Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Rouschal, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Cihlar als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung der Mag. Gerda D***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 12. Mai 1998, GZ 36 Vr 1361/97-194, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. Gerda D***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB eingewiesen, weil sie am 24. Oktober 1997 in Ebreichsdorf unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grade beruht, die am 11. November 1990 geborene, sohin unmündige Astrid D***** aus der Macht des erziehungsberechtigten Vaters Gerhard D***** entzogen hat, indem sie das Kind von der Volksschule in Ebreichsdorf abholte und nach Spanien verbrachte; sie hat hiedurch eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihr, wäre sie zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der Kindesentziehung nach § 195 Abs 1 und Abs 2 StGB zuzurechnen gewesen wäre.
Dieses Urteil bekämpft die vom Verfahrenshilfeverteidiger der Betroffenen ausgeführte, auf § 281 Abs 1 Z 1, 3, 4 sowie 9 lit a und lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde; sie ist nicht im Recht.
Der Beschwerdevorwurf zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund, der Vorsitzende des Schöffensenates sei infolge seiner untersuchungsrichterlichen Tätigkeit von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung gemäß § 68 Abs 2 StPO ausgeschlossen gewesen, versagt schon deshalb, weil die angesprochene Erlassung eines Haftbefehls gegen die Betroffene vom 24. Mai 1997 zwar im Rahmen des Journaldienstes durch denselben Richter, aber in einem anderen Strafverfahren (32 Vr 667/97 des Landesgerichtes Wr. Neustadt; eingestellt mit Beschluß vom 4. August 1997) erfolgt ist.
Der Einwand (Z 3), es seien zwei in Beiakten enthaltene Gutachten ohne der gemäß § 252 Abs 1 StPO erforderlichen Zustimmung der Betroffenen in der Hauptverhandlung verlesen worden, geht ebenfalls fehl. Der Beschwerde zuwider ist vielmehr die Verlesung des Vorstraf- und Pflegschaftsaktes sowie des Berichtes des Dr. Kurt M***** an das Bundesministerium für Justiz (S 271 = 477/IV) diesbezüglich richtigerweise nach dem Gebot des § 252 Abs 2 StPO vorgenommen worden (S 421, 423/IV); letztere Gesetzesstelle ist aber weder an eine Parteienzustimmung gebunden noch zieht deren Verletzung die geltend gemachte Nichtigkeit nach sich.
Soweit die Beschwerde (inhaltlich Z 5) die Nichterörterung der "verlesenen Gutachten" releviert, übersieht sie, daß die im nunmehrigen Verfahren bestellten Sachverständigen Dr. P***** und Dr. F***** ohnedies auf das Vorgutachten des Dr. S***** bzw den erwähnten Bericht des Dr. M***** eingegangen sind (S 35 f/II; S 413/IV). Die Gutachten der erstgenannten Sachverständigen hat wiederum das Schöffengericht im Urteil ausreichend beweiswürdigend erörtert (US 19 f).
Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit dem früheren Gutachten des Dr. S***** war bereits wegen des anderen Tatzeitpunktes nicht geboten (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).
Auch die Verfahrensrüge (Z 4) verfehlt ihr Ziel.
Ihre erfolgreiche Geltendmachung setzt nämlich nicht nur voraus, daß über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinne der Antragstellerin entschieden wurde, sondern auch einen auf seine Berechtigung überprüfbaren Beweisantrag. Dieser liegt nur dann vor, wenn in ihm das Beweismittel und das Beweisthema angegeben sowie darüber hinaus dargelegt wird, inwieweit das bei Durchführung der beantragten Beweise nach Ansicht der Antragstellerin zu erwartende Ergebnis der Beweisaufnahme für die Schuldfrage der Anlaßtat von Bedeutung ist und aus welchen Gründen erwartet werden kann, daß die Vornahme der begehrten Beweise auch tatsächlich das von der Antragstellerin behauptete Ergebnis haben werde (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 1 und 19). Bei Prüfung der Berechtigung eines Beweisantrages durch den Obersten Gerichtshof ist außerdem stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Stellung des Antrages und den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen. Erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachte Argumente können keine Berücksichtigung finden (Mayerhofer aaO E 40 und 41).
