Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers DI Dr. G* A*, vertreten durch Mag. Clemens Braun, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegner 1. DI H* L*, 2. MMMag. C* L*, beide *, beide vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen §§ 24 Abs 6, 29, 52 Abs 1 Z 4 und 5 WEG, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 4. November 2016, GZ 2 R 138/16g - 17, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 5. April 2016, GZ 17 Msch 13/15x-13, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsteller ist schuldig, den Antragsgegnern die mit 460,40 EUR (darin 76,73 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Parteien sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die beiden Antragsgegner zusammen haben dabei die Mehrheit der Miteigentumsanteile. Gegenstand ihres Rechtsstreits ist die Umsetzung von notwendigen Sanierungsmaßnahmen, speziell die Sanierung des außenseitigen Stiegenaufgangs.
In einem Vorverfahren nach den §§ 24 Abs 6, 29, 52 Abs 1 Z 4 und 5 WEG bekämpfte der Antragsteller einen Umlaufbeschluss über die Glasdachsanierung und Neugestaltung des Eingangsbereichs der Liegenschaft. In diesem Verfahren schlossen die Parteien am 6. 3. 2014 eine Vereinbarung, die im Tagsatzungsprotokoll wie folgt festgehalten wurde:
„Die Parteien kommen nunmehr überein, folgende Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen:
1. Die Sanierung im Eingangsbereich wird im Umfang laut dem Kostenvoranschlag der Fa. [...] vom 08.05.2013 erfolgen.
2. Der außen gelegene Stiegenaufgang wird durch Aufbringung eines rutsch-winterfesten Bodenbelages (Fliesen oder Stein) saniert werden.
3. Im Bereich des Zugangsbereichs beim Eingangstor wird eine Außenbeleuchtung angebracht werden.
4. Beim Eingangstor wird die entsprechende Hausnummer angebracht werden.
6. Die Hecken der jeweiligen Wohnungseigentümer werden einmal jährlich auf das ortsübliche Maß zurückgeschnitten.
7. Der Antragsteller wird im Laufe des Sommers 2014 den Zugangs- bzw. Stiegenhausbereich auf seine eigene Kosten ordnungsgemäß verputzen.
8. Die Parteien kommen überein, dass die Hausverwaltung [...] mit der Ausschreibung der Sanierungsarbeiten beauftragt wird. Die Hausverwaltung wird jeweils drei Angebote einholen, wobei sich die Parteien hinsichtlich der Angebote einigen werden. Sollte eine Einigung aufgrund dieser Angebote nicht gefunden werden, so kommt der Billigstbieter zum Zug.“
Die Parteien vereinbarten daraufhin einfaches Ruhen des Verfahrens. Eine Fortsetzung dieses Vorverfahrens erfolgte nicht.
In der Eigentümerversammlung vom 12. 2. 2015 mit dem Tagesordnungspunkt „Information und Besprechung der anstehenden Sanierungen“ wurden die von der Hausverwaltung eingeholten Kostenvoranschläge besprochen. Der Antragsteller nahm daran trotz Ladung nicht teil. Die anwesenden Antragsgegner sprachen sich für eine – gegenüber einer Ausführung in Fliesen teurere – „Granitvariante“ aus. Darüber sollte jedoch noch ein förmlicher Beschluss gefasst werden. Daher wurde mit dem Protokoll über die Eigentümerversammlung sämtlichen Wohnungseigentümern jeweils ein entsprechendes Umlaufbeschlussformular übermittelt. Beide Antragsgegner erklärten sich mit der darin vorgeschlagenen Treppensanierung in Granit einverstanden, nicht jedoch der Antragsteller.
Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag begehrte der Antragsteller die Aufhebung dieses Mehrheitsbeschlusses, hilfsweise die Feststellung dessen Rechtsunwirksamkeit.
