Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Mai 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Thumb als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Baris S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 22. Dezember 1998, GZ 36 Vr 498/98-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Knibbe, und des Verteidigers Mag. Lindle, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem Freispruch IV aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Neunkirchen verwiesen.
Gründe:
Baris S***** wurde von der gegen ihn wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (I) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (III) sowie der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV) erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Den Freispruch vom Anklagevorwurf des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV) bekämpft die Staatsanwaltschaft mit auf die Gründe der Z 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.
Diesbezüglich war dem am 1. Juli 1979 geborenen Angeklagten angelastet worden, am 19. Mai 1998 in der Justizanstalt für Jugendliche Gerasdorf den Mithäftling Daniel B***** vorsätzlich durch einen Faustschlag gegen das Gesicht am Körper verletzt, ihm nämlich eine Prellung des Gesichtsschädels im Bereich der Nase mit einem Nasenbeinbruch ohne wesentliche Verschiebung der Bruchstücke sowie oberflächliche Hautabschürfungen im Bereich der linken Augenhöhle zugefügt zu haben.
Den wesentlichen Urteilsannahmen zufolge wurde der Angeklagte von Daniel B***** im Zuge einer wörtlichen Auseinandersetzung tätlich angegriffen (Faustschlag gegen die linke Wange), worauf er seinerseits dem Angreifer zwei Faustschläge, einen gegen den Kopf und den zweiten ins Gesicht, versetzte. Durch diesen zweiten Faustschlag erlitt Daniel B***** die genannten leichten Verletzungen. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt nach Überzeugung des Erstgerichts "ein bißchen wütend, mußte mit einer Verletzung des B***** rechnen und wollte diese in Ausübung seines Notwehrrechtes herbeiführen, um weitere Angriffe des B***** hintanzustellen" (US 5-6).
Das Erstgericht stützte den Freispruch auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr, weil dem Angeklagten bekannt war, daß Daniel B***** wegen Gewaltdelikten verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden war, sowie Baris S***** "dem Angriff des B***** in seiner Gesamtheit gesehen durch notwendige Verteidigung begegnet sei" (US 8-10).
Zutreffend zeigt die Anklagebehörde schon in rechtlicher Hinsicht (Z 9 lit b) auf, daß das Erstgericht für die Beurteilung des Vorliegens der - zwar abstrakt richtig erkannten, nicht aber auf die konkrete Fallgestaltung angewandten - Notwehrvoraussetzungen essentielle Tatsachen nicht festgestellt hat. Denn unabdingbares primäres Erfordernis der Notwehr ist, daß der durch notwendige Verteidigung abzuwehrende Angriff noch gegenwärtig ist oder unmittelbar droht (§ 3 Abs 1 StGB).
Die vom Erstgericht in dieser Beziehung getroffene Feststellung, daß den beiden Faustschlägen des Angeklagten der die Tätlichkeiten einleitende Faustschlag des Daniel B***** unmittelbar vorangegangen war (US 5), vermag weder einen im Zeitpunkt der inkriminierten Tathandlung aktuellen noch einen unmittelbar drohenden weiteren Angriff gegen den Angeklagten für sich allein zu begründen. Denn damit wird lediglich das enge zeitliche Aufeinanderfolgen der Angriffshandlung und der darauf folgenden Faustschläge konstatiert, doch die für das Vorliegen einer Notwehrsituation gerade entscheidende Frage offen gelassen, ob insbesondere zum Zeitpunkt des zweiten Faustschlages des Angeklagten nach der tatsächlichen Sachlage objektiv ex ante betrachtet (Leukauf/Steininger Komm3 § 3 RN 71 mwN) nach dem für sich gesehen im Handlungsvollzug bereits abgeschlossenen Faustschlag des Daniel B***** weitere Angriffshandlungen unmittelbar drohten bzw eine derartige Notwehrsituation zumindest nach der (irrtümlichen) Vorstellung des Angeklagten (§ 8 StGB) vorgelegen ist.
Schon diese Feststellungsmängel bedingen die Aufhebung des bekämpften Freispruchs. Im erneuerten Verfahren wird im Fall (auch) der Annahme einer (vermeintlichen) Notwehrsituation im Sinn des weiteren Beschwerdevorbringens außerdem zu prüfen sein, ob sich Baris S***** insbesondere beim zweiten Faustschlag noch der notwendigen Verteidigung bedient oder ob er das Maß gerechtfertigter Verteidigung bereits (allenfalls aus Zorn) überschritten hat.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben, der angefochtene Freispruch aufzuheben und in diesem Umfang dem nunmehr zuständigen Bezirksgericht Neunkirchen (§§ 8 Abs 3, 9 Abs 1 Z 1; 288 Abs 2 Z 3 StPO iVm § 29 JGG) die Verfahrenserneuerung aufzutragen.
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