Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Mai 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burtscher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roland H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB, GZ 2 U 6/00t-20 des Bezirksgerichtes Oberndorf bei Salzburg, über die vom Generalprokurator gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 5. Juni 2002, AZ 43 Bl 28/02 (= ON 20), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Verteidigers Dr. Auer, jedoch in Abwesenheit des freigesprochenen Angeklagten zu Recht erkannt:
In der Strafsache gegen Roland H*****, AZ 2 U 6/00t des Bezirksgerichtes Oberndorf bei Salzburg, verletzt das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 5. Juni 2002, AZ 43 Bl 28/02 (ON 20 des U-Aktes), mit dem in Stattgebung der Berufung des Angeklagten das Urteil des genannten Bezirksgerichtes vom 19. September 2001 (ON 13 des U-Aktes) aufgehoben und Roland H***** vom Vorwurf des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde, § 90h Abs 1 erster Satz und Abs 2 StPO.
Gründe:
Auf Grund der Anzeige des Gendarmeriepostens Lamprechtshausen vom 26. Jänner 2000 lag Roland H***** zunächst das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zur Last, weil er am 11. Dezember 1999 in Bürmoos als Lenker des Pkw BMW 325 TD mit dem Kennzeichen ***** den Fußgänger Georg R***** übersehen, mit seinem Fahrzeug niedergestoßen und schwer verletzt hatte. Die Staatsanwaltschaft Salzburg bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine diversionelle Erledigung nach § 90a StPO und bot Roland H***** gemäß § 90c StPO den Rücktritt von der Verfolgung nach Entrichtung einer Geldbuße an, welche in der Folge (in Teilbeträgen) bis zum 7. Juni 2000 auch zur Gänze bezahlt wurde. Nachdem die Anklagebehörde am 14. Juli 2000 verständigt worden war, dass Georg R***** bereits am 31. Mai 2000 an den Spätfolgen des Verkehrsunfalls verstorben (ON 5) und damit die im § 90a Abs 2 Z 3 StPO genannte Voraussetzung für eine Diversion weggefallen war (S 51), trat sie nicht gemäß § 90c Abs 5 StPO von der Verfolgung zurück, sondern brachte am 4. Juli 2001 beim Bezirksgericht Oberndorf bei Salzburg (AZ 2 U 6/00t) nach Abgabe der Erklärung auf Fortsetzung des Verfahrens "gemäß § 90h Abs 2 StPO" wegen des nunmehrigen Verdachtes des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB einen entsprechenden Bestrafungsantrag gegen Roland H***** ein (S 1b bis 1c).
Mit Urteil dieses Bezirksgerichtes vom 19. September 2001 (ON 13) wurde H***** im Sinne des erwähnten Bestrafungsantrages schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
In Stattgebung seiner dagegen erhobenen Berufung hob das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 5. Juni 2002, AZ 43 Bl 28/02 (ON 20 des U-Aktes), das erstgerichtliche Urteil "als nichtig" auf und sprach H***** von dem wider ihn erhobenen Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO mit der Begründung frei, dass nach Einleitung oder Durchführung von Diversionsmaßnahmen das Strafverfahren nur unter den im § 90h Abs 2 Z 1 bis 3 StPO genannten Fällen formlos eingeleitet oder fortgesetzt werden dürfe. Da aber hier keiner dieser Fälle vorliege, hätte die Anklagebehörde die Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den engen Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme beantragen und die Entscheidung des Gerichts darüber verlangen können.
Das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 5. Juni 2002 steht - wie der Generalprokuratur in seiner dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 90h Abs 1 erster Satz StPO ist nach einem nicht bloß vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung des Verdächtigen im Sinne des die Diversion regelnden IXa. Hauptstückes eine Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme zulässig. Hingegen hat der Staatsanwalt während einer bereits laufenden diversionellen Erledigung das Strafverfahren in den im § 90h Abs 2 StPO genannten Fällen formlos einzuleiten oder fortzusetzen.
Das Gesetz enthält jedoch keine ausdrückliche Regelung, wie zu verfahren ist, wenn im Rahmen eines schwebenden Diversionsverfahrens - also nach dem Diversionsanbot oder nach einem bloß vorläufigen Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung oder nach einer bloß vorläufigen Verfahrenseinstellung durch das Gericht - Umstände eintreten, die den Wegfall der im § 90a Abs 2 Z 1 bis 3 StPO genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen bedeuten. So etwa, wenn sich auf Grund einer Änderung der Sachlage herausstellt, dass die Tat in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichtes fällt, das Verschulden des Täters als schwer einzustufen ist oder - wie hier - die Tat nachträglich den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. Auch in diesen Fällen kann trotz des bereits eingeleiteten Diversionsverfahrens das Strafverfahren formlos eingeleitet oder fortgesetzt werden.
