Der Oberste Gerichtshof hat am 3.März 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael K***** wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16.Dezember 1996, GZ 8 U 90/96-41, und einen anderen Vorgang, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß und des Verteidigers Dr.Doczekal, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Im Verfahren AZ 8 U 90/96 des Strafbezirksgerichtes Wien (nunmehr: 14 U 9/97 des Bezirksgerichtes Fünfhaus) wurde das Gesetz verletzt durch
1) Durchführung der Hauptverhandlung am 16.Dezember 1996 in Abwesenheit eines Vertreters der Anklagebehörde in den Bestimmungen der §§ 31, 457 StPO und § 4 Abs 1 StAG,
2) den Schuldspruch vom 16.Dezember 1996 wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB in der Bestimmung des § 267 StPO.
Das Urteil vom 16.Dezember 1996, das im übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Schuld-, Straf- und Kostenersatzausspruch und demgemäß auch der gemäß § 494 a StPO gefaßte Beschluß aufgehoben.
Gründe:
Im (gegen mehrere Personen wegen verschiedener Suchtgiftdelikte geführten) Strafverfahren 26 d Vr 12613/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beantragte die Staatsanwaltschaft am 17.Jänner 1996 die Bestrafung des Michael K***** wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG. Der Untersuchungsrichter schied daraufhin das Strafverfahren gegen Michael K***** gemäß § 57 StPO aus und trat es antragsgemäß an das Strafbezirksgericht Wien ab, wo es unter dem AZ 8 U 90/96 fortgesetzt wurde (vgl S 3 i und 3 j des Antrags- und Verfügungsbogens sowie Bestrafungsantrag ON 17, jeweils in 8 U 90/96 = nunmehr 14 U 9/97 des Bezirksgerichtes Fünfhaus).
Am 14.März 1996 wurde der Akt U 105/96 des Bezirksgerichtes Schärding, in dem Michael K***** vorgeworfen wird, die Scheibe eines Fensters und einige Bretter eines Holzverschlages beschädigt zu haben (Gesamtschaden: 6.552 S), vom Strafbezirksgericht Wien in dieses Verfahren gemäß § 56 StPO einbezogen (S 3 k des Antrags- und Verfügungsbogens). Wegen dieses Tatverdachtes wurde weder ein schriftlicher Bestrafungsantrag gestellt noch in den gegen den Beschuldigten in der Folge beim Strafbezirksgericht Wien durchgeführten Hauptverhandlungen am 12.April, 20.Mai, 3.Oktober und 16. Dezember 1996 die Anklage auf das Faktum der Sachbeschädigung ausgedehnt (vgl ON 25, 27, 33 und 40 a).
In der Hauptverhandlung am 12.April 1996 bekannte sich Michael K***** zu dem im schriftlichen Bestrafungsantrag erhobenen Tatvorwurf nicht schuldig, gestand jedoch (wie bereits im Vorverfahren, vgl S 167) zu, hie und da einen "Joint" geraucht und die ihm vorgeworfene Sachbeschädigung begangen zu haben (S 204).
Von dieser Verantwortung ging der Angeklagte auch in der am 16. Dezember 1996 gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung nicht ab (vgl ON 40 a). Diese Hauptverhandlung fand in Abwesenheit eines legitimierten Vertreters der Anklagebehörde statt, weil der als "Bezirksanwalt" einschreitende Rechtspraktikant Mag.T***** vom Leiter der Staatsanwaltschaft Wien zwar für den 6. Dezember 1996 zur Anklagevertretung in der Hauptverhandlung in bezug auf Strafverfahren der Abteilung 8 U des Strafbezirksgerichtes Wien bestellt worden war, nicht aber für den 16.Dezember 1996 (vgl den im Telefaxweg übermittelten Bericht des Leiters der Staatsanwaltschaft Wien vom 21.November 1997, Jv 3565-17/97), in welcher die Bezirksrichterin von Amts wegen den Beschluß "auf Ausscheidung des Verfahrens hinsichtlich des Faktums Joints und Einholung eines Berichtes der MA 15" gefaßt hat. Weiters erteilte sie dem Beschuldigten Rechtsbelehrung und überreichte ihm ein Formular SGG 2 mit der Weisung, sich selbständig zum Gesundheitsamt zu begeben (ON 40 a).
