Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Krüger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Pardeep K***** wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. April 2000, GZ 4b Vr 984/00-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Pardeep K***** wurde des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (1.), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 StGB (2.), des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (3.), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (4.) und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (5.) schuldig erkannt.
Danach hat er "am 22. 8. 1999 in Wien
1. eine unbekannte Frau mit Gewalt, indem er sie gegen ein Geländer drückte und ihr die Unterhose herunterriss, zur Duldung geschlechtlicher Handlungen zu nötigen versucht;
2. dadurch, dass er in Gegenwart von fünf unbekannten Kindern im Alter zwischen acht und zehn Jahren, mithin noch nicht Sechzehnjährigen, seinen Geschlechtsteil entblößte und sich selbst befriedigte, eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor unmündigen Personen vorgenommen, um sich geschlechtlich zu befriedigen;
3. dadurch, dass er den Polizeibeamten Insp. Kurt S***** und Insp. Roland E*****, die im Begriff standen, ihn festzunehmen, mehrere Tritte versetzte bzw versetzen wollte, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht;
4. ca Mitte Dezember 1999 Susanne H***** mit Gewalt, indem er sie an den Armen festhielt, zur Duldung des Beischlafs genötigt und
5. am 30. Jänner 2000 eine Flasche Wodka Verfügungsberechtigten der Firma B***** mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern."
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 8, 9 lit a, 9 lit b und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Schon der Einwand (Z 8), wonach das Urteil die Anklage gegen die Vorschrift des § 263 StPO überschritten habe, weil "deren Ausdehnung" auf den unter ein strengeres als das Strafgesetz, das auf die in der Anklageschrift angeführten strafbaren Handlungen anzuwenden wäre, fallenden Vorwurf des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (Schuldspruchfaktum 4.) in der Hauptverhandlung am 28. Februar 2000 "nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich gewesen wäre", geht ins Leere. Denn nur wenn der Angeklagte seine Zustimmung zur Ausdehnung der Verhandlung und des Urteils (nicht der Anklage) ausdrücklich versagt ("Verweigert in einem solchen Fall der Angeklagte seine Zustimmung zur sofortigen Aburteilung ..." - § 263 Abs 2 StPO), darf das Gericht über die Tat, auf die die Anklage in der Hauptverhandlung ausgedehnt wurde, nicht sofort erkennen. Der ausdrücklichen Zustimmung des Angeklagten zur sofortigen Aburteilung der hinzugekommenen Tat bedarf es dagegen nicht. Hiefür genügt es, dass sich der Angeklagte (wie hier - 245 ff) zur ausgedehnten Anklage ohne Vorbehalt verantwortet (Mayerhofer StPO4 § 263 EGr 83).
Unter einer geschlechtlichen Handlung im Sinne des § 202 StGB ist jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung zu verstehen, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist, sodass in ihr eine unzumutbare, sozial störende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich zu erblicken ist (Steininger Komm3 § 202 StGB RN 5).
Diesen Anforderungen entspricht das zum Schuldspruchfaktum des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung (1.) als erwiesen angenommene tatspezifisch absichtliche Hochheben des Rocks und Herunterreissen der Unterhose einer dem Angeklagten völlig fremden Frau in der Öffentlichkeit (US 7, 14). Daher erweist sich die Beschwerde auch nicht als zielführend, soweit sie ausreichende Feststellungen zu den objektiven Tatbestandserfordernissen geschlechtlicher Nötigung vermisst und dazu die fehlende Konkretisierung der vom Angeklagten beabsichtigten - allenfalls gar nicht sexualbezogenen - Handlungen kritisiert. Sie lässt damit nämlich eine umfassende Orientierung am Urteilsinhalt (den das Erstgericht rechtsirrig und den Beschwerdeführer insoweit favorisierend als Versuch beurteilte, während er rechtsrichtig als Vollendung des inkriminierten Vergehens zu werten ist) und damit eine prozessordnungsgemäße Ausführung des dazu geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes vermissen.
Gleiches gilt für die zu den Schuldspruchfakten 2. - Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 StGB - und 4. - Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB - erhobenen Rechtsrügen (Z 9 lit a), die abermals dazu wesentliche Urteilsannahmen übergehen.
Der Beschwerdeführer zitiert zunächst zum Faktum 2. korrekt Steininger Komm3 § 208 RN 12, wonach es dem Täter darauf ankommen muss (Absicht im Sinn des § 5 Abs 2 StGB), die Handlung vor dem Schutzobjekt vorzunehmen, um dadurch sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen. In weiterer Folge ignoriert er aber die dazu - entgegen dem Beschwerdestandpunkt - mängelfrei getroffenen erstgerichtli- chen Konstatierungen zu den subjektiven Tatbestandserfordernissen, wonach sich der Angeklagte, nachdem die Kinder auf ihn aufmerksam geworden waren, entblößte, sodann (mit bedingtem Vorsatz hinsichtlich der tatspezifischen Gefährdungseignung) zu onanieren begann, dabei die Intention (= Absicht) hatte, sich geschlechtlich zu befriedigen (US 7 f) .... und das Onanieren vor acht- bis zehnjährigen Kindern keinen anderen Zweck haben konnte, als sich dadurch geschlechtlich zu befriedigen (US 14 f).
Nicht anders verhält es sich mit dem den Gewalteinsatz problematisierenden, zum Schuldspruchfaktum 4. erhobenen Einwand, im Urteil finde sich "nur die Feststellung, dass Frau H***** keine Gegenwehr setzte und den Geschlechtsakt einfach über sich ergehen ließ". Denn im gegebenen Kontext übergeht die Beschwerde die weiteren Urteilsannahmen, dass der Angeklagte die WC-Türe aufdrückte, das WC-Abteil nach dem Opfer betrat, die Türe hinter sich verriegelte (damit dem Opfer die persönliche Freiheit entzog - § 201 Abs 2 StGB) und es in der Folge zur Wand drückte (US 10).
Auch die die rechtliche Beurteilung des vom Erstgericht angenommenen versuchten Diebstahls (Faktum 5.) als versuchte Entwendung anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt eine gesetzmäßige Ausführung, weil sie bloß unter Hinweis darauf, "dass der Angeklagte dem Alkohol zugeneigt, ohne Beschäftigung, Unterstand und Einkommen ist", zur Tatbegehung unter dem relevierten Aspekt der Befriedigung eines Gelüstes, also eines im Tatzeitpunkt gegenwärtigen Bedürfnisses, das der Täter sofort oder doch zumindest alsbald befriedigen will, zwangsläufig (weil tatsächlich aus dem Akteninhalt nicht ableitbar) jede Bezugnahme auf konkrete Verfahrensergebnisse in dieser Richtung unterlässt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285a, 285d StPO).
Daraus resultiert die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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