Der Oberste Gerichtshof hat am 9.November 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schmidt als Schriftführerin in der Strafsache des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, AZ 17 b Vr 2507/90, gegen Janos Zsolt N***** und andere wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB über den Antrag des Genannten auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Es wird festgestellt, daß in Ansehung der strafgerichtlichen Anhaltung des Janos Zsolt N***** die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG (nur) für die Zeit vom 11.März 1991 bis zur Enthaftung am 9.Jänner 1992 gegeben sind.
Gründe:
Der ungarische Staatsbürger Janos Zolt N***** war in Österreich am 20. August 1990 vom Bezirksgericht Oberwart zu 3 U 384/90 wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer dreiwöchigen (für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt worden (S 49 Bd. II). Wegen des Verdachtes eines (weiteren) am 31.August 1990 verübten Diebstahls wurde N***** vom Strafbezirksgericht Wien seit 10.Oktober 1990 mittels Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung gesucht (ON 98/II). Am 8.Jänner 1991 konnte er des Nachts im Stadtgebiet von Amstetten angehalten werden. Er befand sich in Begleitung seines Landsmannes Tibor G*****, gegen den wegen des Verdachtes verschiedener, in Gesellschaft unbekannter Mittäter verübter Einbruchsdiebstähle in Personenkraftwagen seit 5. März 1990 ein Haftbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bestand (ON 2/I). In dem bei ihrer Anhaltung benützten PKW befanden sich Gegenstände aus einem gestohlenen PKW und Einbruchswerkzeug (ON 63/II). Über fernmündliche Anordnung des Untersuchungsrichters wurden die beiden Genannten, die sich ua hinsichtlich des Kennenlernens und des Fahrtziels in Widersprüche verwickelt hatten, verhaftet und in der Folge nach Wien in das Gefangenhaus eingeliefert (ON 59/II).
Gegen Janos Zolt N***** wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft (siehe Antrags- und Verfügungsbogen S 3 qu) am 11.Jänner 1991 die Voruntersuchung wegen des Verbrechens des Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1, 229 StGB eingeleitet (siehe Antrags- und Verfügungsbogen S 3 u) und über ihn am selben Tag die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 lit. b StPO verhängt (ON 65 und 66/II). Auf die gemäß § 194 Abs. 3 StPO durchzuführende Haftprüfungsverhandlung hat der Beschuldigte am 13. März 1991 verzichtet (S 95 verso/II).
Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 20.Juni 1991, AZ 24 Ns 571-573/91, wurde die noch aus den Gründen des § 180 Abs. 1 Z 1 und 3 lit. b StPO andauernde Untersuchungshaft bis zu einem Jahr für zulässig erklärt (ON 189/III).
Am 27.August 1991 erhob die Staatsanwaltschaft gegen Janos Zsolt N***** und neun weitere Beschuldigte die Anklage. Janos Zsolt N***** wurde das Vergehen der Bandenbildung (zur Ausführung von Diebstählen) nach § 278 Abs. 1 StGB und das Verbrechen des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB angelastet (ON 212/III).
Nach der am 7.November 1991 erfolgten abschlägigen Erledigung des von einem Mitangeklagten erhobenen Einspruchs gegen die Anklageschrift durch das Oberlandesgericht Wien zum AZ 23 Bs 440/91 (ON 235/IV) wurde der Akt dem Vorsitzenden des Schöffengerichts vorgelegt (Antrags- und Verfügungsbogen S 3 nnn verso), der in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft am 21.November 1991 ua zur gründlichen Vorbereitung der Hauptverhandlung die Verlängerung der Dauer der Untersuchungshaft betreffend die einsitzenden Angeklagten beantragte (ON 244/IV).
Das Oberlandesgericht Wien beschloß am 27.November 1991, daß bezüglich Janos Zsolt N***** die Untersuchungshaft bis zu fünfzehn Monaten dauern dürfe (ON 251/IV).
Die Hauptverhandlung vom 9.Jänner 1992 wurde vertagt, die Untersuchungshaft über Janos Zsolt N***** jedoch aufgehoben (ON 270) und dieser um 11 Uhr desselben Tages enthaftet (ON 271).
Mit Urteil vom 18.Februar 1992 wurde Janos Zsolt N***** (nur) wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls (einer Sonnenbrille) nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer einmonatigen, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Auf diese Sanktion wurde gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB die gesamte Vorhaft angerechnet (ON 301/IV). Zugleich wurde vom Widerruf der vom Bezirksgericht Oberwart bedingt nachgesehenen Strafe abgesehen, die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Über eine etwaige Janos Zolt N***** gebührende Haftentschädigung nach § 2 Abs. 1 lit. b StEG hat das Landesgericht für Strafsachen Wien (ON 358/V), bestätigt durch Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien (ON 370/V), bereits (abschlägig) entschieden. In der an das Oberlandesgericht Wien gerichteten Beschwerde (ON 360/V) erklärte Janos Zsolt N***** erstmals und wiederholte dies über ausdrückliches Befragen des Gerichtes (ON 373/V), daß er seinen Ersatzanspruch auch auf § 2 Abs. 1 lit. a StEG stütze. Es liege nämlich auch eine - nicht näher substantiierte - gesetzwidrige Anordnung und - aus mehreren Gründen - eine gesetzwidrige Verlängerung der Haft vor.
