Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Elisabeth T***** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB, AZ 29 U 434/06v des Bezirksgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator gegen die Abwesenheitsurteile vom 2. Oktober 2006 (ON 6) und vom 20. November 2006 (ON 11) sowie mehrere Vorgänge in jenem Strafverfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:
I. Es verletzen das Gesetz
1. die Unterlassung der Zustellung der Hauptverhandlungsprotokolle an die Beschuldigte spätestens zugleich mit den Urteilsausfertigungen in § 271 Abs 6 letzter Satz StPO;
2. die Entscheidung über den Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil vom 2. Oktober 2006 ohne vorläufige Vernehmung des Anklägers in § 478 Abs 2 erster Satz StPO;
3. die in der Hauptverhandlung am 20. November 2006 vorgenommene Verlesung des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen Günther L***** in § 252 Abs 1 StPO;
4. der in den Abwesenheitsurteilen vom 2. Oktober 2006 (ON 5) und vom 20. November 2006 (ON 11) ohne Anhörung der Beschuldigten ergangene Zuspruch von 50 Euro an den Privatbeteiligten Günther L***** in § 365 Abs 2 zweiter Satz StPO.
II. Das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 20. November 2006 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Bezirksgericht verwiesen.
Gründe:
Im Strafverfahren gegen Elisabeth T***** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB, AZ 29 U 434/06v, führte das Bezirksgericht Salzburg am 2. Oktober 2006 die Hauptverhandlung gemäß § 459 StPO in Abwesenheit der Beschuldigten durch; diese war trotz eigenhändig zugestellter Ladung nicht erschienen.
Nach Vernehmung des Zeugen Günther L***** und Verlesung der Anzeige (ON 2) wurde Elisabeth T***** mit Abwesenheitsurteil vom 2. Oktober 2006 (ON 6) des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung eines - erst in der Hauptverhandlung begehrten - Geldbetrages von 50 Euro an den Privatbeteiligten Günther L***** verurteilt. Noch am selben Tag langte eine Entschuldigung der Elisabeth T***** bei Gericht ein, in der sie erklärte, dass es ihr wegen einer Erkrankung nicht möglich sei, an der Verhandlung teilzunehmen (ON 7). Am 3. Oktober 2006 verfügte der Bezirksrichter die Zustellung einer Urteilsausfertigung samt Rechtsbelehrung, nicht aber einer Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung, an die Beschuldigte (S 1 a verso).
Gegen das am 6. Oktober 2006 zugestellte Urteil (S 34) erhob Elisabeth T***** am 9. Oktober 2006 eine als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnete Berufung, in der sie (auch) vorbrachte, dass ihr ein Erscheinen zur Hauptverhandlung wegen eines Unfalles nicht möglich gewesen wäre (ON 8). Diesem als Einspruch zu wertenden Vorbringen gab das Bezirksgericht ohne Vernehmung des Anklägers Folge und ordnete gemäß § 478 Abs 3 StPO eine neue Hauptverhandlung für den 20. November 2006 an (S 1a verso und 1b).
Auch zu dieser Verhandlung (ON 10) erschien die Beschuldigte trotz durch Hinterlegung gehörig zugestellter Ladung nicht. Das Bezirksgericht Salzburg führte daher auch diese Hauptverhandlung gemäß § 459 StPO in Abwesenheit der Beschuldigten durch; das von der Sicherheitsbehörde aufgenommene Protokoll über die Vernehmung des Zeugen Günther L***** (S 13 f in ON 2) wurde verlesen (S 42). Mit Abwesenheitsurteil vom 20. November 2006 wurde Elisabeth T***** neuerlich des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt, zu einer Geldstrafe sowie ohne vorherige Anhörung zur Zahlung eines Betrages von 50 Euro an den Privatbeteiligten Günther L***** verurteilt. Beweiswürdigend stützte sich das Bezirksgericht auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben des genannten Zeugen (S 44 f).
Am 21. November 2006 verfügte der Richter die Zustellung einer Urteilsausfertigung mit Rechtsbelehrung (1b verso). Die Zustellung einer Protokollsausfertigung unterblieb wiederum.
Gegen das Abwesenheitsurteil richtete sich eine abermals mit einem Einspruchsvorbringen verbundene Berufung der Angeklagten, die unter anderem vorbrachte, durch einen Spitalsaufenthalt an der Verhandlungsteilnahme gehindert gewesen zu sein (ON 12). Der Einspruch wurde, da Elisabeth T***** den angegebenen Krankenhausaufenthalt in der Folge nicht nachweisen konnte, mit Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 2. Februar 2007 (ON 16) verworfen.
Über die Berufung wurde bisher nicht entschieden.
Das Vorgehen des Bezirksgerichtes Salzburg verletzt, wie der Generalprokurator in seiner deswegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:
1. Gemäß § 271 Abs 6 letzter Satz StPO idF der Strafprozessnovelle 2005 ist eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung den Parteien, soweit sie nicht darauf verzichtet haben, ehestmöglich, spätestens aber zugleich mit der Urteilsausfertigung zuzustellen (Danek, WK-StPO § 271 Rz 40). Indem das Bezirksgericht Salzburg der Angeklagten jeweils bloß die Urteile mit Rechtsmittelbelehrung zustellte, kam es dieser Verpflichtung nicht nach.
2. Vor der Entscheidung über den Einspruch hat das Bezirksgericht gemäß § 478 Abs 2 erster Satz StPO dem Ankläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Über den Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil vom 2. Oktober 2006 wurde jedoch gesetzwidrig ohne vorherige Vernehmung des Bezirksanwaltes erkannt.
3. Nach der gemäß § 458 Abs 5 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht geltenden Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da im vorliegenden Fall nach der Aktenlage keiner dieser Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung des Protokolls über die sicherheitsbehördliche Vernehmung des Zeugen Günther L***** in der Hauptverhandlung am 20. November 2006 unzulässig. Insbesondere kann aus dem Nichterscheinen der Beschuldigten zur Hauptverhandlung nicht deren Einverständnis im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO abgeleitet werden (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103; RIS-Justiz RS0117012). Die unzulässige Verlesung war nach der Beweiswürdigung des Bezirksgerichtes Grundlage des Schuldspruchs, sodass die Formverletzung der Angeklagten auch zum Nachteil gereichte.
4. Ebenso wenig war es zulässig, dem Privatbeteiligten den von ihm erst in der Hauptverhandlung vom 2. Oktober 2006 begehrten Betrag in Abwesenheit der Beschuldigten - somit ohne deren Anhörung - zuzusprechen. Bei der Vorschrift des zweiten Satzes des § 365 Abs 2 StPO, wonach der Beschuldigte über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen ist, handelt es um ein zwingendes Gebot, das dem Grundsatz des beiderseitigen Gehörs Rechnung trägt (Spenling, WK-StPO § 365 Rz 28).
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