Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Dr. Hager, Dr. Schindler und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wimmer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Reinhard S***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. juni 1993, AZ I Bl 166/93 (GZ 29 U 32/93-13 des Bezirksgerichtes Innsbruck), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Mag. Dr. Reif-Breitwieser, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat in der Strafsache gegen Reinhard S*****wegen § 83 Abs 1 StGB, AZ 29 U 32/93 des Bezirksgerichtes Innsbruck, durch die Unterlassung der rechtswirksamen Ladung des Angeklagten zur Berufungsverhandlung und durch die Durchführung der Berufungsverhandlung in seiner Abwesenheit sowie durch das in dieser Verhandlung ergangene Urteil über die Berufung des Angeklagten das Gesetz in den Bestimmungen des Art. 6 Abs 3 lit. c MRK, §§ 80 Abs 1, 471 Abs 1 und 4, 473 Abs 3 und Abs 4 StPO verletzt.
Das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Juni 1993, AZ I Bl 166/93, wird aufgehoben; dem Berufungsgericht wird die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10. März 1993, GZ 29 U 32/93-5, aufgetragen.
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10. März 1993, GZ 29 U 32/93-5, wurde Reinhard S***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil meldete Reinhard S***** Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (35), die der gemäß § 41 Abs 2 StPO bestellte Verteidiger rechtzeitig ausführte (ON 10).
Nach vergeblichen Versuchen, dem Angeklagten die Ladung zur Berufungsverhandlung unter der letzten aktenkundigen Anschrift zuzustellen und ergebnislosen Erhebungen über seinen Aufenthalt führte das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht die Berufungsverhandlung am 22. Juni 1993 in Abwesenheit des Angeklagten durch. Dieser war in der Berufungsverhandlung demnach nur durch seinen Verfahrenshilfeverteidiger vertreten war (ON 12).
Das Rechtsmittelgericht gab der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge, setzte jedoch in teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Strafe die Freiheitsstrafe auf drei Monate herab.
Dieses Urteil wurde dem Angeklagten - der sich nach seinem Vorbringen seit 20. Juni 1993 im landesgerichtlichen Gefangenenhaus Innsbruck in Untersuchungshaft befand (87) - am 20. Juli 1993 zugleich mit der Strafantrittsaufforderung zugestellt. Der Angeklagte wurde sogleich in Strafhaft übernommen (ON 16). Nach Aufklärung des Sachverhaltes durch den Angeklagten (ON 17) verfügte das Bezirksgericht Innsbruck am 29. Juli 1993 die Hemmung des weiteren Strafvollzuges (ON 19).
In der geschilderten Vorgangsweise erblickt die Generalprokuratur zu Recht Gesetzesverletzungen.
Gemäß dem § 471 Abs 1 iVm § 80 Abs 1 StPO hat der Vorsitzende (unter anderem) den (auf freiem Fuß befindlichen) Angeklagten zu einem angeordneten Gerichtstag über die Berufung rechtzeitig nach den Vorschriften des Zustellgesetzes, BGBl. 200/1982, vorzuladen. Dabei ist dieser gemäß dem § 471 Abs 4 StPO auf die Folgen seines Ausbleibens hinzuweisen. Durch die Zustellung der Ladung zur Berufungsverhandlung an den zuletzt bekannten Wohnsitz, an dem sich der Angeklagte nach dem Erhebungsergebnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 22. Juni 1993 jedenfalls seit Mitte Mai 1993 nicht mehr aufhielt, wurde es dem Angeklagten verwehrt, am Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über seine Berufung teilzunehmen und dort seinen Standpunkt zu vertreten. Die Durchführung der Berufungsverhandlung und die Erledigung der Berufung in Abwesenheit des Angeklagten verstieß sohin gegen die Vorschriften des § 471 StPO, wonach der Vorsitzende den Angeklagten zum Gerichtstag rechtzeitig - unter Wahrung einer dreitägigen Vorbereitungsfrist (Abs 2) - vorzuladen (Abs 1) und in dieser Vorladung darüber zu belehren hat, daß auch im Fall seines Ausbleibens mit Berücksichtigung des in der Berufungsausführung und in der Gegenausführung Vorgebrachten über die Berufung dem Gesetz gemäß erkannt werden würde (Abs 4). Das Vorgehen des Berufungsgerichtes verstieß darum zum Nachteil des Angeklagten gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 Abs 3 MRK, §§ 471 Abs 1 und 4, 473 Abs 3 und 4 StPO - siehe dazu schon 11 Os 136, 137/89 und die dort zitierte weitere Judikatur).
In Stattgebung der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
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