Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Ernst Löwe (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Merdane S*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Arnulf Summer und Dr.Nikolaus Schertler, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Dezember 1994, GZ 5 Rs 110/94-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18.August 1994, GZ 34 Cgs 39/94h-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Mit Bescheid vom 17.2.1994 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 19.10.1993 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.
Das auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag (1.11.1993) gerichtete Klagebegehren stützt sich im wesentlichen darauf, daß der am 15.5.1942 geborene, überwiegend (als Hilfsarbeiter) im Textilbereich und in einer Beschlägefabrik tätig gewesene Kläger aus gesundheitlichen Gründen keine auf dem Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit mehr ausüben könne.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der während der letzten 15 Jahre als Textil- und Metallarbeiter beschäftigte Kläger könne noch leichte Arbeiten ohne wesentliche Einschränkungen verrichten und daher noch mehrere auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeiten ausüben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Nach den auch der Entscheidung des Berufungsgerichtes zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen leidet der Kläger an einer Erkrankung aus dem Formenkreis des Asthma bronchiale, an Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule mit Maximum im Bereich der Lendenwirbelsäule und Ausstrahlung in beiden Beinen bei diskreten Hinweisen auf eine Kompression der Wurzel L 5 und S 1 beidseits, an einer Bandscheibenvorwölbung in den Etagen L 4/L 5 und L 5/S 1 mit Kompression der Nervenwurzel L 5/L 4 und S 1 und an Schmerzen im Bereich der Schulter-Nackenregion sowie der Halswirbelsäule ohne neurologische Ausfallserscheinungen.
Mit diesem Zustand kann der Kläger seit 1.11.1993 leichte Arbeiten (grundsätzlich) in jeder Körperhaltung verrichten. Nach einstündigem (ununterbrochenem) Sitzen sollte er mindestens zehn Minuten im Stehen arbeiten und dabei das Standbein wechseln können. Nach einstündigem (ununterbrochenem) Stehen sollte er mindestens 15 Minuten im Sitzen arbeiten können. Am günstigsten wäre eine Tätigkeit, bei der ein möglichst häufiger Wechsel der Körperhaltung möglich ist und Gehen, Stehen und Sitzen ungefähr gleich lang vorkommen. Die Arbeiten sollten in geschlossenen Räumen ohne Einwirkung von Kälte, Nässe und Durchzug stattfinden. Heben und Tragen von Lasten über zehn oder fünf kg, Arbeiten mit einer Zwangsstellung des Oberkörpers oder auch des Kopfes in einer Vorneigung von mehr als 45 Grad, Arbeiten, die mit häufigem Bücken verbunden sind, bei denen eine Hohlkreuzstellung eingenommen werden muß, bei denen der Oberkörper bei feststehendem Unterkörper gedreht werden muß, solche mit ruckartigen Bewegungen des Kopfes, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Fließbandarbeiten mit monotonen Bewegungsabläufen, solche, die mit Laufen in unebenem Gelände und unter Einwirkung von inhalativen Noxen verbunden sind, sind zu vermeiden. Während der Pausen sollte es dem Kläger möglich sein, sich niederzulegen; ein Bett oder eine spezielle Liege sind nicht erforderlich.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes gilt der Kläger nicht als invalid des § 255 Abs 3 ASVG, weil seine Arbeitsfähigkeit noch für die "allgemein und insbesondere der Rechtsprechung aus zahlreichen Verfahren bekannten" Tätigkeiten eines Webgutkontrollors in der Textilindustrie oder eines Montierers in der Beschlägeindustrie ausreiche.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, in der nur unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurde, nicht Folge.
Das Gericht zweiter Instanz teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Daß es dem Kläger möglich sein muß, sich in den Pausen niederzulegen, schließe ihn nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus. § 87 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung BGBl 1983/218 (AAV) schreibe nämlich bei Betrieben mit mehr als zwölf Arbeitnehmern die Einrichtung von Aufenthaltsräumen vor, die während der Arbeitspausen den Arbeitnehmern mit der entsprechenden Anzahl freier Sitzgelegenheiten und Tischen zur Verfügung stehen sollen. Eine idente Bestimmung finde sich im § 28 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz BGBl 1994/450 (ASchG), das ab 1.1.1995 gelte. Die Verweisungstätigkeiten seien "in der Industrie angesiedelt", in deren Betrieben entsprechende Aufenthaltsräume vorhanden sein müßten. Da der Kläger kein Bett und auch keine spezielle Liege benötige, könne er eine gewöhnliche Liege mitnehmen und diese in den Pausen in den Aufenthaltsräumen aufstellen. Es müsse ihm daher - entgegen seinen Vorhalten - nicht zugemutet werden, sich vor der von ihm zu bedienenden Maschine auf den Boden zu legen. Der Kläger sei somit nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; er beantragt, die Entscheidung beider Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG in der hier gemäß Art X § 2 Z 7 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz-Novelle 1994 BGBl 624 noch anzuwendenden Fassung BGBl 1989/343 auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 der erstzit Gesetzesstelle zulässig; sie ist auch iS des Eventualantrages berechtigt.
