Der Oberste Gerichtshof hat am 12. September 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter A***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hainburg an der Donau vom 28. Juli 1998, GZ U 10/98a-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hainburg an der Donau vom 28. Juli 1998, GZ U 10/98a-20, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des Art XVI lit c des Vertrages vom 20. Juni 1994 zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die Ergänzung des europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl 1996/28.
Diese Strafverfügung wird aufgehoben und das Strafverfahren gegen Peter A***** wegen der Vergehen nach §§ 88 Abs 1, 94 Abs 1 StGB, AZ U 10/98a des Bezirksgerichtes Hainburg an der Donau, gemäß § 451 Abs 2 StPO eingestellt.
Gründe:
In einer an das Bezirksgericht Hainburg an der Donau zum AZ U 254/95 (U 10/98a) erstatteten Verkehrsunfallanzeige des Gendarmeriepostens Bad Deutsch Altenburg wird dem slowakischen Staatsangehörigen Peter A***** vorgeworfen, am 25. September 1995 im Gemeindegebiet von Petronell durch Vornahme eines Überholmanövers unter Missachtung des Gegenverkehrs einen Verkehrsunfall verschuldet und dadurch fahrlässig zwei Personen leicht am Körper verletzt und es sodann unterlassen zu haben, den Verletzten die erforderliche Hilfe zu leisten (ON 2).
Über Ersuchen der Staatsanwaltschaft Wien vom 3. Juli 1996, AZ 55 Nst 90122/96, um Übernahme der Strafverfolgung leiteten die slowakischen Justizbehörden gegen Peter A***** wegen dieser Taten ein Strafverfahren ein (ON 12). Mit Beschluss vom 20. April 1997 legte das Bezirksamt für Untersuchungen der Polizei in Bratislava III 10 nach Durchführung von Erhebungen die Sache zurück, weil dem Beschuldigten ein Verstoß gegen die geltenden Straßenverkehrsvorschriften nicht nachgewiesen werden konnte. Nach einer Mitteilung des Generalprokurators der Slowakischen Republik vom 15. Oktober 1997 ist diese (einer Beschwerde zugängliche) Entscheidung in Rechtskraft erwachsen (ON 16).
Ungeachtet dieser aktenkundigen Verfahrensergebnisse erkannte das Bezirksgericht Hainburg an der Donau auf Grund des Bestrafungsantrages des Bezirksanwaltes vom 30. Jänner 1998 (ON 17) Peter A***** mit Strafverfügung vom 28. Juli 1998 (ON 20) der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und des Imstichlassen eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Diese Strafverfügung ist seit 29. Dezember 1998 rechtskräftig.
Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hainburg an der Donau vom 28. Juli 1998 steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Denn nach Art XVI lit c des am 1. Februar 1996 in Kraft getretenen Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl 1996/28, sehen die Justizbehörden des ersuchenden Staates (nach Übernahme der Strafverfolgung durch den ersuchten Staat) von weiteren Verfolgungsmaßnahmen wegen der angezeigten Tat gegen die beschuldigte Person ab, wenn im ersuchten Staat aus Beweisgründen oder deshalb, weil die Tat eine strafbare Handlung nicht begründet, ein rechtskräftiger Freispruch oder - wie im konkreten Fall - eine endgültige Einstellung erfolgt ist. Eine derartige im ersuchten Staat rechtswirksame endgültige Verfahrenseinstellung begründet somit im ersuchenden Staat nach dem Grundsatz "ne bis idem" ein Verfolgungshindernis (vgl die erläuternden Bemerkungen in der Regierungvorlage zum Art XVI des Vertrages 141 BlgNR 19. GP, 15 und 16; Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 5. Februar 1996, JMZ 417.621/30-IV 1/96, S 8; zuletzt Ebensperger, ÖJZ 1999,177). Die genannte Vertragsbestimmung bezieht sich sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Regelungszweck (vgl Art XV Abs 1) nicht nur auf gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche, sondern auch auf Verfahrenseinstellungen durch die zuständige Polizeibehörde, zumal der Vertrag eine Einschränkung auf Justizbehörden diesbezüglich nicht vornimmt.
Der aus Beweisgründen ergangene meritorische (nach der Aktenlage unbekämpft gebliebene) Einstellungsbeschluss des Bezirksamtes für Untersuchungen der Polizei in Bratislava III 10 vom 20. April 1997 begründet somit gemäß Art XVI lit c des in Rede stehenden Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik für das inländische Strafverfahren ein Verfolgungshindernis, sodass die Erlassung der Strafverfügung gegen Peter A***** - richtigerweise wäre das Verfahren gemäß § 451 Abs 2 StPO mit Beschluss einzustellen gewesen - unzulässig war.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war demzufolge über die Feststellung der Gesetzesverletzung hinaus mit Aufhebung der Strafverfügung und Verfahrenseinstellung vorzugehen (§ 292 letzter Satz StPO).
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