Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Edeltraut Haselmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr.Robert A.Kronegger ua, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Margit Kaufmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 62.880,76 sA infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.April 1994, GZ 8 Ra 27, 28/94-33, womit infolge der Rekurse der beklagten Partei die Beschlüsse des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Februar 1994, GZ 34 Cga 220/93-28 und vom 8.März 1994, GZ 34 Cga 220/93-29, bestätigt wurden, den
Beschluß
gefaßt:
1.) Dem Rekurs wird, soweit er sich gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet, mit dem die Zurückweisung der Berufung als verspätet bestätigt wurde, nicht Folge gegeben;
2.) Im übrigen, also hinsichtlich der Bestätigung des Beschlusses auf Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, wird ihm Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden in diesem Umfang aufgehoben. Dem Erstgericht wird nach Ergänzung des Verfahrens die neuerliche Beschlußfassung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist aufgetragen.
Begründung:
Mit dem der beklagten Partei am 22.12.1993 zugestellten Beschluß und Teilurteil des Erstgerichtes vom 19.10.1993 wurden die von der beklagten Partei erhobenen Einreden der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit zurückgewiesen, die Klagsforderung als mit S 62.880,76 zu Recht bestehend erkannt und die beklagte Partei zur Zahlung dieses Betrages verpflichtet.
Die Beklagte erhob gegen dieses Teilurteil die am 1.2.1994 zur Post gegebene Berufung.
Mit dem am 11.2.1994 zur Post gegebenen Antrag begehrt die beklagte Partei die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung unter gleichzeitiger - neuerlicher - Ausführung der Berufung.
Die Vertreterin der beklagten Partei begründete den Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen damit, daß sie am 28.1.1994, als ihr der gegenständliche Akt zur Abfassung des Rechtsmittels vorgelegt worden sei, habe erkennen müssen, daß die Frist zur Ergreifung des Rechtsmittels bereits am 19.1.1994 abgelaufen gewesen sei. Sie habe am 23.12.1993 die Kalendierung der Rechtsmittelfrist überprüft, um sich noch einmal zu überzeugen, daß während der Weihnachtsfeiertage keine Rechtsmittel zu verfassen seien. Dabei habe sie entdeckt, daß in den Akten "W*****" die Gerichtsferien bei der Kalendierung nicht beachtet worden seien. Sie habe dann den Auftrag erteilt, die Akten unter Einbeziehung der Gerichtsferien zu kalendieren. Gleichzeitig habe sie den Auftrag wiederholt, die Akten am Freitag vor Ablauf der Rechtsmittelfrist vorzulegen, damit sie am Wochenende ein entsprechendes Rechtsmittel verfassen könne. Ihre Kanzleileiterin habe hierauf die Gerichtsferien berücksichtigt und überhaupt sämtliche Akten, so auch den gegenständlichen, der ursprünglich richtig kalendiert gewesen sei, unter Einbeziehung der Gerichtsferien kalendiert. Die Kanzleileiterin habe nämlich nicht gewußt, daß es sich bei der gegenständlichen Rechtssache um eine Arbeitsrechtssache handle, für die die Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht gelten. Das Versehen der Kanzleileiterin sei darauf zurückzuführen, daß sie den Auftrag "übergenau" ausgeführt und nicht nur die genannten Akten, sondern auch den gegenständlichen Akt neu kalendiert habe. Da sich die Beklagtenvertreterin bereits vorher von der richtigen Eintragung der Frist für die gegenständliche Rechtssache überzeugt habe, sei in dieser Angelegenheit eine weitere Kontrolle nicht erforderlich gewesen. Der gesamte Geschehensablauf spreche für ein Mißverständnis, weil die Beklagtenvertreterin ihrer Mitarbeiterin die Anweisung gegeben habe, die von ihr namentlich genannten Fristsachen neu zu kalendieren, welche keine Ferialsachen waren. Die Mitarbeiterin habe diesen Auftrag in Unkenntnis des Vorliegens einer Arbeitsrechtssache und der Bestimmung des § 39 Abs 4 ASGG leider auch in Bezug auf den gegenständlichen arbeitsrechtlichen Berufungsakt vollzogen.