Zunächst ergibt sich schon aus § 90h Abs 1 StPO, wonach nur die Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens nach einem nicht bloß vorläufigen Verfolgungsrücktritt die ordentliche Wiederaufnahme erfordert, dass in allen anderen Fällen das Strafverfahren eingeleitet oder fortgesetzt werden kann. Dem steht auch die Bestimmung des § 90h Abs 2 Z 1 bis 3 StPO nicht entgegen, weil diese bloß eine prozessuale Sonderregelung für Fälle enthält, in denen der Verdächtige dem von ihm angenommenen Diversionsanbot nicht entspricht oder gegen ihn wegen einer neuen oder neu hervorgekommenen Straftat (15 Os 27, 60/02) Anklage erhoben wird. Die Zulässigkeit der formlosen Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens in sonstigen Fällen während eines nicht offenen Diversionsverfahrens wird damit nicht ausgeschlossen.
Die Bindung der Staatsanwaltschaft an ihren - eine "bestimmte strafbare Handlung" (gemeint: Straftat) (§ 90c Abs 4 StPO) betreffenden - Diversionsvorschlag und an den vorläufigen Rücktritt oder an die vorläufige Einstellung (Immutabilitätsprinzip) kann nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nur dort in Frage kommen, wo eine Diversion nach § 90a Abs 2 StPO zulässig bleibt. Der Entfall ihrer Zulässigkeit - wie hier - bedingt dagegen auch jenen einer solchen Bindungswirkung im Sinne eines Vertrauensschutzes für den Verdächtigen. Ließe man in solchen Fällen nur die ordentliche Wiederaufnahme zu, hätte dies zur Folge, dass das Diversionsverfahren trotzdem bis zum endgültigen Rücktritt oder zur endgültigen Einstellung fortgesetzt werden müsste, aber dann die eine Zulässigkeit der Diversion ausschließenden Umstände, welche ja schon während des Diversionsverfahrens bekannt geworden sind - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt eines solchen Rücktritts oder einer solchen Einstellung - keine neuen Beweismittel im Sinne des § 352 Abs 1 StPO darstellen würden. Ein derartiges, rechtspolitisch inakzeptables Ergebnis stünde mit dem aus § 90h Abs 1 StPO iVm § 352 Abs 1 StPO ableitbaren Grundsatz einer Aufhebung der Bindewirkung des Staatsanwalts bei nachträglichem Wegfall der Diversionsvoraussetzungen des § 90a Abs 2 StPO nicht im Einklang. Demgemäß ist davon auszugehen, dass eine ohne die Förmlichkeit der Wiederaufnahme (vgl dagegen § 363 StPO: "Bedingungen und Förmlichkeiten") vorzunehmende Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 90h Abs 2 StPO auf Grund einer offensichtlich planwidrigen Gesetzeslücke (die Materialien enthalten keine Hinweise auf die hier zu lösende Fallkonstellation) zulässig ist. Dies jedoch nur unter der weiteren Voraussetzung, dass jene Tatsachen, die die Unzulässigkeit eines diversionellen Verfahrens zur Folge haben, im Zeitpunkt der Stellung des Diversionsanbots oder des vorläufigen Rücktritts von der Verfolgung oder der Einstellung des Verfahrens noch nicht bekannt gewesen sein dürfen (vgl Hinterhofer, RZ 2003, 74 ff). Die aufgezeigte Gesetzesverletzung war daher festzustellen, ihr jedoch keine konkrete Wirkung zuzuerkennen, weil sich die gesetzwidrige Vorgangsweise des Berufungsgerichtes zum Vorteil des Angeklagten auswirkte (§ 292 letzter Satz StPO).
Dem nicht näher substantiierten Einwand in einer gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung (eine Gesetzesauslegung im Sinne der Ausführungen der Generalprokuratur stelle auch einen Verstoß gegen Art 4 des 7. ZPEMRK dar) genügt es zu erwidern, dass Abs 2 leg cit die Wiederaufnahme des Strafverfahrens ausdrücklich vorsieht, was gerade im konkreten Fall geschieht.
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