Vorliegend stellt das Begehren der Beschwerdeführerin, "ich wollte, daß meine Kinder heute aussagen, wenn sie aussagen, dann lasse ich das aus" (S 351/IV), keinen den obigen Grundsätzen entsprechenden Antrag dar. Insoweit die Beschwerde darin eine Wiederholung des bereits schriftlichen Beweisantrages vom 4. Mai 1998 (ON 186) erblickt, ist für die Nichtigkeitswerberin nichts zu gewinnen, weil auch im Schriftsatz kein Beweisthema enthalten ist.
Die formellen Versäumnisse können aber durch die Beschwerdeausführungen nicht mehr saniert werden. Im übrigen hat das Erstgericht (ohne Fällung eines Zwischenerkenntnisses) seine Gründe für das Absehen von der Vernehmung der Kinder im Urteil (nachvollziehbar) dargelegt (US 19).
Letztlich entbehrt die Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach Z 9 lit b) einer entsprechenden Ausrichtung an den Verfahrensvorschriften. Denn Anhaltspunkte für die sinngemäße Forderung nach Feststellungen zu einem rechtfertigenden Notstand oder einer irrtümlichen Annahme einer Notstandssituation (§ 8 StGB) ergeben sich weder aus dem Urteilssachverhalt noch aus der Beschwerde. Die Betroffene erkannte die (Pflegschafts )Entscheidung des Obersten Gerichtshofes als rechtsgültig, wertete sie auf Grund ihres Zustandes bloß als unrichtig und leitete daraus ihr Tatbegehungsmotiv ab (S 359 f/VI, insbesondere S 365; US 9 unten).
Soweit die Beschwerdeführerin vom Schutz ihrer Kinder vor ihrem (erziehungsberechtigten) Vater, dessen Lebensgefährtin und dessen Söhnen sprach, wurde dies vom Schöffensenat im Sinne einer (vom Sachverständigen Dr. P***** diagnostizierten) krankheitsbedingten Fehlannahme einer permanenten Gefahrensituation bewertet (S 401 f; US 13), was aber als ein auf den Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden abnormen Geisteszustandes zurückzuführender Irrtum bei der Beurteilung der Anlaßtat nach § 21 Abs 1 StGB unbeachtlich ist (Leukauf/Steininger Komm3 § 21 RN 9; RZ 1998/17). Die diesbezüglich unsubstantiiert andere Urteilsannahmen anstrebenden Beschwerdeausführungen lassen demnach eine prozeßordnungsgemäße Darstellung vermissen.
Gleiches gilt für die von der Beschwerdeführerin als fehlend reklamierten Feststellungen zur Straflosigkeit nach § 195 Abs 4 StGB, da dieser Einwand die Urteilskonstatierungen zum Geheimhalten des Aufenthaltsortes der Unmündigen Astrid D***** übergeht (US 10; vgl auch RV zum StRÄG 1996, S 62).
Zusammenfassend war daher die Nichtigkeitsbeschwerde (ON 247) in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die zugleich erhobene Berufung folgt (§ 285i StPO).
Der Vollständigkeit halber bleibt noch anzumerken, daß nur die vom Verfahrenshilfeverteidiger Dr. Dieter J***** selbst ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde (ON 247) einer sachlichen Erledigung zugänglich war, da durch die Zustellung des Urteils nach der Protokollsberichtigung (ON 233 iVm S 3 ss) die Rechtsmittelfrist neu begonnen hat (Mayerhofer StPO4 § 271 E 29, 31; § 285 E 4) und § 285 Abs 1 StPO grundsätzlich nur eine einzige Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vorsieht (aaO § 285 E 36 ff). Der eingangs der als zulässig anzusehenden Rechtsmittelschrift enthaltene pauschale Hinweis, daß ausdrücklich sämtliche (dort näher angeführten) Eingaben übernommen werden, stellt schon angesichts der gleichzeitigen Einschränkung, daß der Inhalt der früheren Schriftsätze nur, "soweit sie nachstehenden Ausführungen nicht widersprechen, aufrechterhalten und zu eigenen Ausführungen gemacht werden" (S 151/V), im Hinblick auf den ausnahmslos zu beachtenden Einmaligkeitsgrundsatz und das Bestimmtheitsgebot (§ 285a Z 2 StPO) keine ausreichend konkrete Erklärung über Art und Umfang der Anfechtung dar (vgl auch Mayerhofer StPO4 § 285a E 67; 15 Os 114, 121/97).Auf die verwiesenen früheren Eingaben war daher nicht Rücksicht zu nehmen.
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