Das Erstgericht wies mit dem - vor Einlangen des Wiedereinsetzungsantrages - gefaßten Beschluß von 3.2.1994 die Berufung als verspätet zurück. Mit einem weiteren Beschluß vom 8.3.1994 wies es, ohne Erhebungen zu pflegen, den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung aus rechtlichen Gründen ab. Es meinte, der Beklagtenvertreterin, die überdies nicht einmal am 31.1.1994 anläßlich der Verfassung der Berufung den zwischenzeitigen Ablauf der Rechtsmittelfrist bemerkt habe, sei ein grobes Verschulden zur Last zu legen, zumal sie allein für die ordnungsgemäße Überwachung der Kalendierung der Frist verantwortlich sei und diese Verantwortung an eine Kanzleiangestellte delegiert habe.
Das Rekursgericht gab den gegen beide Beschlüsse erhobenen Rekursen der beklagten Partei nicht Folge; es meinte, bereits auf Grund der Eigenangaben ergebe sich ihre mangelnde Berechtigung.
Diesen Beschluß ficht die beklagte Partei im gesamten Umfang wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag an, den Beschluß des Rekursgerichtes dahingehend abzuändern, daß die Beschlüsse des Erstgerichtes vom 3.2.1994 und vom 8.3.1994 aufgehoben, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben und die Zurückweisung der Berufung aufgehoben werde; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.
Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.
Zu Punkt 1.) des Beschlusses:
Die Zurückweisung der Berufung mit Beschluß vom 3.2.1994 war schon deshalb berechtigt, weil zum Zeitpunkt der Beschlußfassung der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist noch nicht eingelangt war; der Wiedereinsetzungsantrag langte erst am 14.2.1994 beim Erstgericht ein.
Zu Punkt 2.) des Beschlusses:
In Arbeits- und Sozialrechtssachen ist gemäß § 47 Abs 1 ASGG iVm § 46 Abs 2 ASGG auch gegen bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichtes der Revisionsrekurs stets uneingeschränkt zulässig, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteigt. Der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Verweigerung der Wiedereinsetzung ist daher zulässig. Er ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Gemäß § 146 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, wenn die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der letzte Halbsatz wurde durch die ZVN 1983 eingefügt, weil die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von den Gerichten gelegentlich sehr streng gehandhabt worden war und ein "unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis" vielfach nur dann angenommen wurde, wenn der säumigen Partei keinerlei Verschulden angelastet werden konnte. Der Verschuldensgrad ist dem § 2 DHG zu entnehmen (JA 1337 BlgNR 15.GP 10). Grobes Verschulden im Sinn des § 2 DHG liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Schädiger die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher und damit auffallender Weise vernachlässigt; es muß sich um ein Versehen handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt und den Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar macht (9 ObA 223/88 mwN).
Derzeit ist hier eine Sachentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag noch nicht möglich. Die Beschlüsse der Vorinstanzen müssen aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Beschlußfassung zurückverwiesen werden. Die Vorinstanzen haben es nämlich - wie bereits dargetan - wegen ihrer abweichenden Rechtsansicht unterlassen, einen Sachverhalt als bescheinigt anzunehmen. Dem Erstgericht wird daher aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens den Sachverhalt festzustellen, den es als bescheinigt ansieht. Sollte es einen dem Vorbringen der Wiedereinsetzungswerberin im wesentlichen entsprechenden Sachverhalt als bescheinigt annehmen, wird dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben sein, weil das gegebene Versehen noch als solches minderen Grades zu qualifizieren wäre (siehe den vergleichbaren Sachverhalt in 9 ObA 223/88; eine anonymisierte Ausfertigung dieser Entscheidung wird zur Information angeschlossen).
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