Im Hinblick darauf, daß die Untersuchungshaft des Janos Zsolt N***** (zweimal) vom Oberlandesgericht verlängert wurde (ON 189, 251), hatte über den Entschädigungsantrag nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG der Oberste Gerichtshof zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 StEG).
Der Antrag des Janos Zsolt N***** ist - im Ergebnis - in dem im Spruch bezeichneten Umfang berechtigt:
Bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Haftentscheidung ist auf den jeweils entsprechenden (damaligen) Erhebungsstand abzustellen (NRsp 1988/11 ua).
Davon, daß im Zeitpunkt der Verhängung der Untersuchungshaft im vorliegenden Fall eine Gesetzwidrigkeit dieser Anordnung vorgelegen, der Tatverdacht nicht dringend bzw. kein Haftgrund gegeben gewesen wäre, kann nach den eingangs dargelegten Umständen nicht gesprochen werden. Nach der Aktenlage hätten die Haftzwecke auch durch gelindere Mittel nicht erreicht werden können (§ 180 Abs. 4 und 5 StPO). N***** hat auf eine Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft nach Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich verzichtet (S 95/II), und selbst sein Verteidiger spricht nur von einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt "lange vor Einbringung der Anklageschrift", zu dem der Verdacht in Richtung schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls aufgehört habe (ON 360/V).
Es liegt allerdings eine gesetzwidrige Haftverlängerung iS des § 2 Abs. 1 lit. a StEG vor:
Der dafür maßgebliche Zeitpunkt läßt sich im vorliegenden Fall aus dem Unterbleiben der nach zweimonatiger Dauer der Untersuchungshaft (§ 194 Abs. 3 StPO) am 10.März 1991 an sich von Amts wegen geboten gewesenen Haftprüfungsverhandlung ableiten. Bei dieser Verhandlung wäre nämlich an Hand der bis dahin vorliegenden Erhebungsergebnisse hervorgekommen, daß die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht mehr weiter vorlagen, weil die - ursprünglich gegebenen - Verdachtsmomente keine ausreichende Bestätigung gefunden hatten. Der am 13.März 1991 erklärte Verzicht des Angeklagten auf die Haftprüfungsverhandlung war rechtsunwirksam, weil N***** zu diesem Zeitpunkt noch keinen Verteidiger hatte. Am 13.März 1991 hat die Untersuchungsrichterin erst den Beschluß auf Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO gefaßt (AV-Bogen S 3 ff/V). Dies genügte aber nicht, weil nach dem Sinn der Vorschrift des § 194 Abs. 3 StPO ein Verzicht nur dann zulässig ist, wenn für den Angeklagten tatsächlich ein Verteidiger bestellt wurde, der ihn in der Haftfrage beraten kann. Die Verteidigerbestellung durch die Rechtsanwaltskammer in der Person des Rechtsanwaltes Dr.K***** fand jedoch erst am 21. März 1991 statt (ON 138/III), wovon der Verteidiger am 25. und der Angeklagte am 29.März 1991 verständigt wurden.
Eine Fortsetzung der U-Haft wäre daher ab dem 11.März 1991 nur auf Grund eines Beschlusses der Ratskammer nach Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung zulässig gewesen. Die prozeßordnungswidrige Unterlassung der Haftprüfungsverhandlung steht mit dem Schadenseintritt (= Fortsetzung der Haft) auch in dem von der Rechtsprechung geforderten Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. Mayerhofer-Rieder Nebengesetze3 ENr. 2 a zu § 1 und ENr. 2 ff zu § 2 StEG).
Die Gesetzwidrigkeit der Fortsetzung der U-Haft ab dem 11.März 1991 konnte auch durch die in der Folge ergangenen Haftverlängerungsbeschlüsse (§ 193 Abs. 4 StPO) des Oberlandesgerichtes Wien vom 20.Juni 1991 (ON 189/III) und vom 27. November 1991 (ON 251/IV) nicht saniert werden, weil diese nur auf der Grundlage einer gesetzmäßig aufrechterhaltenen Untersuchungshaft ihrerseits Wirksamkeit entfalten konnten.
Im übrigen war der Haftverlängerungsbeschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 27.November 1991 (ON 251/IV) noch aus einem anderen Grund gesetzwidrig; weil dem Beschuldigten laut Anklageschrift nur Delikte mit einer fünf Jahre nicht übersteigenden Strafdrohung angelastet wurden, hätte die Haftzulässigkeit nur bis zu einem Jahr (und nicht bis zu fünfzehn Monaten) ausgesprochen werden dürfen.
Der einen Ersatzanspruch ausschließende Grund des § 3 lit. b StEG liegt hinsichtlich des im Spruch genannten Zeitraumes (ab 11.März 1991) nicht vor, weil die von N***** erlittene Untersuchungshaft schon beginnend mit 8.Jänner 1991 - wie erwähnt - auf die im gegenständlichen Verfahren mit Urteil vom 18.Februar 1992 verhängte (bedingt nachgesehene) Strafe von einem Monat angerechnet wurde.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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