Das Erstgericht wies das Hauptbegehren auf Aufhebung des Umlaufbeschlusses zurück. Dem Eventualbegehren gab es statt und stellte fest, dass der Umlaufbeschluss rechtsunwirksam sei. Die im Vorverfahren getroffene Vereinbarung über die Sanierung der Treppe habe lediglich die Frage offen gelassen, ob die Ausführung in „Fliesen oder Stein“ erfolgen solle. Dazu hätte es zwar noch einen Einigungsversuch unter den Miteigentümern geben sollen. Mangels Einigung auf eine Ausführungsvariante hätte die Hausverwaltung aber jeweils drei Angebote für jede der zwei Varianten einzuholen gehabt und mangels Einigung auf eines dieser konkreten Anbote hätte dann automatisch das Billigste zur Ausführung gelangen müssen. Von dieser einstimmigen Vereinbarung/diesem einstimmigen Beschluss könne nicht durch einen bloßen Mehrheitsbeschluss, sondern nur in Form eines einstimmigen Willensakts abgegangen werden. Der angefochtene Mehrheitsbeschluss sei deshalb formal rechtsunwirksam und ex tunc zu beseitigen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller Folge. Es änderte den angefochtenen Sachbeschluss dahin ab, dass das Eventualbegehren auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Umlaufbeschlusses vom 10. 3. 2015 abgewiesen werde. Die notwendige Sanierung der Außenstiege falle in den Bereich der ordentlichen Verwaltung. Über Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung entscheide die Eigentümergemeinschaft nach § 24 WEG durch Mehrheitsbeschluss. Nach ständiger Rechtsprechung könne ein Mehrheitsbeschluss (soferne er noch nicht vollzogen worden sei) durch einen jüngeren Mehrheitsbeschluss abgeändert oder aufgehoben werden. Das WEG 2002 sehe andere Entscheidungsformen als die des Beschlusses in diesen Angelegenheiten nicht vor, insbesondere keine „Vereinbarungen“, die eine höhere Bestandsgarantie hätten, indem man von ihnen nur einstimmig abgehen könnte. Auch die Form der gerichtlichen Protokollierung vermöge daran nichts zu ändern, sodass grundsätzlich eine (neuerliche) Beschlussfassung möglich und wirksam sei. Nach § 26 Abs 1 WEG könnten zwar sämtliche Wohnungseigentümer eine Vereinbarung über die Willensbildung treffen. Eine solche Gemeinschaftsordnung sei rechtswirksam, wenn sie schriftlich geschlossen werde und soweit sie nicht zwingenden Grundsätzen dieses Bundesgesetzes widerspreche. Der Gesetzgeber gebe in den Materialien wenig Auskunft darüber, was in einer Gemeinschaftsordnung „über die Willensbildung“ beschlossen werden könnte. Höchstgerichtliche Judikatur zu diesem Thema bestehe nicht, die Lehre sei nicht einheitlich. Unter Berücksichtigung der (von ihm dargestellten) Rechtsmeinungen sei das Rekursgericht der Ansicht, dass die Beschlusserfordernisse nach dem WEG 2002 nicht durch eine Gemeinschaftsordnung abgeändert werden könnten, soweit das Gesetz nicht selbst Derartiges ausdrücklich zulasse. Daher stelle die vor Gericht geschlossene Vereinbarung über die Vorgangsweise, wie letztlich die konkrete Sanierung des Stiegenaufgangs erfolgen solle, auch keine gültige Gemeinschaftsordnung dar, von der nur einstimmig wieder abgegangen werden könnte. Losgelöst vom konkreten Inhalt dieser Vereinbarung handle es sich daher bei dieser Vereinbarung lediglich um eine Beschlussfassung über eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung, die durch einen neuen Mehrheitsbeschluss wieder abgeändert werden könne. Der bekämpfte Umlaufbeschluss sei daher nicht rechtsunwirksam.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Zur Frage, ob eine vor Gericht geschlossene Vereinbarung, wie sie hier zwischen den Parteien getroffen worden sei, eine stärkere Bestandskraft als ein Mehrheitsbeschluss habe oder als gültige Gemeinschaftsordnung nach § 26 WEG 2002 angesehen werden könne, sei keine höchstgerichtliche Judikatur aufzufinden gewesen.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsstellers. Er beantragt, diese abzuändern und den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Die Antragsgegner beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1.1. Die Eigentümergemeinschaft trifft ihre Entscheidungen in Form von Beschlüssen. Für Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft bestehen keine besonderen Formerfordernisse. Die vom Gesetzgeber bevorzugte Form der Entscheidungsfindung ist zwar die Beschlussfassung durch Abstimmung im Rahmen einer Eigentümerversammlung, doch können Beschlüsse kraft ausdrücklicher gesetzlicher Freistellung auch auf jede andere Weise zustandekommen (§ 24 Abs 1 WEG).
