Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef B*****, vertreten durch Dr. Gerald Wildfellner und andere Rechtsanwälte in Grieskirchen wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, wegen EUR 11.000 sA über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2003, GZ 3 R 195/03x-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 21. August 2003, GZ 4 Cg 262/02z-8, aufgehoben wurde, den Beschluss
gefasst:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung der klagenden Partei bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
Am 7. 7. 1989 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker, Halter und Eigentümer eines Motorrades und ein bei der beklagten Partei haftpflichtversicherter Pkw beteiligt waren. Der Unfall wurde allein vom Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges verschuldet.
In einem Vorprozess begehrte der Kläger unter anderem die Zahlung von Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen kausalen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 7. 7. 1989. Über das Feststellungsbegehren erging ein Teilanerkenntnisurteil. Mit Endurteil wurde die beklagte Partei zur Zahlung von Schmerzengeld verurteilt, jedoch ein weiteres Schmerzengeldbegehren des Klägers über 90.000 S abgewiesen. In der Begründung dieser Entscheidung wurde die Negativfeststellung getroffen, es könne nicht festgestellt werden, ob Beschwerden des Klägers in der rechten Schulter auf das Unfallereignis zurückzuführen seien oder nicht (in diesem Fall hätte der Kläger weitere ein bis zwei Wochen mittelstarke und vier bis sechs Wochen leichte Schmerzen erlitten).
Das Rechtsmittelgericht übernahm die negative Feststellung als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger einen weiteren Schadenersatz von EUR 11.000 aus dem Verkehrsunfall vom 7. 7. 1989. Er machte geltend, die vorhandenen Beschwerden in der rechten Schulter seien auf den Unfall zurückzuführen. Die Beeinträchtigungen, die im angeführten Urteil des Erstgerichtes des Vorprozesses noch nicht berücksichtigt seien, rechtfertigten ein Schmerzengeld von EUR 8.000. Weiters stünde ihm ein Verdienstentgang von EUR 1.500 und stünden ihm auch Spesen in dieser Höhe zu.
Die beklagte Partei wendete ein, die negative Feststellung, dass eine Verletzung im Bereich der rechten Schulter nicht als Unfallfolge festgestellt werden könne, hindere den Kläger, diese seinerzeit zu seinem Ungunsten entschiedene Frage neu aufzurollen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat die Ansicht, das Urteil des Vorprozesses bewirke eine (negative) Feststellungswirkung bezüglich der Kausalität der Beschwerden in der rechten Schulter.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.
Zur Frage der Bindungswirkung führte das Berufungsgericht aus, dabei handle es sich um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft. Die Rechtkraftwirkung eines Urteiles erstrecke sich grundsätzlich nur auf den Spruch. Die Gründe der Entscheidung blieben von der Bindungswirkung gewöhnlich ausgegrenzt (RIS-Justiz RS0041357). Die Feststellung von Tatsachen erfolge in jedem Rechtsstreit ohne Bindung an die Beurteilung in einem Vorprozess (RIS-Justiz RS0036826). Nur soweit es für die Individualisierung des Anspruches und dessen Tragweite erforderlich sei, seien auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RIS-Justiz RS0041357).
Im vorliegenden Fall sei nach dem Feststellungsurteil für alle künftigen kausalen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 7. 7. 1989 zu haften. Für welche Schäden der Verkehrsunfall ursächlich gewesen sei, könne und müsse im Folgeprozess daher überprüft werden. Eine Heranziehung der Entscheidungsgründe zur Auslegung des Spruches sei in diesem Zusammenhang nicht geboten, weil der Spruch insoweit keiner Individualisierung bedürfe (SZ 69/54). Bezüglich des Leistungsbegehrens bedürfe der Spruch des Urteils im Vorprozess ebenfalls keiner weiteren Individualisierung als dahin, dass sowohl im klagsstattgebenden als auch im klagsabweisenden Teil über den Schmerzengeldanspruch des Klägers abgesprochen worden sei und einer Globalbemessung entgegenstehende Einschränkungen nicht erfolgt seien. Es sei daher im vorliegenden Fall eine Bindung einer negativen Feststellung des Vorprozesses über die Frage der Unfallskausalität der Schulterbeschwerden des Klägers zu verneinen. Vielmehr sei diese Frage insoweit neuerlich zu prüfen, soweit über weitere (darauf gestützte) Ansprüche des Klägers zu entscheiden sei. Dem Vorbringen des Klägers sei das Verständnis zugrundezulegen, er mache Verdienstentgang und Spesen für Zeiten nach der Entscheidung des Vorprozesses geltend und gehe auch bezüglich des Schmerzengeldanspruches davon aus, dass dieser für nachher entstandene Schmerzen begehrt werde.
