Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günther Degold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ljubinko M*****, Pensionist, ***** Serbien und Montenegro, vertreten durch Dr. Friedrich Schubert, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Leistungen aus der Pensionsversicherung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 2003, GZ 7 Rs 100/03g 23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. November 2002, GZ 34 Cgs 111/02s 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Revision des Klägers wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der am 30. 5. 1924 geborene Kläger ist Staatsbürger von Serbien und Montenegro und hat dort auch seinen Wohnsitz. Er war vom 20. 7. 1943 bis 26. 8. 1944 in Wien als Hilfsarbeiter tätig und erwarb von August 1943 bis August 1944 dreizehn Versicherungsmonate in Österreich. Von September 1944 bis zu seiner Befreiung durch die US Truppen am 29. 4. 1945 befand er sich in Schutzhaft im Konzentrationslager Dachau. Ab diesem Zeitpunkt war der Kläger, außer kurzfristig im Zeitraum 1972 1974, in dem er weitere drei Beitragsmonate der Pflichtversicherung in Österreich erwarb, nicht mehr in Österreich aufhältig.
Mit Bescheid vom 21. 6. 2002 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer österreichischen Pension aus der nach dem ASVG geregelten Pensionsversicherung zum Stichtag 1. 8. 2001 mit der Begründung abgelehnt, dass er in der österreichischen Pensionsversicherung insgesamt nur drei Versicherungsmonate erworben habe. Die von August 1943 bis August 1944 erworbenen 13 österreichischen Versicherungsmonate fielen gemäß Art 36 Abs 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über Soziale Sicherheit in die Versicherungslast der Bundesrepublik Jugoslawien. Somit lägen nicht mindestens 12 Versicherungsmonate vor, die für den Anspruch einer österreichischen Teilpension erforderlich seien.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab, wobei es sich in rechtlicher Hinsicht der Argumentation der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid anschloss.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Nach Art 20 Abs 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit, BGBl III 2002/100, seien Versicherungszeiten, die insgesamt nicht 12 Monate für die Berechnung der Leistung erreichen, nicht zu berücksichtigen, womit jedenfalls die drei zwischen 1972 und 1974 erworbenen Pflichtversicherungsmonate ausscheiden würden. Gemäß Art 36 Abs 1 des Abkommens habe die Republik Österreich alle Anwartschaften und Ansprüche von Personen übernommen, die am 1. 1. 1956 österreichische Staatsangehörige gewesen seien oder die nach den österreichischen Rechtsvorschriften für den Bereich der Sozialversicherung als Volksdeutsche anerkannt gewesen seien, vorausgesetzt, dass sich die betreffenden Personen am 1. 1. 1956 im Gebiet der Republik Österreich nicht nur vorübergehend aufgehalten haben, soweit diese Anwartschaften und Ansprüche aufgrund von vor dem 1. Jänner 1956 in der ehemaligen jugoslawischen Sozialversicherung (Pensions- und Invaliditätsversicherung) zurückgelegten Versicherungszeiten entstanden seien. Nach Art 36 Abs 2 des Abkommens übernehmen die Träger in der Bundesrepublik Jugoslawien alle Anwartschaften und Ansprüche von jugoslawischen Staatsangehörigen, die als jugoslawische Staatsangehörige am 1. Jänner 1956 ihren Wohnort im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gehabt hätten, soweit diese Anwartschaften und Ansprüche aufgrund der vor dem 1. Jänner 1956 in der österreichischen Sozialversicherung (Pensions- oder Unfallsversicherung) zurückgelegten Versicherungszeiten entstanden seien.
Auch wenn keine Feststellung zum Aufenthaltsort des Klägers am 1. 1. 1956 getroffen worden sei, spreche die Faktizität doch für einen Aufenthalt des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt in Jugoslawien; auch in der Berufung werde gar nicht behauptet, dass der Aufenthalt des Klägers nicht im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gelegen sei. Im Übrigen erweise sich dies aber schon deshalb als irrelevant, weil jedenfalls die Voraussetzungen der österreichischen Versicherungslastübernahme nach Art 36 Abs 1 des Abkommens keinesfalls vorlägen. Die 13 von August 1943 bis August 1944 erworbenen Monate seien von den jugoslawischen Trägern mit in deren Pensionsberechnung einzubeziehen, weshalb es zu keiner Berechnung einer österreichischen Teilleistung nach Art 22 des Abkommens komme.
Die ordentliche Revision sei zulässig, da - soweit überblickbar - zur gegebenen Fallkonstellation unter Berücksichtigung des "neuen" Abkommens eine Judikatur des OGH noch nicht vorhanden sei.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
Nach dem hier anzuwendenden Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 5. 6. 1998, BGBl III 2002/100, werden für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen auch Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats vor In Kraft Treten dieses Abkommens zurückgelegt worden sind (Art 35 Abs 2 AbkSozSi Jugoslawien). Die Leistungsfeststellung im Bereich der Pensionsversicherung erfolgt unter Zusammenrechnung der in den beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten (Art 19 AbkSozSi Jugoslawien), soweit in einem Vertragsstaat mindestens 12 Versicherungsmonate vorliegen (Art 20 AbkSozSi Jugoslawien).
