Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rossmeisel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dumitru C***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 5 c Vr 12867/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 4 b E Vr 8793/92, fortgesetzt unter dem AZ 4 b E Vr 13307/96 jeweils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1) den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6.November 1995, GZ 5 c Vr 12867/91-58, 2) den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 29.Jänner 1997, AZ 21 Bs 408/96 (= GZ 4 b E Vr 13307/96-85) und 3) den Vorgang, daß im Verfahren AZ 4 b E Vr 8793/92 die Verständigung der Abteilung 5 c vom Beschluß auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unterlassen wurde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, und des Verteidigers Mag.Schulz, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Das Gesetz wurde verletzt
1) in der Bestimmung des § 494 a Abs 8 aF (nunmehr Abs 7) StPO dadurch, daß der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von seinem Beschluß vom 10.November 1992, GZ 4 b E Vr 8793/92-29, auf Widerruf der bedingten Nachsicht eines Teiles der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.Mai 1992, GZ 5 c Vr 12867/91-46, verhängten Freiheitsstrafe nicht unverzüglich die Abteilung 5 c desselben Gerichtes verständigte; und
2) in den Bestimmungen der §§ 43 Abs 2 StGB, 494 a Abs 4, 498 StPO
a) durch den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. November 1995, GZ 5 c Vr 12867/91-58, auf endgültige Strafnachsicht, und
b) durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 29.Jänner 1997, AZ 21 Bs 408/96, auf ersatzlose Aufhebung des in Punkt 1) genannten Widerrufsbeschlusses.
Gründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.Mai 1992, GZ 5 c Vr 12867/91-46, wurde über Dumitru C***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB und anderer Delikte eine Freiheitsstrafe in der Dauer eines Jahres verhängt, von der ein Teil von acht Monaten gemäß § 43 a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.November 1992, GZ 4 b E Vr 8793/92-29, wurde Dumitru C***** des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 StGB und eines anderen Deliktes (Tatzeiten: Juli 1992) neuerlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.Mai 1992 gewährte bedingte Nachsicht eines Teiles der Freiheitsstrafe widerrufen.
Eine Verständigung der Abteilung 5 c desselben Gerichtes von diesem Widerruf erfolgte nicht.
Gegen das Urteil vom 10.November 1992 erhoben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung; der Widerrufsbeschluß wurde vom Angeklagten mit Beschwerde bekämpft.
Über diese Rechtsmittel konnte vorerst nicht entschieden werden, weil der Angeklagte am 6.April 1993 aus der Untersuchungshaft geflüchtet war, weshalb das Strafverfahren AZ 4 b E Vr 8793/92 gemäß § 412 StPO abgebrochen und Dumitru C***** zur Verhaftung ausgeschrieben wurde (ON 49).
In Unkenntnis des Widerrufsbeschlusses vom 10.November 1992 sah das Landesgericht für Strafsachen Wien über Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 56) mit Beschluß vom 6.November 1995, GZ 5 c Vr 12867/91-58, Dumitru C***** den bedingt nachgesehenen Teil der Freiheitsstrafe von acht Monaten endgültig nach.
Nach Auslieferung des in der Schweiz festge- nommenen Angeklagten wurde das abgebrochene Strafver- fahren AZ 4 b E Vr 8793/92 - nunmehr unter dem AZ 4 b E Vr 13307/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien - fortge- setzt.
Mit Urteil vom 29.Jänner 1997, AZ 21 Bs 408/96, gab das Oberlandesgericht Wien (nur) der Strafberufung der Staatsanwaltschaft Folge, erhöhte die Freiheitsstrafe und faßte zugleich den Beschluß, "aus Anlaß der Beschwerde" des Angeklagten den Widerrufsbeschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.November 1992 ersatzlos aufzu- heben (GZ 4 b E Vr 13307/96-85).
Zur Begründung dieses Beschlusses führte das Oberlandesgericht Wien mit Bezugnahme auf einen "rechts- kräftigen Beschluß vom 8.9.1995 (ON 55) des Beiaktes 5 c E Vr 12867/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien" (der einen anderen Angeklagten betrifft; gemeint ersichtlich der Beschluß vom 6.November 1995, ON 58) aus, daß der Widerrufsbeschluß zwar sachlich gerechtfertigt, jedoch "die nachträgliche Abänderung" des zwischenweilig rechtskräftig gewordenen Beschlusses auf endgültige Strafnachsicht zu Lasten des Angeklagten "unzulässig" sei.
Im Verfahren AZ 4 b E Vr 8793/92 des Landesge- richtes für Strafsachen Wien hat es der Einzelrichter unter Mißachtung der Vorschrift des § 494 a Abs 8 in der Fassung vor Inkrafttreten des StPÄG 1993, BGBl 526, (nunmehr Abs 7) StPO unterlassen, den Beschluß auf Widerruf der bedingten Nachsicht eines Teiles der verhängten Frei- heitsstrafe der Abteilung 5 c dieses Gerichtes mitzuteilen.
Die in der genannten Gesetzesstelle normierte Verpflichtung, all jene Gerichte unverzüglich zu verstän- digen, deren Vorentscheidungen von einer Beschlußfassung nach § 494 a Abs 1 StPO betroffen sind, soll sicherstellen, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht keine Entscheidungskompetenz mehr in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn die vorgeschriebene Verständigung sogleich nach der jeweiligen Entscheidung ohne Rücksicht auf deren Rechtskraft erfolgt.
Der auf die Verletzung dieser gesetzlichen Ver- ständigungspflicht zurückzuführende Beschluß vom 6.Novem- ber 1995 auf endgültige Strafnachsicht, aber auch der darauf Bezug nehmende Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien, AZ 21 Bs 408/96, vom 29.Jänner 1997 auf ersatzlose Auf- hebung des Widerrufsbeschlusses verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 43 Abs 2 StGB, 494 a Abs 4, 498 StPO.
Begriffliche Voraussetzung für die endgültige Strafnachsicht ist das Unterbleiben ihres Widerrufes (§ 43 Abs 2 StGB). Diese Bedingung war im Verfahren 5 c Vr 12867/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nicht erfüllt, weil zuvor bereits auf Widerruf erkannt worden war. Der Widerrufsbeschluß vom 10.November 1992 entfaltete nämlich mit seiner Verkündung schon vor Eintritt der Rechts- kraft Bindungswirkung, derzufolge weder das erkennende Gericht noch - außerhalb des in §§ 494 a Abs 4 und 498 StPO vorgesehenen Rechtsmittelverfahrens - ein anderes Gericht berechtigt war, ohne vorangegangene Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Mit dem Beschluß auf endgültige Strafnach- sicht wurde daher eine Entscheidungskompetenz rechtswidrig in Anspruch genommen.
Der dennoch ergangene Beschluß auf endgültige Strafnachsicht konnte somit - was das Oberlandesgericht Wien übersehen hat - keine Rechtserheblichkeit bewirken (Mayerhofer StPO4 § 494 a E 20, § 498 E 7; Foregger/Kodek StPO6 § 494 a, Anm VI; 13 Os 93/97).
Da sich die demnach auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhende Entscheidung des Oberlandesge- richtes Wien auf Aufhebung des Widerrufsbeschlusses des Landesgerichtes für Strafsachen Wien allerdings zugunsten des Verurteilten Dumitru C***** auswirkt, waren die aufgezeigten Gesetzesverletzungen nur festzustellen, ohne daß ihnen konkrete Wirkung zuzuerkennen war.
In den genannten Verfahren wurde das Gesetz, wie der Generalprokurator in seiner deswegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mehrfach verletzt:
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