Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 1998 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Rouschal, Dr. Schmucker und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fitz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Werner L***** und Gerhard L***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 16. April 1998, GZ 12 Vr 407/96-152, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten Werner L***** und Gerhard L***** - im zweiten Rechtsgang neuerlich - des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I.), Werner L***** auch des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (II.) schuldig erkannt.
Danach haben
zu I. Werner L***** und Gerhard L***** im Sommer 1996 in Enns als Beteiligte (§ 12 StGB) die am 11. März 1991 geborene, sohin unmündige Natascha H***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem sie dem Kind den Stiel eines Bartwisches in die Scheide einführten, wodurch es defloriert wurde;
zu II. Werner L***** im Sommer 1996 in Enns durch die zu I. geschilderte Tathandlung sein minderjähriges Kind zur Unzucht mißbraucht.
Dagegen richten sich die von den Angeklagten auf die Z 3, 4 und 5a (Werner L*****) bzw Z 3, 4, 5 und 9 lit a (Gerhard L*****) gestützten (getrennt ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden.
Bereits die Verfahrensrügen nach Z 3 sind berechtigt.
In der Hauptverhandlung beantragten die Verteidiger die Einvernahme der Ehefrau des Angeklagten Gerhard L*****, Ljiljana L*****, unter der im - vom Gericht beigeschafften Scheidungsakt (4 C 104/97x des Bezirksgerichtes Linz) befindlichen Adresse (Ljiljana L*****, Bosnien, Herzegowina, Prozor Lakrepoka 75, Rama) zum Beweis dafür, daß im Zeitraum April bis Juni 1996 der Angeklagte Gerhard L***** mit Ausnahme des 19. Mai 1996 keinerlei Möglichkeit hatte, mit Natascha H***** in Kontakt zu treten und tatsächlich in diesem Zeitraum mit Natascha nicht in Kontakt getreten ist; hilfsweise wurde gemäß § 247a StPO die Einvernahme der Zeugin in ihrem Heimatland im Rechtshilfeweg begehrt.
Das Erstgericht wies (unter anderem) diesen Beweisantrag mit der Begründung ab, "da der Aufenthalt der Zeugin Ljiljana L***** in Bosnien nicht mit Sicherheit nachweisbar ist, da eine Zustellung durch das Ministerium nur versucht wurde, ein Ergebnis nicht bekannt ist, da auf Grund des bestehenden Aufenthaltsverbotes ein Erscheinen der Zeugin vor dem erkennenden Gericht in absehbarer Zeit nicht bewerkstelligt werden kann und eine Aussage vor dem Rechtshilfegericht sich deswegen erübrigt, da eine Vernehmung der Zeugin in Anwesenheit der Verteidiger (im ersten Rechtsgang) ohnedies bereits erfolgt ist".
Gegen die Verwahrung der Verteidiger wurden sodann die Aussagen dieser Zeugin im Vorverfahren (ON 66) und in der Hauptverhandlung des ersten Rechtsganges (S 446 bis 448/II) verlesen.
Zutreffend rügen beide Nichtigkeitsbeschwerden diese Verlesung als unzulässig, weil keine der Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO (insbesondere der Z 1) vorlag.
Da die Zeugin Ljiljana L***** unter der bekanntgegebenen Adresse tatsächlich erreichbar ist, wie eine vom Obersten Gerichtshof im Sinne des § 285f StPO vorgenommene Aufklärung durch Beischaffung und Einsichtnahme in den Akt AZ 4 C 104/91x des Bezirksgerichtes Linz ergeben hat (in welchem Verfahren am 3. April 1998 eine eigenhändige Zustellung an Ljiljana L***** erfolgte), wurde deren Zeugenaussage entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesen und demnach auch zu Unrecht im Urteil verwertet. Dieser dem Erstgericht unterlaufene Verfahrensfehler, welcher sich ersichtlich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl US 21), erfordert die Urteilsaufhebung und Anordnung der Verfahrenserneuerung in erster Instanz bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung (§ 285 e StPO), weshalb sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigte.
Die Verweisung hinsichtlich der Berufungen (nur jene des Werner L***** wurde schriftlich ausgeführt) ist eine Folge der kassatorischen Entscheidung.
Im durch den Verfahrensfehler notwendig gewordenen weiteren Verfahrensgang wird das Gericht in besonderem Maße in die Überlegung einzutreten haben, ob die psychische Entwicklung unmündiger Zeugen durch eine abermalige Vorladung und Vernehmung gestört wird und nicht mit einer (rechtmäßigen) Verlesung dieser Aussagen das Auslangen zu finden ist.
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