In seinen Übergangs- und Schlussbestimmungen enthält das AbkSozSi Jugoslawien folgenden mit "Vericherungslastregelungen" überschriebenen Artikel 36 (Absätze 1 und 2):
"(1) Die Träger in der Republik Österreich übernehmen alle Anwartschaften und Ansprüche von Personen, die am 1. Jänner 1956 österreichische Staatsangehörige waren oder die nach den österreichischen Rechtsvorschriften für den Bereich der Sozialversicherung als Volksdeutsche anerkannt werden, vorausgesetzt, dass sich die betreffenden Personen am 1. Jänner 1956 im Gebiet der Republik Österreich nicht nur vorübergehend aufgehalten haben, soweit diese Anwartschaften und Ansprüche auf Grund der vor dem 1. Jänner 1956 in der ehemaligen jugoslawischen Sozialversicherung (Pensions- oder Invaliditätsversicherung) zurückgelegten Versicherungszeiten entstanden sind.
(2) Die Träger in der Bundesrepublik Jugoslawien übernehmen alle Anwartschaften und Ansprüche von jugoslawischen Staatsangehörigen, die als jugoslawische Staatsangehörige am 1. Jänner 1956 ihren Wohnort im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hatten, soweit diese Anwartschaften und Ansprüche auf Grund der vor dem 1. Jänner 1956 in der österreichischen Sozialversicherung (Pensions- oder Unfallversicherung) zurückgelegten Versicherungszeiten entstanden sind."
Nach ihrer Diktion und ihrem Inhalt regeln diese beiden Absätze nicht etwa einen Ausgleich zwischen den Vertragsstaaten bzw deren Trägern, sondern die Frage, ob ein Anspruch des individuellen Versicherten gegenüber den Trägern eines der beiden Vertragsstaaten aus Zeiten besteht, die vor dem 1. 1. 1956 im Sozialversicherungssystem eines der beiden Vertragsstaaten - und zwar im jeweils anderen - entstanden sind. Auch in den Entscheidungen SSV NF 1/52 und 4/36 (jeweils zum AbkSozSi BRD) wurde der Begriff der Versicherungslast so verstanden, dass es um die Möglichkeit der Geltendmachung von Versicherungszeiten durch den Versicherten gegen den Träger eines der beiden Vertragsstaaten geht.
Die vom Berufungsgericht als Zusatzbegründung geäußerte Ansicht, die 13 vom Kläger im Zeitraum von August 1943 bis August 1944 erworbenen Monate seien von den jugoslawischen Trägern mit in deren Pensionsberechnung einzubeziehen, weil die Voraussetzungen der österreichischen Versicherungslastübernahme nach Art 36 Abs 1 des Abkommens nicht vorlägen, übersieht, dass Art 36 Abs 1 Abk SozSi Jugoslawien nur die Übernahme von Anwartschaften regelt, die in der ehemaligen jugoslawischen Sozialversicherung entstanden sind. Für Zeiten, die vor dem 1. 1. 1956 in der österreichischen Sozialversicherung zurückgelegt wurden, gilt in Bezug auf die Übernahme von Anwartschaften und Ansprüchen nur Art 36 Abs 2 des Abkommens, der auf die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz zum 1. 1. 1956 abstellt. Nun mag es richtig sein, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Kläger zum 1. 1. 1956 die jugoslawische Staatsangehörigkeit inne hatte und auch seinen Wohnort im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hatte. Da diesbezüglich aber Feststellungen fehlen, bedarf es einer entsprechenden Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage.
Bestätigen sich die jugoslawische Staatsangehörigkeit des Klägers und sein Wohnort im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien (jeweils zum 1. 1. 1956), kann der Kläger seinen Anspruch nicht auf vor dem 1. 1. 1956 in der österreichischen Sozialversicherung zurückgelegte Zeiten stützen. Dies würde auch für die im Konzentrationslager Dachau zugebrachten Zeiten gelten, sofern diese - wie der Kläger behauptet - als in der österreichischen Sozialversicherung zurückgelegt zu gelten haben.
Treffen die in Art 36 Abs 2 AbkSozSi Jugoslawien genannten Voraussetzungen in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Wohnsitz für den Kläger nicht zu, sind die Anwartschaften und Ansprüche des Klägers aus vor dem 1. 1. 1956 zurückgelegten Zeiten nach dem nationalen österreichischen Recht zu beurteilen Die Sonderregelung des Art 20 AbkSozSi Jugoslawien für Versicherungszeiten unter einem Jahr kann in diesem Fall nicht angewendet werden, hat der Kläger doch allein im Zeitraum von August 1943 bis August 1944 dreizehn für die Berechnung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben.
Ob auch die Zeiten, die der Kläger in Schutzhaft im Konzentrationslager Dachau zurückgelegt hat, im Sinne der §§ 500 ff ASVG als Versicherungszeiten anzusehen sind, kann nicht vom Gericht beurteilt werden. Diese Bestimmungen stellen einerseits auf den in § 500 ASVG genannten Personenkreis, andererseits auf bestimmte diesen Personenkreis benachteiligende Vorgänge ab (ausführlich dargelegt zB in SZ 69/175 = SSV NF 10/75). Ob der Kläger die angeführten Voraussetzungen erfüllt, ist vom Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren zu klären (§ 506 ASVG); die Entscheidung unterliegt dem verwaltungsbehördlichen Rechtszug (SSV NF 6/5).
Für den Fall, dass eine Leistung aus der österreichischen Pensionsversicherung in Betracht kommt, ist letztlich auch noch nicht klargestellt, welche Leistung aus der österreichischen Sozialversicherung der Kläger überhaupt in Anspruch nehmen will und ob für diese Leistung weitere Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssen.
Da es zur Klärung der Staatsangehörigkeit und des Wohnorts des Klägers zum 1. 1. 1956, allenfalls weiterer Anspruchsvoraussetzungen einer Verhandlung bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache ist an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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