Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Hubert Tramposch, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Helmut M*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 700.884,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. September 1998, GZ 4 R 152/98d-25, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 6. April 1998, GZ 12 Cg 112/96t-20, abgeändert wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Berufungsurteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Ergänzung der Berufungsverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung:
Das Erstgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beklagte verschuldete als Lenker eines bei der klagenden Partei haftpflicht- und kaskoversicherten Leasingfahrzeuges am 2. 11. 1993 auf der Inntalautobahn im Gemeindegebiet von Jenbach einen Verkehrsunfall, indem er aus Unachtsamkeit und mit überhöhter Geschwindigkeit von 140 km/h (zur Unfallszeit herrschte auf diesem Autobahnteilstück aus Lärmschutzgründen eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h) auf das von Erich G***** gelenkte Fahrzeug auffuhr. Der Beklagte wurde deswegen rechtskräftig (nur) nach § 88/1 StGB verurteilt.
Der Beklagte hatte vor Antritt der Fahrt Alkohol konsumiert, wobei nicht festgestellt werden kann, daß er in einem Zeitraum von 5 bis 6 Stunden vor dem Unfall bloß zwei kleine Bier getrunken hat. Er war also zur Unfallszeit alkoholisiert. Allerdings konnte der Alkoholgehalt in seinem Blut zum Unfallszeitpunkt nicht festgestellt werden. Sowohl Erich G***** als auch der Beklagte wurden durch den Unfall verletzt. Der Beklagte, der nach dem Unfall nicht bewußtlos, sondern ansprechbar war, konnte sich selbst nicht aus seinem Fahrzeug befreien. Er wurde in der Folge von der Rettung in das Bezirkskrankenhaus Schwaz gebracht. Ohne Zutun und Wissen des Beklagten gab sich dessen Beifahrer, Christian H*****, gegenüber den an der Unfallstelle erschienenen Gendarmeriebeamten als Lenker des Beklagtenfahrzeuges aus. Noch bevor die Beamten an der Unfallstelle eintrafen, sagte Christian H***** - allerdings nicht in Gegenwart des Beklagten - zu Erich G*****, daß dieser sich wegen des Autos nicht kümmern müsse, das würde so geregelt werden, denn der Beklagte sei "total zu". Nachdem Erich G***** diese Äußerung des Christian H***** bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der Gendarmerieaußenstelle Wiesing, noch in der Unfallnacht gegen 02.45 Uhr zu Protokoll gegeben hatte, versuchten zwei Gendarmen, im Krankenhaus Schwaz einen Alkotest beim Beklagten durchzuführen.
Dazu hat das Berufungsgericht nach teilweiser Beweiswiederholung festgestellt:
Als die beiden Beamten im Krankenhaus wegen einer Blutabnahme beim Beklagten vorsprachen, wurde der Beklagte gerade wegen der beim Unfall erlittenen Wunden behandelt. Der behandelnde Arzt erklärte den Beamten entweder, daß eine Blutabnahme derzeit nicht möglich sei, oder daß der Beklagte keine Blutabnahme durchführen lassen müsse. Ob der Beklagte persönlich von einem der Beamten aufgefordert wurde, eine Blutabnahme durchführen zu lassen und er dies den Beamten gegenüber verweigerte, kann nicht festgestellt werden. Der Beklagte wurde noch in derselben Nacht aus dem Krankenhaus entlassen.
Weiters steht fest: Ein oder zwei Tage später erfuhr der Beklagte von H*****, daß dieser sich als Lenker des Beklagtenfahrzeuges ausgegeben hat. Er forderte ihn daher auf, dies bei der Gendarmerie richtigzustellen. Er selbst meldete sich ein oder zwei Tage nach dem Unfall telefonisch bei der Autobahngendarmerie Wiesing, wo er auf den zuständigen, damals jedoch nicht anwesenden Beamten verwiesen wurde.
Erst am 12. 11. 1993 gab er der Gendarmerie seine Lenkereigenschaft bekannt, nachdem H***** bereits am 10. 11. 1993 seine diesbezüglichen Angaben bei der Autobahngendarmerie Wiesing richtiggestellt hatte.
