ( Simotta in Fasching/Konecny ³ § 114 JN Rz 120); diese Bestimmungen gehen den nationalen Regelungen (§§ 109 f JN) vor (vgl Simotta aaO Rz 97).
3. Nach der Aktenlage ist davon auszugehen, dass sich die Minderjährige in Deutschland und der vom Vertreter des Kindes aufgrund seiner Unterhaltspflicht in Anspruch genommene Antragsgegner („Beklagter“ bzw „verpflichtete Person“ iSd Art 2 Abs 1 Z 11 EuUVO; vgl Fuchs in Gitschthaler , Internationales Familienrecht, Vorbem Kap III EuUVO Rz 18 f) zwar in Österreich, aber nicht im Sprengel des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien aufhält. Da auch kein Anhaltspunkt für das Vorliegen anderer Tatbestände nach Art 3 lit c und d EuUVO vorliegt, fehlt es an der örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien nach Art 3 EuUVO. Damit ist die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN nicht zulässig; deren Genehmigung war daher zu versagen.
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