Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Jänner 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pulker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stephan P***** wegen des Vergehens des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. Jänner 2007, GZ 153 Hv 2/07x-23, und den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Mag. Holzleitner, des Verteidigers Mag. Gruner, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Stephan P*****, zu Recht erkannt:
Im Verfahren AZ 153 Hv 2/07x des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung gegen den jungen Erwachsenen Stephan P***** und die Beschlussfassung über die dem Genannten zuvor im Verfahren AZ 142 Hv 34/06w des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährte bedingte Strafnachsicht ohne Teilnahme und Anhörung des bestellten Bewährungshelfers §§ 46a Abs 2, 40 JGG sowie § 494a Abs 3 erster Satz StPO.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. März 2006, GZ 142 Hv 34/06w-29, wurde über den am 23. April 1987 geborenen Stephan P***** wegen des Vergehens nach § 287 Abs 1 StGB (§§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB) eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verhängt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von neun Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde; zugleich wurde gemäß § 50 Abs 1 StGB für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet (S 237) und in der Folge Herbert L***** als Bewährungshelfer bestellt (S 251).
Mit weiterem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. Mai 2006, GZ 142 Hv 61/06s-9, wurde P***** rechtskräftig des Vergehens des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO wurde vom Widerruf der bedingten Nachsicht eines Teiles der Strafe im zuerst genannten Verfahren abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert (S 71).
Wegen der am 7. Dezember 2006 begangenen Vergehen des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 2 StGB, der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB wurde der Genannte schließlich mit sogleich in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23. Jänner 2007, GZ 153 Hv 2/07x-23, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt; zugleich widerrief der Schöffensenat gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO die im zuerst genannten Verfahren gewährte bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe (s S 135 und US 4 f).
Dabei hatte die Vorsitzende nach Einlangen der Strafregisterauskunft ON 18, aus der für sie fallbezogen erstmals die Anordnung der Bewährungshilfe im Verfahren AZ 142 Hv 34/06w hervorging, die Ladung des Bewährungshelfers verfügt („lade BWH über Neustart", S 109). Laut Mitteilung des Vereins Neustart vom 18. September 2007 langte diese [am 16. Jänner 2007 abgefertigte] Ladung dort jedoch nicht ein. Die Hauptverhandlung am 23. Jänner 2007 wurde - ungeachtet des Nichtvorliegens eines Zustellnachweises und ohne Erhebung über den Zustellvorgang - in Abwesenheit des (nicht erschienenen) Bewährungshelfers durchgeführt (ON 22). Eine Anhörung des Bewährungshelfers zum Widerruf unterblieb demgemäß gleichfalls.
Die Durchführung der Hauptverhandlung gegen den jungen Erwachsenen Stephan P***** am 23. Jänner 2007 ohne Teilnahme und Anhörung des im Verfahren AZ 142 Hv 34/06w des Landesgerichts für Strafsachen Wien bestellten Bewährungshelfers sowie der Widerruf ohne Anhörung des Letztgenannten stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Auf Grund der gemäß § 46a Abs 2 JGG auch in Verfahren gegen junge Erwachsene anzuwendenden Bestimmung des § 40 JGG hat der für den Beschuldigten bestellte Bewährungshelfer das Recht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und dort gehört zu werden. Dadurch soll der Bewährungshelfer, der in der Regel Kenntnis über die Lebensbedingungen und Familienverhältnisse sowie über den sonstigen persönlichen und sozialen Hintergrund des (hier) jungen Erwachsenen hat, von sich aus die erforderlichen Informationen einbringen können, um die Entscheidungsgrundlage des Gerichts, insbesondere zur Sanktionsfrage, zu erweitern (Schroll in WK2 JGG § 40 Rz 2 mwN). Da die Vorsitzende die Hauptverhandlung in Abwesenheit des für den jungen Erwachsenen Stephan P***** im Verfahren AZ 142 Hv 34/06w des Landesgerichts für Strafsachen Wien bestellten Bewährungshelfers durchführte, ohne sich zuvor von der Zustellung der Ladung an diesen überzeugt zu haben, wurde das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 46a Abs 2, 40 JGG verletzt.
Für den Fall des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht hat gemäß § 494a Abs 3 erster Satz StPO zwingend auch die Anhörung des Bewährungshelfers des Angeklagten zu erfolgen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die sachverständige Bewertung der Lebensführung des Angeklagten durch den mit seiner Betreuung befassten Sozialarbeiter in die im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu erstellende Prognose über das künftige Verhalten des Angeklagten miteinfließt (11 Os 134/02 ua). Da dem Bewährungshelfer eine Ladung zur Hauptverhandlung am 23. Jänner 2007 nicht zugestellt wurde, hatte er demnach keine Möglichkeit zur Stellungnahme (vgl Jerabek in WK-StPO § 494a Rz 8).
Die Entscheidung über den Widerruf der im Verfahren AZ 142 Hv 34/06w des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Nachsicht eines Strafteils ohne vorangegangene Prüfung, ob die Ladung zur Hauptverhandlung dem Bewährungshelfer zugestellt worden war, erging sohin ohne Anhörung des Bewährungshelfers, sodass das Gesetz in der Bestimmung des § 494a Abs 3 erster Satz StPO verletzt ist. Fallbezogen konnte es mit dem Aufzeigen der Gesetzesverletzungen das Bewenden haben und erachtete der Oberste Gerichtshof eine Maßnahme im Sinn des § 292 letzter Satz StPO nicht für geboten. Denn eine Stellungnahme des Bewährungshelfers Herbert L***** hat insoweit in das Verfahren Eingang gefunden, als eine solche im Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe vom 27. Dezember 2006 enthalten war (S 91), der in der Hauptverhandlung vom 23. Jänner 2007 vorgetragen wurde (S 133), somit bei Urteilsfällung und Beschlussfassung Teil der Entscheidungsgrundlage war. Im Zusammenhalt mit dem Inhalt des in der Folge erstellten weiteren Berichts des Vereins Neustart vom 16. April 2007 (ON 65 in 142 Hv 34/06w des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) und den im konkreten Fall sachgerechten Sanktionen ist ein aus den Gesetzesverletzungen abzuleitender für den Verurteilten nachteiliger Einfluss im konkreten Fall nicht gegeben.
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