1.2. Eine Eigenbindung der Eigentümerge-meinschaft an ihre Beschlüsse besteht nicht. Sie kann auch einen endgültig wirksamen Beschluss im Wege einer neuerlichen Beschlussfassung widerrufen oder ändern (5 Ob 42/09a; Löcker in Hausmann/Vonkilch WEG³ § 24 WEG Rz 102) .
1.3. Auch eine Vereinbarung, die von sämtlichen Wohnungseigentümern getroffen wurde, kann im Verhältnis zur Eigentümergemeinschaft nichts anderes als ein Beschluss sein. Die Einstimmigkeit und Vereinbarungsform verschafft diesem dabei keinen erhöhten Bestandsschutz, insbesondere gegen eine (abweichende) neuerliche Beschlussfassung. Daran ändert es auch nichts, wenn eine solche Vereinbarung – wie hier – in ein gerichtliches Protokoll gekleidet wurde (vgl für den gerichtlichen Vergleich 5 Ob 42/09a = immolex 2010, 154/51 [ Cerha ]) .
1.4. Die von den Parteien hier im Vorverfahren getroffene Vereinbarung stellt daher allenfalls (ob diese den allgemeinen Willensbildungsvorschriften des § 24 WEG entsprochen hat, lässt sich nach den Verfahrensergebnissen nicht beurteilen) einen Mehrheitsbeschluss dar. Die Existenz dieses älteren Mehrheitsbeschlusses über die Maßnahmen zur Sanierung des außenseitigen Stiegenaufgangs bildet jedenfalls kein Hindernis für die neuerliche Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft.
2.1. Die hier im konkreten Fall zu beurteilende Vereinbarung hat auch nicht die Rechtsnatur einer Gemeinschaftsordnung iSd § 26 WEG.
2.2. Gemäß § 26 Abs 1 WEG können sämtliche Wohnungseigentümer eine Vereinbarung über die Einrichtung bestimmter Funktionen innerhalb der Eigentümergemeinschaft oder über die Willensbildung treffen. Eine solche Vereinbarung ist rechtswirksam, wenn sie schriftlich geschlossen wird und soweit sie nicht zwingenden Grundsätzen dieses Bundesgesetzes widerspricht.
2.3. Das erstmals mit dem WEG 2002 geschaffene Institut der Gemeinschaftsordnung soll den Wohnungseigentümern nach dem Willen des Gesetzgebers dauerhafte privatautonome Gestaltungen im Sinne von Satzungsbestimmungen ermöglichen (RV 989 BlgNR XXI. GP 66). Eine Gemeinschaftsordnung regelt also Aspekte, für den die Wohnungseigentümer eine langfristig bindende Regelung schaffen wollen ( Vonkilch in Hausmann/Vonkilch
2.4. Eine solche allgemeine Regelung über die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft enthält die von den Parteien im Vorverfahren getroffene Vereinbarung nicht. Diese stellt daher auch keine Gemeinschaftsordnung im Sinn der – insoweit klaren (vgl RIS-Justiz RS0042656) – Regelung des § 26 WEG dar. Eine weitere Auseinandersetzung mit den vom Rekursgericht aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit den inhaltlichen Schranken für Vereinbarungen über die Willensbildung erübrigt sich daher ebenso, wie die Auseinandersetzung mit dem Formerfordernis der Schriftlichkeit für das rechtswirksame Zustandekommen einer Gemeinschaftsordnung und den Voraussetzungen für deren Aufhebung und/oder Änderung.
3.1. Der Revisionsrekurs ist daher nicht berechtigt.
3.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Die danach anzustellenden Billigkeitserwägungen rechtfertigen einen Kostenzuspruch für die im Revisionsrekursverfahren erfolgreichen Antragsgegner.
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