In seiner Schadensmeldung verneinte der Beklagte eine Alkoholisierung zur Unfallszeit. Da seine Angaben der Klägerin nicht ausreichten, nahm der mit der Bearbeitung des Kaskoschadens betraute Angestellte mit dem Beklagten telefonisch Kontakt auf, wobei er sich nicht nur nach den Führerscheindaten, sondern auch nach einer allfälligen Alkoholisierung des Beklagten zur Unfallszeit erkundigte. Dabei sagte ihm der Beklagte nicht, daß er alkoholisiert war. Der Sachbearbeiter der Klägerin pflegte noch weitere Ermittlungen per Telefon und per Fax. Nachdem ihm von der Autobahngendarmerie über telefonische Anfrage am 13. 1. 1993 mitgeteilt worden war, daß beim Beklagten keine Alkoholisierung zur Unfallszeit vorlag, veranlaßte er an diesem Tag die Überweisung eines Entschädigungsbetrages von S 573.790,-- an die B*****-Leasing, zu deren Gunsten die (gemeint: Kasko )Versicherung vinkuliert war. Der Strafakt stand dem Sachbearbeiter der Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung. Hätte er den Inhalt dieses Aktes gekannt, so wäre von ihm die Auszahlung der Versicherungssumme nicht veranlaßt worden. Der gesamte Inhalt des Strafaktes wurde der Klägerin erst im Juli 1994 bekannt. Aus der Haftpflichtversicherung erbrachte die Klägerin S 158.742,--, aus der Kaskoversicherung insgesamt S 600.884,-- noch vor Kenntnis der gesamten Umstände an Leistungen.
Die Klägerin fordert nunmehr vom Beklagten die Rückzahlung der aus der Kaskoversicherung erbrachten Leistung sowie weiterer S 100.000,-- an Regreß hinsichtlich der aus der Haftpflichtversicherung erbrachten Leistungen und brachte dazu vor, daß der Beklagte seine Mitwirkungspflicht, das Unfallsgeschehen aufzuklären, verletzt habe. Er habe zusammen mit seinem Beifahrer vorerst verschleiert, daß er Lenker des Beklagtenfahrzeuges gewesen sei, und eine Blutabnahme zwecks Überprüfung seiner Alkoholisierung verweigert. Wegen dieser vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen sei die Klägerin hinsichtlich der Kaskoversicherung zur Gänze und hinsichtlich der Haftpflichtversicherung im Umfang von S 100.000,-- leistungsfrei. Im Zeitpunkt ihrer Leistungen seien der Klägerin noch nicht die wesentlichen d.h. ihre Leistungsfreiheit begründenden Umstände bekannt gewesen, so insbesondere daß der Beklagte alkoholisiert gewesen sei und deswegen nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen habe. Sie habe sich also in Irrtum befunden. Auch habe sie aufgrund der Vinkulierung des Kaskoversicherungsvertrages der B*****-Leasing Zahlung leisten müssen. Darüberhinaus habe der Beklagte den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.