Das Verfahren erweise sich daher hinsichtlich der erforderlichen Klärung der Unfallskausalität der Schulterbeschwerden, soweit der Kläger damit zusammenhängend weitere Ansprüche auf Verdienstentgang und Spesenersatz von jeweils 1.500 EUR geltend mache als mangelhaft, weil die dazu vom Kläger beantragten Beweise nicht aufgenommen worden seien. Aber auch bezüglich des weiteren Schmerzengeldbegehrens bedürfe es einer Erörterung. Auszugehen sei davon, dass der Einklagung eines weiteren Schmerzengeldes (für weitere Schmerzen) mangels Identität des Anspruches nicht das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache entgegenstehe. Eine Teileinklagung von Schmerzengeld sei aber nur ausnahmsweise zulässig und zwar dann, wenn Schmerzen bei der ersten Bemessung nicht vorhersehbar oder in ihrem Ausmaß nicht abschätzbar gewesen seien und daher das Schmerzengeld nicht zur Gänze beurteilt worden sei. Der Kläger habe daher nicht nur die Unfallskausalität der (weiteren) Schulterbeschwerden zu behaupten und zu beweisen, sondern müsse auch die besonderen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung behaupten und beweisen, mithin, dass es sich nun um nicht vorhersehbar gewesene oder um solche Schmerzen handle, die in ihrem Ausmaß nicht abschätzbar gewesen seien. Ein derartiges Tatsachenvorbringen habe der Kläger allerdings bisher nicht erstattet. Gemäß dem durch die ZVN 2002 eingefügten § 182a ZPO habe das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern. Dies gelte auch für das Berufungsverfahren. Im vorliegenden Fall sei auch hinsichtlich des weiteren Schmerzengeldbegehrens die Entscheidung des Erstgerichtes aufzuheben, weil die Frage der Zulässigkeit einer ergänzenden Schmerzengeldbemessung vom Kläger nicht für entscheidungserheblich erachtet worden sei.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zu § 182a ZPO allgemein und der Anwendung dieser Bestimmung im Berufungsverfahren im Besonderen eine höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht ersichtlich sei. Auch bezüglich der Frage der Bindungswirkung sei zuletzt in der Entscheidung 1 Ob 35/02g betont worden, dass zu der nicht immer einheitlich beurteilten Frage der objektiven Grenzen der Rechtskraft in Gestalt der Bindungswirkung von Vorentscheidungen nicht abschließend Stellung genommen werden müsse, was die hier zugrunde gelegte Rechtsansicht und Rechtsprechung wiederum in Frage zu stellen scheine.
Gegen den Beschluss des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei als unzulässig zurückzuweisen; in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.
Was die Frage der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 182a ZPO betrifft, ist darauf nicht einzugehen, weil sie im Rechtsmittel der beklagten Partei nicht releviert wird.
Zur Frage der Bindungswirkung an Feststellungen in einem Vorprozess ist auf die in der Entscheidung des Berufungsgerichtes wiedergegebene Rechtsprechung zu verweisen. Der Oberste Gerichtshof hat ergänzend dazu erst jüngst in der Entscheidung vom 20. Jänner 2004, 4 Ob 252/03t ausgeführt, dass sich die materielle Rechtskraft auf die Tatsachenfeststellungen soweit erstrecke, als diese der Individualisierung des Urteilsspruchs dienten, genauer gesagt: als diese zur Individualisierung des Spruchs notwendig seien. Maßgebend sei, ob die im Vorprozess getroffenen Feststellungen für das Ergebnis der dort gefällten Entscheidung notwendig gewesen seien oder ob auch bei Wegfall dieser Tatsachenannahmen das gleiche Prozessergebnis erzielt worden wäre. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht dieser jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Dass in der Entscheidung 1 Ob 35/02g zur Frage der objektiven Grenzen der Rechtskraft in Gestaltung der Bindungswirkung von Vorentscheidungen nicht abschließend Stellung genommen worden sei, vermag daran nichts zu ändern.
Auch sonst werden im Rechtsmittel der beklagten Partei keine erheblichen Rechtsfragen dargetan. Die Frage, wie das Vorbringen des Klägers zu verstehen ist und ob er "weitere" Ansprüche als im Vorprozess geltend macht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, weshalb auch insoweit grundsätzlich die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind.
Es war daher der Rekurs des Klägers zurückzuweisen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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