Mit (gemäß § 458 Abs 3 StPO in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16.Dezember 1996 wurde Michael K***** des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB gemäß der im einbezogenen Akt ON 22 erliegenden Anzeige schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie zum Kostenersatz verurteilt. Vom Vorwurf des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Zugleich sah das Strafbezirksgericht Wien vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht einer mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 27.März 1995 wegen § 16 Abs 1 SGG verhängten Freiheitsstrafe (ON 40) gemäß § 494 a (zu ergänzen: Abs 1 Z 2) StPO ab (ON 41).
Der Beschuldigte verzichtete nach Urteilsverkündung auf Rechtsmittel, Mag.T***** gab keine Erklärung ab. Ein Rechtsmittel wurde von der Anklagebehörde in weiterer Folge nicht angemeldet, sodaß dieses Urteil am 20.Dezember 1996 in Rechtskraft erwuchs (ON 43). Infolge der zwischenzeitigen Auflösung des Strafbezirksgerichtes Wien wird dieser Akt seither unter dem AZ 14 U 9/97 beim Bezirksgericht Fünfhaus geführt.
Das Urteil vom 16.Dezember 1996 und die diesem vorangegangene, in Abwesenheit eines legitimierten Vertreters der Anklagebehörde durchgeführte Hauptverhandlung verletzen, wie die Generalprokuratur in der deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, das Gesetz:
1) Ein Schuldspruch darf sich nur auf solche Taten erstrecken, die entweder Gegenstand der Anklage oder einer Ausdehnung des Anklagevorwurfes in der Hauptverhandlung gemäß § 263 StPO waren (§ 267 StPO). Demgemäß liegt eine - gemäß § 281 Abs 1 Z 8 StPO Nichtigkeit begründende - Anklageüberschreitung vor, wenn ein Schuldspruch - wie hier jener nach § 125 StGB - wegen einer Tat erfolgt, die nicht von der - sei es vor der Hauptverhandlung, sei es während dieser - erhobenen Anklage erfaßt wurde (Mayerhofer, StPO4, § 281 Z 8, E 8 und 24).
2) Die Bestellung eines anstelle des zuständigen Bezirksanwaltes (§ 4 Abs 1 StAG) in der Hauptverhandlung einschreitenden Anklagevertreters obliegt ausschließlich dem Leiter der Staatsanwaltschaft (§ 4 Abs 3 StAG). Da der Rechtspraktikant Mag.T***** für den 16.Dezember 1996 vom Leiter der Staatsanwaltschaft Wien nicht mit der mündlichen Anklagevertretung betraut worden ist, war die Anklagebehörde entgegen den Vorschriften der §§ 31, 457 StPO, § 4 StAG bei Durchführung der Hauptverhandlung gegen Michael K***** nicht vertreten. Die Durchführung einer Hauptverhandlung in einer Offizialstrafsache in Abwesenheit eines Anklagevertreters ist gesetzlich unzulässig, macht jedoch das Urteil nicht nichtig (Foregger/Kodek, StPO7, § 31 Anm II mwN; 14 Os 3/93, 11 Os 53/97).
Mangels Anwesenheit eines Anklagevertreters in der Hauptverhandlung war eine wirksame, den Verlust des Verfolgungsrechts hindernde Antragstellung eines öffentlichen Anklägers iSd § 263 Abs 1 StPO wegen des wiederholten Rauchens eines "Joint" nicht möglich. Nur der Vollständigkeit halber ist anzumerken, daß die Ausscheidung des Strafverfahrens wegen des Tatverdachtes des Rauchens von "Joints" und die Erteilung der Weisung, sich einer amtsärzt- lichen Untersuchung zu unterziehen, auch ohne einen Antrag des berechtigten Anklägers den Verjährungsablauf hemmende Verfolgungshandlungen darstellen (Leukauf/Steininger Komm3 § 58 RN 20).
Von den beiden, dem Strafbezirksgericht Wien unterlaufenen Gesetzesverletzungen hat sich nur die Anklageüberschreitung durch Schuldspruch nach § 125 StGB zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt, weshalb wie im Spruch zu entscheiden war.
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