Die für die rechtliche Beurteilung wesentliche erstgerichtliche Feststellung "Während der Pausen sollte es dem Kläger jedoch möglich sein, sich niederzulegen, ein Bett oder eine spezielle Liege ist nicht erforderlich" geht auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen für Orthopädie und orthopädische Chirurgie ON 6 und ON 9 zurück. Dort beantwortet der Sachverständige die ihm vom Erstgericht unter 3d gestellten Fragen "Wie viele Stunden kann die klagende Partei täglich arbeiten? Ist ihr dies mit oder ohne längere als die üblichen Unterbrechungen möglich?" wie folgt: "8 Stunden täglich ohne längere als die üblichen Unterbrechungen. Während der Pausen sollte es dem Kläger jedoch möglich sei sich niederzulegen, ein Bett oder eine spezielle Liege ist nicht erforderlich" (AS 33 und 47).
Diese Formulierungen in den schriftlichen Gutachten und die ihnen folgende, auch vom Berufungsgericht zugrunde gelegte wortgleiche erstgerichtliche Feststellung sind in mehrfacher Hinsicht ungenau:
Zunächst deutet der Gebrauch der Mehrzahl "Pausen" darauf hin, daß der Sachverständige und das Erstgericht davon ausgegangen sein könnten, dem Kläger müßte mehr als eine Pause zur Verfügung stehen, während der er sich niederlegen könne. Weiters ist nicht klar, in welchen Abständen und in welcher Dauer sich der Kläger niederlegen muß. Schließlich ist nicht festgestellt, wie eine Unterlage beschaffen sein muß, die weder ein "Bett" noch eine "spezielle Liege" ist.
Diese Ungenauigkeiten verhindern eine gründliche Beurteilung der Streitsache.
Nach § 11 Arbeitszeitgesetz BGBl 1969/461 idgF ist die Arbeitszeit, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt, durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen (Abs 1 Satz 1). Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebs gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, können anstelle einer halbstündigen Ruhepause zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minuten gewährt werden (Abs 1 Satz 2). Eine Pausenregelung gemäß Abs 1 zweiter Satz kann, sofern eine gesetzliche Betriebsvertretung besteht, nur mit deren Zustimmung getroffen werden (Abs 2). Das Arbeitsinspektorat kann, wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebs gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, eine von Abs 1 abweichende Pausenregelung zulassen (Abs 5). Es kann ferner für Betriebe, Betriebsabteilungen oder für bestimmte Arbeiten (zB Fließbandarbeiten) über die Bestimmungen des Abs 1 hinausgehende Ruhepausen anordnen, wenn die Schwere der Arbeit oder der sonstige Einfluß der Arbeit auf die Gesundheit der Arbeitnehmer dies erfordert (Abs 6). Wegen dieser gesetzlichen Ruhepausenvorschriften ist zu klären, in welchen Abständen, für welche Dauer und auf welcher Unterlage sich der Kläger zwischen dem Antritt und der Beendigung der täglichen Arbeit niederlegen muß, und ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ausreichende Zahl von seinem Leistungskalkül entsprechenden Arbeitsplätzen gibt, wo er die für ihn notwendigen Liegezeiten unter zumutbaren Bedingungen verbringen kann. Dabei werden auch die Arbeitnehmerschutzbestimmungen (insbesondere § 87 AAV, deren Abs 1 dritter bis letzter Satz und Abs 2 bis 6 gemäß § 108 ASchG bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach diesem BG als Bundesgesetz gelten, und § 28 ASchG) und weiters zu berücksichtigen sein, daß der Kläger während der Ruhepause(n) auch die Möglichkeit haben muß, seine Arbeitskraft durch Einnahme einer oder allenfalls mehrerer Mahlzeiten zu regenerieren; dadurch kann sich die für das Niederlegen zur Verfügung stehende Zeit der Pause(n) vermindern.
Wegen dieser zweckmäßigerweise vom Erstgericht zu behebenden Feststellungsmängel ist die Sache noch nicht spruchreif. Deshalb sind die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache ist zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496 Abs 1 Z 3 und Abs 3, 499, 510, 511 und 513 ZPO).
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.
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