Der Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, daß er zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei. Er habe auch keine falschen Angaben gemacht. Er habe erst später erfahren, daß sein Beifahrer sich als Lenker deklariert habe. Er habe auch die Blutabnahme nicht verweigert, da ihn die einschreitenden Gendarmeriebeamten nie zum Alkoholtest aufgefordert hätten, sondern während seiner ärztlichen Behandlung im Krankenhaus lediglich nachgefragt hätten, ob eine Blutabnahme möglich wäre, was der behandelnde Arzt verneint habe. Der Klägerin seien alle relevanten Umstände bei Erbringung ihrer Leistungen bereits bekannt gewesen, da sie in den Gendarmerieakt Einsicht genommen habe. Es liege daher ein wirksames Anerkenntnis hinsichtlich der Leistungsverpflichtung der Klägerin vor, welches dem geltend gemachten Regreß entgegenstehe. Auch stelle die Einhaltung einer Geschwindigkeit von ca 140 km/h keine grobe Fahrlässigkeit dar.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme der Abweisung eines nicht mehr revisionsgegenständlichen Zinsenmehrbegehrens statt. Der Beklagte habe seine Aufklärungsobliegenheit nach § 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 verletzt. Im Falle einer fraglichen Alkoholisierung sei die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, nicht wie die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des § 5 StVO auf die Fälle erheblicher Verletzung eines Dritten beschränkt, sondern es habe der Versicherungsnehmer, der im Verdacht stehe, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, und der von Organen der Straßenaufsicht in Untersuchung gezogen werde, auch dann einer Blutabnahme zuzustimmen, wenn dazu keine Rechtspflicht nach § 5 Abs 6 StVO bestehe. Die Verweigerung der Blutabnahme bei Verdacht, daß sich der Lenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinde, verwirkliche daher im allgemeinen den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988. Der Beklagte habe nicht bewiesen, daß ihm die Blutabnahmeverweigerung aus besonderen Gründen nicht zumutbar gewesen wäre. Gleiches gelte für die Obliegenheitsverletzung nach Art 5 Z 1 3.1 der AFIB 1986. Ein Mitverschulden Erich G***** am Zustandekommen des Unfalls sei zu verneinen. Die Zahlungen der Klägerin aus der Haftpflicht- und Kaskoversicherung stellten kein konstitutives Anerkenntnis dar, weil ihnen kein ernstlicher konkreter Streit über den Deckungsanspruch des Beklagten zugrundegelegen sei.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung nach einer teilweisen Beweiswiederholung - im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens - ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. Es erachtete die bekämpfte Feststellung über die Alkoholisierung des Beklagten aus rechtlichen Gründen für unbeachtlich und ließ sie daher unüberprüft, dies weil die Klägerin ihren Rückforderungsanspruch gar nicht darauf stütze, daß der Beklagte tatsächlich alkoholisiert gewesen sei, sondern ihre Leistungsfreiheit nur auf Obliegenheitsverletzungen bei der Aufklärung des Unfalls bzw auf grob fahrlässige Herbeiführung des Schadensfalles gründe. Der Versicherer sei seiner Beweispflicht, dem Beklagten solche Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, nicht nachgekommen. Dem Beklagten sei auch keine grobe Fahrlässigkeit bei Herbeiführung des gegenständlichen Unfalles anzulasten.
Die gegen diese Entscheidung von der klagenden Partei erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.
Die getroffenen und in diesem Punkt unstrittigen Feststellungen über den Unfallshergang lassen noch nicht die Annahme einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalles durch den Beklagten zu (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die klagende Partei hat sich sowohl auf eine Obliegenheitsverletzung nach § 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 (Obliegenheitsverletzung vor dem Unfall, also hier Alkoholisierung) als auch auf eine solche nach § 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 (Obliegenheitsverletzung nach dem Unfall: Verletzung der Aufklärungspflicht) sowie auf die korrespondierende Bestimmung in Art 5 Z 3.1 der AFIB 1986 berufen (vgl AS 3 und 7 in ON 1). Wenn die erstzitierte Obliegenheitsverletzung mangels einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten nach § 88 Abs 3 StGB zufolge Nichtfeststellbarkeit des Blutalkoholgehaltes nicht zum Tragen kommt (vgl Grubmann MGA KHVG/1995 § 5/121 sowie 130 ff; auch der Begründung des Strafurteiles ist kein Hinweis auf eine Alkoholisierung, sondern nur der auf eine Verweigerung der Blutabnahme zu entnehmen, auf die aber zufolge der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht mehr eingegangen werden kann), steht - allerdings bekämpft - fest, daß der Beklagte im Unfallszeitpunkt alkoholisiert war. Eine Alkoholisierung (bzw den Genuß von mehr als zwei kleinen Bieren vor Antritt der Fahrt) hat der Beklagte, der nur den Genuß von ein bis zwei kleinen Bieren zugestand, nach den - in diesem Punkt allerdings bekämpften (vgl AS 122 f in ON 21) - Feststellungen des Erstgerichtes gegenüber dem Versicherer bei Befragen in Abrede gestellt. Über diesen Teil der Beweisrüge hat das Berufungsgericht aber nicht abgesprochen. In welcher Form die Befragung durch den Versicherungsangestellten N***** über den Alkoholkonsum erfolgt ist, steht allerdings nicht fest. Hat allerdings der Beklagte gegenüber dem Versicherungsangestellten N***** über dessen Befragen nach einem allfälligen Alkoholkonsumgenuß von zwei oder mehr kleinen Bieren ungefähr 5 Stunden vor Fahrtantritt verschwiegen, so läge ein der Entscheidung 7 Ob 25/95 (= ZVR 1996/40) vergleichbarer Fall vor. Auch im vorliegenden Fall (der Versicherungsfall trat vor dem 1. 1. 1994 ein) wäre die Rechtslage vor Inkrafttreten der VersVG-Novelle maßgeblich (vgl Kronsteiner in Fenyves Kommentar zu den VersVG-Novellen § 191b Rz 5 mwN).
Darüberhinaus reichen die Feststellungen zu der zweiten dem Beklagten vorgeworfenen Obliegenheitsverletzung, nämlich daß er erst 10 Tage nach dem Unfall seine Lenkereigenschaft gegenüber der Gendarmerie zugestanden hat, obwohl er schon am zweiten Tag nach dem Unfall von seinem Beifahrer über dessen Falschaussage informiert worden war, noch nicht zu einer abschließenden Beurteilung, ob dies vorsätzlich, grob oder leicht fahrlässig zu werten ist, aus. Zufolge Verletzung des Unfallsgegners wäre der Beklagte nach § 4 Abs 1 lit c StVO im Zusammenhang mit Abs 2 leg cit grundsätzlich zu einer sofortigen Richtigstellung seiner Lenkereigenschaft von sich aus verpflichtet gewesen, mußte ihm doch auffallen, zum Unfall von der Gendarmerie gar nicht befragt worden zu sein bzw hätte er von der Verletzung G***** nichts gewußt, so hätte er ja keine Gelegenheit gehabt, nach Abs 5 leg cit mit seinem Unfallsgegner einen Identitätsnachweis vorzunehmen. Insbesondere wird dazu ergänzend festzustellen sein, ob der Beklagte bei seinem ersten Telefongespräch nach der Mitteilung H***** über seine Falschaussage, mit dem Gendarmerieposten W***** ein bis zwei Tage nach dem Unfall schon auf diese Falschaussage und seine Lenkereigenschaft hingewiesen hat und warum er trotzdem erst weitere 10 Tage danach dem "zuständigen" Gendarmeriebeamten diese seine Aussage zu Protokoll geben konnte.
Zur vorsätzlichen, den Kausalitätsgegenbeweis ausschließenden Verletzung der Obliegenheiten nach § 8 Abs 2 Z 8 AKHB 1988 (nunmehr § 6 Abs 1 KHVG 1994) genügte bis zum Inkrafttreten der VersVG-Novelle 1994 dolus eventualis (§ 6 Abs 3 VersVG idF vor der VersVG-Novelle 1994), der dann anzunehmen ist, wenn der Täter die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes (Obliegenheitsverletzung) ernstlich für möglich hält, sich aber damit abfindet und daher willensmäßig hinnimmt. Das trifft hier auch auf die Verletzung der Obliegenheit nach Art 5 Z 1.3.1 der AFIB 1986 zu.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben. Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Beweisrüge der beklagten Partei vollständig durch Beurteilung, ob die zuvor angeführten bekämpften Feststellungen übernommen werden oder nicht, zu erledigen haben. Es wird darüber hinaus noch die Feststellungen über den zeitlichen Ablauf der Bekanntgabe des Beklagten gegenüber der Gendarmerie, der Unfallslenker gewesen zu sein, zu ergänzen haben. Erst danach wird eine abschließende rechtliche Beurteilung der Sache möglich sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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